2 | Jadegrün

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Charlie:
16:34 Uhr. Genervt schaute ich zum hundertsten Mal auf mein Handy. Noch 3 Stunden und 11 Minuten, dann fing endlich das Konzert an.
Der Lärmpegel, der jetzt schon vor dem Stadium herrschte, war unglaublich und die Minuten zogen sie wie eine zähe Kaugummimasse.

Vic hatte darauf bestanden, dass wir extra früh losfahren sollten, damit wir, ich zitiere, „die besten Plätze überhaupt" bekommen konnten. Natürlich, wie sollte es auch anders sein, hatten hunderte andere genau die selbe Idee gehabt. Und mit genau diesen standen wir nun hier und versuchten alles, um uns nicht die Beine in den Bauch zu stehen.

Seufzend zog ich mein T-Shirt zurecht und blickte erneut auf mein Handy. Immer noch 16:34. Die Minuten zogen sich wie Stunden.

An diesem Märzmorgen war es außergewöhnlich warm und ich hatte mir bereits meine jadegrüne Windjacke um die Hüfte gebunden. Vor Langweile fast umkommend drehte ich mich zu Vic um, die schon seit wir in dieser Schlange standen, angeregt mit den anderen Fans quatschte. Von ihr würde ich sobald wahrscheinlich keine Ablenkung gegen mein Gähnen bekommen. Außer natürlich ich mischte mich in das Gespräch der drei jungen Mädchen ein. Hätte ich gewusst, warum genau sie über eine Haarlänge diskutierten, hätte ich das vielleicht sogar getan. Stattdessen wendete ich mich meiner Linken zu und betrachtete die anderen Leute, die mit uns im Freien standen.

Vor der Olympiahalle hat sich bereits eine ewig lange Schlange gebildet, eingegrenzt durch einen einfachen Bauzaun. Ich ließ meinen Blick höher wandern und betrachtete die Baumkronen. Sie waren erst vor kurzem geschnitten worden und bildeten nun eine perfekte, grün strahlende Kugel. Ein leichter Windzug strich mir übers Gesicht und ich hörte um mich leises Vogelgezwitscher.

Plötzlich überkam mich eine Ruhe, die ich wohl unbewusst schon Wochen lang herbeigesehnt hatte. Seit ich in den Weihnachtsferien begonnen hatte, mein Auslandsjahr zu planen, stand ich die ganze Zeit auf Strom und war nicht mal nachts zur Ruhe gekommen. Doch jetzt, so kurz vor meiner Abreise, war endlich alles geklärt und ich konnte mich in Frieden zurücklehnen und einfach nur noch genießen.

Auch wenn ich das Vic gegenüber niemals zugegeben hätte, freute ich mich inzwischen doch ziemlich auf das Konzert. Den lauten Lärm der Teenies, die wohl schon begonnen hatten, sich warm zu kreischen, ignorierend, blickte ich nach oben in den Himmel. An dem strahlend blauen Himmelszelt war nicht eine Wolke zu sehen und es versprach ein warmer Abend zu werden.

Die Silhouette der Olympiahalle hob sich gegen die Sonne ab und zeigte mir mal wieder ihre massiven Ausmaße. Von diesem Anblick fasziniert zog ich mein Zeichenbuch aus meiner Umhängetasche. Es bedeutete mir, nicht nur durch seinen inzwischen ziemlich abgegriffen braunen Ledereinband, sondern auch einfach durch seine Bedeutung sehr viel und es begleitete mich einfach überallhin.

In meiner Jackentasche ertastete ich die Form eines Bleistiftes und suchte mir einen Weg durch die zahlreichen Kaugummipapierchen, Taschentücher und Himbeerbonbons. Mit dem grauen Stift in der Hand ließ ich mich schließlich kurzerhand einfach auf dem Boden nieder und begann zu zeichnen.

Ich würde nie behaupten, dass ich gut zeichnen konnte, doch ,was ich sagen konnte, war, dass das Zeichnen meine Leidenschaft darstellte. Schon als kleines Kind konnte man mich kaum ohne einen Stift in der Hand finden und ich hatte meine Mutter schon im jungen Alter damit in den Wahnsinn getrieben.

Ihrer Meinung nach war das Zeichnen keine Zukunftsmöglichkeit, nicht einmal ein Hobby. Sie hasste es, wenn ich nach der Schule mit bemalten Händen heimkam und so hatte ich nicht wenige Male den Bus bei dem Versuch verpasst, mir auf der Schultoilette die Hände zu schrubben, bis sie krebsrot angelaufen waren.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 30, 2019 ⏰

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