3. Kapitel

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Mum weiß jetzt also, was Apex Legends ist. Und laut Konfi Annan, der mal Generalsekretär der UNO war, ist Wissen macht. Aber Leonardo da Vincis Spruch: „Wo man schreit, ist keine klare Erkenntnis", passt vielleicht besser zu unserer Familie. (Bitte denkt jetzt nicht, ich wäre super belesen oder so was. Mum hat mir letzten Monat ein Buch mit Zitaten berühmter Menschen gekauft, in dem ich beim Fernsehschauen ab und zu herumblättere). Jedenfalls kann man in diesem Fall nicht von „Wissen ist macht" sprechen, weil Mum keine Macht über Arian besitzt. Gleich nachdem Mittagessen ist er in sein Zimmer verschwunden. Gleich danach als es an der Tür klingelte, habe ich mich schnell auf den Balkon verzogen, der so etwas wie mein persönlicher Rückzugsort ist. Hier kommt nie irgendwer her, weil jeder weiß das ich mich hier zurückziehen. Manchmal kommt meine Katze Bella mich besuchen und wir kuscheln gemeinsam in der Hängematte. Ich höre den Streit von Mum und Arian bis hierher. Seinen Spielkameraden Lukas höre ich jedoch weniger. „Hey". Lukas Stimme überrascht mich so, dass ich erschrocken von der Hängematte springe. Ich habe ziemlich gute Reflexe. Hypersensibel. Wie der Rest von mir. Er steht in der Tür. Ein schwarzhaariger Junge mit Saphir blauen Augen, ausgeprägten Wangenknochen, zerzausten Haaren und einem strahlend weißen Lächeln. Er kommt herein, und ich spanne mich instinktiv an. Wahrscheinlich hat er sich aus dem Staub gemacht, als das Mum-Arian-Gewitter aufzog. Aber niemand kommt einfach so hierher. Das ist mein Refugium. Hat Arian das nicht erwähnt?
Meine Brust hebt und senkt sich panisch. Mir schießen Tränen in die Augen, und meine Kehle wird eng. Ich muss...ich kann nicht mehr...weg. Ich kann die Stimme von Mrs. Finsk in meinem Kopf hören.

Atme ein und zähle bis vier. Atme aus und zähle bis sieben. Dein Körper hält die Bedrohung für real, Zara.

„Hi", sagt er noch einmal. „ Ich bin Lukas. Und du bist bestimmt Zara oder?. Ich versuche mir, die Worte von Mrs. Finsk  in den Verstand zu hämmern, aber sie werden von der Panik weggefegt. Sie hüllt alles ein.
„ Trägst du die immer ?". Er deutet mit seinem Kinn auf meine Sonnenbrille. Mein Herz rast vor Todesangst. Irgendwie schaffe ich es, mich an ihm vorbeizudrängen. „Sorry", keuche ich und hetze in den Flur hinaus. Die Treppe hoch. In mein Zimmer. In die hinterste Ecke. Hinter dem Vorhang, wo ich mich auf dem Boden zusammenkauere. Mein Atem schnauft und mir strömen Tränen über mein Gesicht. Ich brauche Escitalopram, aber im Moment schaffe ich es noch nicht mal, hinter dem Vorhang hervorzukommen, um mir eine Tablette zu holen. Ich klammere mich an den seiden weichen Stoff meines Vorhangs. „ Zara?"
Mum ist an der Tür, und ihre Stimme ist vor Sorge ganz hoch. „ Schatz, was ist passiert?". „Es ist nur...du weißt schon". Ich schluckte. „ Dieser Junge kam rein und ich habe nicht damit gerechnet und...".
„ Ist schon okay. Wirklich. Das ist absolut nachvollziehbar. Willst du eine...". Mum spricht den Namen des Medikamentes nie laut aus. „Ja"
„Ich hole sie dir"

Jetzt wisst ihr es also.
Das heißt wissen tut ihr es wohl nicht-ihr vermutet es. Dann will ich euch nicht länger auf die Folter spannen. Meine Diagnose lautet: Soziale Phobie und generalisierte massive Angststörung mit depressiven Episoden. Episoden. Als wäre Depression so eine Sitcom, bei der es jedes Mal eine witzige Pointe gibt. Oder eine Serienstaffel, bei der jede Folge mit einem Cliffhanger endet. Der einzige Cliffhanger in meinem Leben ist die Frage : „ Werde ich diesen ganzen Scheiß jemals loswerden?". Und glaubt mir alle Chancen stehen auf nein.

Schau mir in die Augen, ZaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt