Fünf

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Meine Träume sind gefüllt von gefletschten Reißzähnen, scharfen Klingen und blutbefleckten Kleidern. Es ist nie eine zusammenhängende Handlung, vielmehr als hätte man einzelne Teile verschiedener Filmrollen herausgeschnitten und sie in zufälliger Reihenfolge wieder zusammengeklebt.
»Miena«
Ich zucke heftig zusammen, als sich plötzlich eine Hand an meine Schulter legt. Nach Luft schnappend fahre ich in eine sitzende Position und entfliehe der Berührung. Neben meinem Bett steht jedoch nur Keith und sieht mich besorgt an.
Ein Stöhnen kommt über meine Lippen, als ich sehe, dass er es ist. Erschöpft lasse ich mich zurück in die Kissen sinken, mir mit den Händen übers Gesicht reibend.
»Hey, was ist los?«, ertönt seine vertraute Stimme und ich spüre, wie er sich auf die Bettkante setzt. Ich spüre einen Stich in meiner Brust, als mir die Ähnlichkeit zu Momenten mit Yesko auffällt. »Wie bist du überhaupt hier rein gekommen?«, nuschele ich nur eine Gegenfrage. Mein Kopf fühlt sich an, als wär er mit Sand gefüllt, meine Gedanken sind träge und undeutlich. Hatte ich gestern Abend nicht abgeschlossen?
»Als du nicht auf mein Klopfen reagiert hast, habe ich die Tür mit einem Zauber geöffnet«, erwidert er.
Ich seufze, während ich mich aus dem Bett schiebe. Wofür baut man hier überhaupt Schlösser ein, so als könnte sie nicht sowieso jeder öffnen?
»Hast du die Glocke nicht gehört?«, fragt Keith vom Bett aus, während ich zur Kommode gehe, wo ich gestern meine Sachen abgelegt habe. Die Glocke ertönt dreimal vor jeder Mahlzeit und ist eigentlich überall in Dysia deutlich zu hören.
»Scheinbar nicht«, entgegne ich nur auf meinem Weg ins Bad, ehe ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen lasse.

Die vielen Stimmen im Speisesaal kommen mir lauter und störender vor als sonst. An unserem üblichen Tisch sitzen bereits Amaya und Vera zusammen mit ein paar anderen Jugendlichen. Ich kann mir ihre Namen nicht merken, während wir einander vorgestellt werden und halte mich auch den Rest der Mahlzeit im Hintergrund, bis wir endlich zum Marktplatz aufbrechen. Passend zu meiner Stimmung scheint heute auch keine Sonne durch die gewölbten Fenster in der großen Halle. Amaya und Vera führen uns in den südlichen Gang, zwischen den Staturen von Joela und Deides hindurch. Der Flur ist nicht lang, bis eine Wendeltreppe am Ende hinauf und hinunter, tiefer in den Berg führt. Die Geräuschkulisse verändert sich langsam, während wir die Stufen hinuntergehen. Weiterhin hat man das Gefühl, dass von jeder Wand entfernte Stimmen wiederhallen, doch es mischen sich neue Geräusche hinzu wie stählernes Hämmern, das entfernte Knistern von Feuer und weitere kaum wahrnehmbare Laute. Am Fuß der gewundenen Treppe öffnet sich ein breiter Flur von dem zu jeder Seite Gänge abgehen. Beim Vorbeigehen erhasche ich Blicke auf Schmieden, Nähereien und sonstige Handwerksstätten, die sich hinter diesen Durchgängen auftun. Geradeaus ist bereits aus unserer Entfernung der weitläufige Marktplatz zu erahnen.
»Der Markt hat von hier aus direkte Anbindungen an die Tunnel nach draußen, sodass Lieferungen von außerhalb auf direktem Weg hier ankommen können«, erklärt Amaya, als wir am Rand des Platzes stehen bleiben und das mäßige Treiben darauf betrachten.
»Und man nimmt die Sachen einfach mit?«, hakt Keith skeptisch nach.
»M-Mh, sucht euch was aus«, entgegnet Vera zustimmend und schlendert dann bereits zwischen die vielen Reihen von aufgebauten Ständen.
Amaya lächelt uns kurz zu, ehe sie ihrer Freundin folgt.
Keith und ich werfen uns einen kurzen Blick zu und gehen den beiden dann nach. Auf den langen Warentischen liegen die verschiedensten Dinge aus. Von Kleidung über Schmuck bis hin zu Taschenuhren und Dekorationen wie Gemälden sehe ich alles. Ich lasse die Fingerkuppen über den robusten Leinenstoff einiger Blusen und Hemden streichen, bis ich bei Wollpullovern ankomme, von denen ich mir letztlich zwei unter den Arm klemme. Nach etwa einer halben Stunde in der wir über den Platz geschlendert sind, haben Keith und ich jeweils einen Rucksack auf der Schulter mit Kleidung, die fürs erste reichen sollte. Außerdem haben wir uns auf Caius Anweisung, die uns Amaya überbracht hat, noch Notizbücher, sowie Federn eingesteckt.
»Wieso gab es eigentlich nirgendwo Bücher?«, fragt Keith, als wir die Treppen wieder hinaufsteigen. Amaya hebt die Schultern. »Ich denke die Bibliothek enthält beinahe jedes erdenkliche Buch, deswegen werden hier seltenst welche angeboten.«
Ich spüre Keiths augenblickliche Aufmerksamkeit ohne ihn anschauen zu müssen.
»Wo ist sie denn?«, fragt er und die schwarzhaarige Bluthexe schmunzelt. »Wir können hingehen wenn ihr wollt.«
Zwar würde ich mich gern wieder ins Bett legen, da gerade die Müdigkeit wieder über mir zusammenschlägt, aber ich weiß, dass ich das so oder so nicht tun werden kann, weshalb ich auf Keiths fragenden Blick in meine Richtung mit einem Nicken antworte.

Die Bluthexen II - Denn Blut ist schönWo Geschichten leben. Entdecke jetzt