Ella

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Sorgsam strich sie die Falte auf ihrem Kleid glatt. Die Stille umfing sie wie ein sanfter Schleier und legte sich auf ihr erhitztes Gemüt. Ihre Wut verflog im Nachtwind und ihr Enttäuschung wurde mit dem kühlen Frühlingsregen davon gespült. Stattdessen machte sich nun die alt bekannte, grenzenlose leere in Kat's Brust breit. Ihr Atem ging flach und stoßweise. Das Moos unter ihren Knien war weich und wiegte sie in Geborgenheit. Tränen flossen ihre Wangen hinunter. Eine jede rollte zu Boden und verschwand in der schwarzen Friedhofserde. Kat schluchzte leise. Alles wirkte so unwirklich, so unendlich weit weg. Der Streit mit ihrer besten Freundin, ihre schlechten Schulnoten, der Suizid ihres festen Freundes, alles dass verschwand mit dem Ruf des Käuzchens und wehte mit dem aufkommenden Sturm davon. Sturm. Genau so fühlte sich das an was Kats Gefühle in ihrem Kopf taten. Und dann hatte sie gelächelt. „Einen schönen Tag noch!" hatte sie ihrer Lehrerin zu gerufen und war gegangen. Sie hatte nach hause gewollt, aber der Gedanke an das leere Haus hatte ihr wieder einen Stich ins Herz versetzt. Sie war in die Bibliothek gegangen. Und dann hatte sie von Finn erfahren. Sie hatten so oft darüber gesprochen und immer war dort diese Angst in Kat gewesen, die ihr Herz langsam in kleine Schnippsel zeriss und bewirkte dass Kat innerlich zerbrach. Jetzt fühlte sie sich so verloren und allein. „Warum weinst du, mein Kind?" hörte Kat eine ruhige, warme Stimme hinter sich fragen. Kat hatte sich auf dem Boden zusammen gerollt, aber jetzt richtete sie sich langsam auf. „Wer ist da?" rief sie in die Dunkelheit. „Oh, nur eine alte Frau die etwas Gesellschaft sucht. Mein Name ist Ella und wer bist du?" fragte eine ältere Dame mit Schulter langem mondweißem Haar die hinter Kat an einem Grab hockte. „Ich bin Kat" gab Kat mit dünner Stimme zurück. „Was macht ein so junges Ding so spät noch hier draußen? Du solltest längst im Bett sein!" seufzte Ella. Die Kirchturmuhr schlug 12. Kat blinzelte. „Ich habe wohl die Zeit vergessen." Gab Kat kleinlaut zu und strich sich ihre feuchten blonden Haare auf den Rücken. „Aber", bermerkte Kat, „warum sind sie hier?" „Ich besuche nur eine alte Freundin die in ihrem Leben viele Fehler gemacht hat. Ja, sie war wirklich eine böse Frau, aber ich mochte sie. Manchmal hoffe ich wenn ich so spät noch hierher komme sie nochmal sehen zu können, sie berühren zu dürfen bevor sie für immer verschwindet." Erzählte Ella und schaute auf den Grabstein vor ihr. Eine einzige Kerze erleuchtete das Grab. Am Himmel leuchtete kein Mond. Kat hatte den Neumond immer beängstigend gefunden, aber jetzt war sie froh über die Dunkelheit die sich wie eine Decke um sie hüllte und warm zu halten schien. „Sie wird wohl heute nicht mehr kommen.", Erwiderte Kat freundlich und sanft, „kann ich ihnen helfen Ella? Soll ich sie nach hause begleiten?" „Ah, du willst wohl noch nicht in die Einsamkeit eines leeren Zimmers zurück, wie?" grinste die Frau. Kat wurde rot. Ellas Lächeln erlosch langsam und wichen einem schaurigen Ausdruck. „Nein, du kannst mir nicht helfen, aber ich werde dir helfen nach hause zu kommen." Meinte Ella schließlich und schaute Kat an. Jetzt erst bemerkte Kat wie eingefallen die Wangen der alten Ella waren und wie traurig ihre kühlen blauen Augen. In ihrer Jugend musste Ella ein schönes Mädchen gewesen sein, aber jetzt war sie nur noch ein Schatten. „Nach Hause?" fragte Kat irritiert. „Ja, nur muss ich dir vo r her eine Frage stellen und du musst genau über sie nachdenken." Erklärte Ella. Kat nickte. Jede Zerstreuung war ihr jetzt recht. „Wo ist sie zu Hause, deine Seele? Wo lebt sie?" fragte Ella langsam und mit unerwartet kühler Stimme. Kat drehte ihr Gesicht zum Himmel hinauf und beobachtete eine Wolke. Ella verdrehte den Kopf um 180 Grad und zurück in seine ursprüngliche Stellung, wo er mit einem leisen knacknack einrastete. Dann rollte die alte Frau ihre Augäpfel in alle Richtungen. Kat sah nur die Wolke und das Käuzchen auf der alten Linde. „lebt sie nicht in meinem Körper?" fragte Kat schließlich. „Oh nein, mein Herz! Sie verlässt ihn manchmal und dann heften wir sie an etwas und wollen es dann nie wieder los lassen. Aber haben wir sie an etwas falsches geheftet will sie zu und zurück in einen warmen Körper. Doch bedenke, immer wenn sie sich löst lässt sie ein Stückchen zurück. Überall dort wo sie ein Stück lässte möchtest du sie wieder hin schicken, aber sie will nicht! Und dann kommt der Tag an dem sie frei sein möchte, deine Seele. Und wohin wird sie dann gehen? Wo wird ihre letzte Zuflucht sein wenn sie und mit ihr ihre lebenswichtige Wärme dich für immer verlässt?" erläuterte Ella. Wieder verlor Kat sich in ihren Gedanken und beobachtete einen Nachtfalter der zur Straßenlaterne flog. Ein Streifen modriger Haut löste sich von Ellas aschfahlen Gesicht. Sofort drückte sie ihn zurück, noch bevor Kat es bemerkte. „Ich glaube sie wird dahin gehen wo sie sich am wohlsten gefühlt hat, dahin wo sie sich zu Hause fühlt." Antwortete das zarte junge Mädchen mit den langen blonden Haaren, der Elfen gleichen Gestalt und dem weißen Sommerkleid. Plötzlich schienen ihre Traurigkeit und Leere wie fort geblasen und machten einer nachdenklichen Kühle Platz. „Ganz genau. Und wo ist deine Seele zu Hause? Wo wird sie wenn alles zu Ende ist ankommen und sagen: Endlich daheim?" fragte Ella sanft. „Ich weiß nicht..." stellte Kat fest. „Dann schließ deine Augen Kind! Und nun denke an den Moment an dem deine Seele vor Freude am höchsten sprang, an den Ort wo sie am glücklichsten war und an all jene für die du alles tun und geben würdest oder alles getan oder gegeben hättest, hättest du nur die Chance dazu gehabt!" erklärte Ella und legte eine Hand auf Kats Brust. Mit einem Schlag öffnete Kat ihre Augen und wollte schreien. EllasBerührung schmerzte sosehr als würden tausend Nadeln Kats Brust durchbohren und all diese schönen Gedanken und Gefühle aus ihr heraus saugen. Doch kein Laut glitt über Kats Lippen, nur ein ersticktes Wimmern. „Und nun", säuselte Ella, „schicken wir deine Seele genau dorthin, in deinen Himmel, nun bringen wir sie nach Hause!" Kat wurde schwarz vor Augen. Im nächsten Moment war der Schmerz verflogen. Kat fühlte sich mit einem Mal so leicht und befreit. Tatsächliuch, als sie sich vom Boden abdrückte schwebte sie. Immer hoher flog sie in den Himmel hinauf. Neben ihr schwebte eine alte Frau mit mondweißem Haar und eingesunkenen Wangen. Einen letzten Blick warf Kat zu Boden, wo ein kleines zartes Mädchen vor einem blassen Grabstein erfroren war. Die Elfenhafte Gestalt ruhte im Moos. Ihr langes blondes Haar bildete einen Kreis um ihren Kopf wie ein Heiligenschein. Noch ein letztes Mal strich Kat die Falte auf ihrem Kleid glatt. Schon fest in den Wolken erhaschte Kat eine Blick auf die Kerze die im Nachtwind erlosch, ein letzter Blick auf die Innschrift auf dem Grabstein. R.I.P., Ella Modette. Das Käuzchen schrie d erhob sich von seinem Ast. Ein kleines Stück begleitete es Kat über die Wolken hinaus. Kat lächelte seelig. „Ich komme jetzt nach Hause Finn!"

Ende

EllaWhere stories live. Discover now