Akt III. - Illian

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»Au, pass doch auf«, presste der Junge am Boden hervor und sah seinem Gegenüber grimmig ins Gesicht. Hätte es nicht ausweichen können?

Vor Justus stand ein Junge, kaum älter als der Jugendliche selbst, doch er wirkte viel ernster als alle Gleichaltrigen, die Justus kannte. Die strengen Brauen über den komischen Augen des Fremden waren missbilligend zusammengezogen und der Ausdruck um seinen Mund war hart.

»Wie kommst du hier her?«, fragte der Junge und seine Stimme hatte etwas Schneidendes. Sie war tiefer als die von Justus, der noch immer mit den Ärgernissen des Stimmbruchs zu kämpfen hatte.

»Keine Ahnung. Durch einen Tunnel? Ich bin hier auf der Wiese eingeschlafen.«

»Das sehe ich. Das interessiert aber nicht.«

»Bist du immer so nett?«

Der düstere Junge ließ kurz seine Augenbraue zucken, bevor er sich etwas vorbeugte und Justus, der noch immer im Gras saß, seine Hand reichte, um ihm aufzuhelfen. Dieser reckte sich leicht und ergriff sie.

In der Sekunde, als sie sich berührten, durchflutete ein noch nie gekanntes Gefühl Justus. Es war, als würde er diesen Jungen von irgendwoher kennen, irgendetwas an ihm war dem Jugendlichen so vertraut wie ein liebgewonnenes Kissen, ohne das man nicht einschlafen konnte. Justus fühlte etwas, doch er konnte nicht den Finger darauf legen, denn schließlich hatte er diesen mysteriösen Fremden noch nie zuvor gesehen. Er sah nicht aus wie einer der lausbubenhaften Burschen aus seiner Schule oder der Nachbarschaft, er wirkte eigentlich überhaupt nicht wie ein normaler Mensch, selbst wenn er wie einer aussah. Irgendetwas an ihm war anders.

Der Junge zog den Anderen auf die Beine und sofort die Hand wieder zurück, doch seine seltsamen rötlichen Augen fixierten ihn.

»Wer bist du? Ich bin Justus. Kannst du mir sagen, wo ich hier eigentlich bin?« Der Jugendliche putzte sich die Hosen ab und linste argwöhnisch nach oben. Die Fledermäuse flogen in einer Konstellation kreisförmig über dem Kopf des seltsamen Jungen, der nun leicht die Lippen schürzte.

»Man nennt mich Illian und du befindest dich hier in den Düsterlanden.«

»Noch nie gehört ...«

»Das hat einen Grund. Du darfst nicht hier sein!«

Justus zog eine Braue hoch. »Kein Anlass, gleich feindselig zu werden. Ich wusste nicht mal, dass ich hier rauskomme. Ich bin ... einfach nur in ein Rohr geklettert.«

»Macht man das da, wo du herkommst? Blindlings irgendwo hineinkriechen? Geh' zurück. Es ist verboten für jemanden wie dich, hier zu sein.«

»Für ... jemanden wie mich?« Der Jugendliche stutzte und sah Illian ins Gesicht. Der wirkte noch ernster als vorher und nickte langsam.

»Ja. Geh' zurück, bevor man dich entdeckt.«

Justus war von Natur aus zu neugierig, um sich einfach etwas vorschreiben zu lassen und so verschränkte er die Arme vor der Brust. »Nur, wenn du mir sagst, warum ich nicht hier sein darf.«

Illian knurrte und seine merkwürdigen Augen gewannen an Intensität. Als er die Zähne bleckte, zuckte sein Gegenüber zurück. Offenbar hatte es einen Grund, warum die Fledermäuse den Jungen wie ihren menschlichen Anführer behandelten.

»Stell' keine Fragen. Entweder bist du einfach nur fürchterlich penetrant oder schlichtweg dumm«, er reckte die Finger seiner linken Hand und aus seinem Ärmel glitt etwas, das Justus erschreckend an einen Knüppel erinnerte. »Gehst du freiwillig oder muss ich nachhelfen?«

Der Jugendliche hob die Hände. »Schon gut ... schon ... gut ... Agh!« Er zuckte zusammen, denn der Fledermausschwarm hatte wieder angefangen, auf ihn niederzugehen.

Justus & IllianWo Geschichten leben. Entdecke jetzt