Drei

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Langsame, andächtige Schritte hallen klar und deutlich durch den Raum, als Tharin Laena die Stufen zwischen den Rängen hinab schreitet. Alle Augen liegen auf der Frau und wie auf ein stilles Kommando hin erheben sich alle Bluthexen und -hexer.
Das Rascheln der Kleidung huscht flüchtig durch den Raum, doch noch immer ist kein einziges Wort zu vernehmen. Ich blicke zu Keith hinauf und tausche einen kurzen Blick mit ihm, ehe wir uns in der hintersten Reihe einordnen.
Als Laena die vielen Stufen überwunden hat schreitet sie mit ruhigen Schritten um das Podest herum. Ihre Hände sind vor ihrem Bauch gefaltet und ihr Kleid streicht bei jedem Schritt sanft über den Boden.
»Wir haben uns heute hier versammelt, um eine Frau aus unseren Reihen zu betrauern, die nicht länger unter uns weilt.«
Ihre Stimme schallt melodisch durch den Raum. Bedächtig. Sanft.
»Deides nahm sie zu sich auf einem der grausamsten Wege. Durch die Hand des größten Gegners unseres Volkes und aller Magiegeborenen.«
Ein Rascheln geht durch die Menge, als die Hexen und Hexer sich regen, eine unruhige Reaktion auf das gesagte. Sie scheinen nicht länger als Individuen, sondern viel mehr als eine Masse zu agieren.
»Dennoch«, fährt Laena fort und wechselt die Richtung in die Sie geht, den Blick nun über die Mengen schweifen lassend, »dürfen wir nicht vergessen, dass Feuer nicht mit Feuer bekämpft werden kann. Und auch nicht vergessen dürfen wir, was Alysanne Edison für uns getan hat. Wer sie war. Eine Tochter und eine Schwester - Unsere Schwester.«
Ein stolzes, zustimmendes Raunen ertönt aus der Menge. Tharin Laena's Lippen überkommt ein warmes Lächeln, ehe sie fortfährt.
»Alysanne diente uns als Khatera bis zum Schluss. Lasst sie uns als die tapfere und gutmütige junge Frau in Erinnerung behalten, die sie war. Lasst sie uns dorthin zurückbringen, wo alles begann, damit sie ihren ewigen Frieden finden kann.«
Nun bricht Jubel aus, laut und freudig.
Tharin Laena bleibt lächelnd vor dem Podest stehen und streckt die Arme zu beiden Seiten aus. Als sie wieder die Stimme erhebt, wird sie von jeder Bluthexe und jedem Bluthexer im Raum begleitet.
»Zrak va adtës, zrak va liatÿs, zrak va vori, elaë zrak va ancën.«
Die Worte vibrieren tief in meinem Inneren und mein Atem stockt.
Mit dem letzten gesprochenen Wort lässt Tharin Laena die Arme fallen und von dem riesigen Kronleuchter über dem Podest stürzt eine glühende Kugel aus den Flammen der vielen kleinen Kerzen. Mit einem lauten Zischen trifft sie das Podest.
Das bestickte Tuch fängt augenblicklich Feuer und lässt eine lodernde, blutrote Flammenwand emporsteigen. Ich weiche erschrocken einen kleinen Schritt zurück. Wie auf ein stilles Kommando senken alle Bluthexen im Raum den Kopf in einer letzten Respekt erweisenden Geste. Mit Mühe zwinge ich mich ebenfalls die Augen von dem großen Feuer in der Mitte zu nehmen und sie auf den Boden zu heften.
Ich glaube beinahe mein Blut durch meine Adern rauschen zu spüren. Keith dicht neben mir schicke ich einen stummen Dank an Alysanne, für alles, was sie für uns getan hat.
Ehe ich mich versehe erstirbt das knisternde Geräusch des Feuers langsam und ich hebe den Blick, um zu sehen, wie alle gemeinsam in eine Verbeugung sinken. Auch Keith neben mir beugt sich folgsam vornüber und ich tue es ihm gleich.
Beim Klang von widerhallenden Schritten richte ich mich wieder auf. Die Steinränge leeren sich, als die Hexen und Hexer den Versammlungsraum verlassen. Auf dem Marmor-Podest ist nur noch glühende Asche zu erkennen. Weder ich noch Keith rühren uns vom Fleck während die anderen an uns vorbei nach draußen strömen. Mein Blick ist noch immer auf das Podest gerichtet. Mein Inneres vibriert mit der Energie, die das Ritual ausgestrahlt hatte.
»Das war...«
»Beeindruckend?«, vervollständige ich Keiths Satzanfang und blicke schmunzelnd zu ihm nach oben.
»M-Mh«, stimmt er zu und erwidert meinen Blick mit einem Glänzen in den Augen, das ich bei ihm bisher kaum gesehen habe.
Tharin Laena wartet bis die unteren Reihen die Treppen hinaufgestiegen sind, ehe auch sie den runden Platz verlässt, um zu uns auf den obersten Rang zu kommen.
»Kommt ich bringe euch zurück auf die Krankenstation. Du solltest dich noch nicht überanstrengen«, meint sie als sie bei uns ankommt und wendet sich beim zweiten Teil an Keith.
»Das was am Ende alle zusammen in der alten Sprache gesagt haben, was heißt es?«, frage ich, während wir die großen Doppeltüren in den Gang passieren. Ich bilde mir ein noch immer das leichte Vibrieren hinter meinem Brustbein wahrzunehmen.
»Blut ist gefährlich, Blut ist schön, Blut ist mächtig und nur Blut ist ewig«, übersetzt Tharin Laena und ich spüre eine Gänsehaut über meine Arme wandern. »Es ist sozusagen der Leitspruch unseres Volkes. Man nennt es Fëryz. Beinahe jedes Volk der Wesenwelt besitzt einen.«
Die große Halle wird mittlerweile nur noch von den großen Kronleuchtern erhellt, da das Tageslicht von draußen erstorben ist. Die vielen Kerzen werfen ein warmes Licht auf die drei großen Staturen, die sich hoch über die Gestalten darunter erheben.
»Wen stellen sie dar?«, frage ich Tharin Laena weiter, während wir die langen Treppen hinunterschlendern und deute auf die Marmorgebilde.
Laena deutet auf die Frau zwischen den geschwungenen Treppen. Ihr Kopf ist leicht in den Nacken gelegt und ihre Augen geschlossen, ihre Hände zu beiden Seiten ausgestreckt.
»Dies ist Dysia, die allererste Bluthexe und Tharin. Beinahe alles, was du hier siehst und sehen wirst, ist nur dank ihr erbaut und geschaffen worden«, erklärt sie mit einem leichten Lächeln, während ihr Blick beinahe ehrfürchtig über das Denkmal schweift, ehe er sich auf die beiden anderen legt.
»Joela, die Göttin des Lebens und Deides, der Gott des Todes. Zwei der zwölf großen Götter.«
»Wie wurde Dysia die erste Bluthexe?«, frage ich und sehe an der gigantischen Statur hinauf, die, nun da wir am unteren Treppenabsatz angekommen sind, nur noch riesiger erscheint.
»All das werdet ihr noch in eurer Ausbildung erfahren. Darüber wollte ich sowieso noch mit euch sprechen. Wir unterrichten unsere Kinder normalerweise bis zum 17. Lebensjahr nur in der Theorie der Wesenwelt und den Wissenschaften. Erst dann beginnt die magische Ausbildung. Ihr werdet also vorerst privaten Theorieunterricht bekommen und dann am Training der anderen Schüler teilnehmen.«
»Und danach?«, fragt Keith, noch bevor ich alles vollständig aufgenommen habe.
»Danach würde für gewöhnlich eine Berufsausbildung beginnen für eine Arbeit in Dysia. Vorausgesetzt ihr wollt bleiben natürlich«, erwidert sie und sieht uns an.
»Ich schätze das wird sich noch herausstellen«, antwortet Keith lediglich und macht sich an den Aufstieg der Treppen zum östlichen Gang, der zur Krankenstation führt.

Keiths Stärke kehrt jeden Tag ein wenig mehr zurück und es vergehen nur drei weitere Tage bis Amaya in Keiths Zimmer erscheint, um uns mitzuteilen, dass wir in normale Zimmer umziehen können.
Diesmal fallen mir die Blicke stärker auf, während wir Amaya durch die Gänge folgen. Manche sind auf eine gewisse Art grimmig, doch die meisten sind neugierig und interessiert.
»Es passiert nicht oft, dass Neue hier ankommen, oder?«, frage ich Amaya, nachdem wir in der großen Halle eine Gruppe junger Bluthexen passiert haben, die uns allesamt forschende Blicke nachgeworfen hatten. Amaya schmunzelt. »Nicht allzu häufig und noch seltener Bekannte«, erwidert sie und wirft mir einen kurzen Blick zu, während wir die Stufen zum westlichen Gang hinaufsteigen. Selbst von dem Vorsprung aus sind wir noch nicht einmal annähernd auf Augenhöhe mit der Skulptur von Joela zu unserer Linken. »Ich denke Keith schauen sie auch noch aus einem anderen Grund hinterher.«
Das dunkelhaarige Mädchen hebt eine Augenbraue und wirft ein Grinsen zu uns. Keith hebt fragend eine Augenbraue und sie lacht, ehe sie ihre Aussage erklärt. »Das Verhältnis von Bluthexen und Bluthexern ist kaum ausgeglichen. Männlicher Zuwachs verursacht ausnahmslos immer Interesse.«
Ich blicke schmunzelnd zu Keith hinauf, doch dieser verzieht nur leicht das Gesicht. »Nicht wirklich mein Typ«, kommentiert er die letzte Gruppe an der wir vorbeigegangen sind. Ich schüttele grinsend den Kopf. In der Zwischenzeit habe ich mir den Weg, den wir gegangen sind, nicht gemerkt, sodass ich Zweifel bekomme, dass ich mein Zimmer später überhaupt wiederfinden werde. Vor einer der dunklen Holztüren bleibt Amaya stehen und öffnet sie. »Keith, das ist deines«, erklärt sie und lässt ihn eintreten. Ich folge ihm und bleibe schräg hinter ihm stehen, um einen Blick durch den Raum zu werfen. Ein großes Bett steht darin, ein Schrank, eine Kommode und ein Schreibtisch. An der Seite ist noch eine Tür, vermutlich ein kleines Bad wie in den Krankenzimmern.
»Ihr werdet auf dem Marktplatz weitere Kleidung bekommen«, meint Amaya vom Gang aus und ich werfe einen Blick zu ihr. »Es gibt einen Marktplatz?«, frage ich überrascht und sie nickt. »Natürlich, Dysia ist eine Stadt.«
»Wir haben kein Geld«, erwidert Keith, während er nach mir wieder aus dem Raum heraustritt.
»Es existiert keine monetäre Währung«, entgegnet Amaya, »Dysia basiert auf Geben und Nehmen. Solang man seinen Teil beiträgt kann man auch nehmen.«
Ich hebe leicht die Augenbrauen und folge ihr mit Keith weiter den Gang hinunter.
»Wird das nicht ausgenutzt?«, frage ich und Amaya schüttelt den Kopf.
»Es hat Jahrhunderte so funktioniert«, erwidert sie und bleibt dann vor einer weiteren Tür stehen. »Tharin Laena hat angeboten, dass du dieses Zimmer bekommst«, meint sie und öffnet die Tür, »Es gehörte deiner Mutter.«
Ich sehe sie überrascht an und mein Magen sinkt bei der Vorstellung. Ein seltsam nervöses Gefühl breitet sich in meinen Gliedern aus, als ich eintrete. Die Größe des Raumes und die Möbel sind ähnlich zu denen, die in Keiths Zimmer stehen, aber es gibt zusätzlich einen Spiegel, sowie ein paar Bilder an den Wänden.
»Nachdem sie fortging hat niemand je ihr Zimmer neu bezogen«, erklärt das dunkelhaarige Mädchen hinter mir, »Ihre persönlichen Sachen sind nicht mehr hier, sie wurden bei ihrer Totenzeremonie verbrannt.«
Ich betrachte schweigend jede Ecke des Raumes, mache aber keinen Schritt weiter hinein. Mehrere Sekunden erwidere ich nichts, weswegen Amaya erneut die Stimme erhebt. »Wenn du ein anderes Zimmer möchtest ist das auch okay, es gibt noch ein anderes freies auf dem Gang.«
»Nein, ich nehme es«, erwidere ich ohne nochmal zu zögern, erst dann drehe ich mich wieder zu den Beiden um. Keith hat sich in den Türrahmen gelehnt, abwartend zu mir sehend. Amaya steht vor ihm und nickt mir lächelnd zu. »Okay«
Sie will gerade weitersprechen, als ein tiefer Glockenschlag durch die Gänge hallt. Das Mädchen schmunzelt.
»Ich hoffe ihr habt Hunger.«

Die Bluthexen II - Denn Blut ist schönWo Geschichten leben. Entdecke jetzt