Busunfall

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Notfalldarstellung 06.04 AIM Notarztkurs


Szenario: ManV, Bus gegen 3 PKW


Diese Fahrt in den Freizeitpark sollte etwas ganz besonderes werden, doch jetzt ist alles so anders... Ich sitze halb im Gang, halb unter dem Sitz, gegenüber der hintern Einstiegstür. Bei dem Aufprall stand ich im Gang, knallte mit dem rechten Bein gegen eine Haltestange und rutschte dann unter den Sitz. Das Knacken in meinem Oberschenkel habe ich kaum gespürt.


Um mich herum sitzen und liegen schreiende Menschen, neben mir eine junge Frau, sie atmet kaum noch und ist leichenblass, hinter mir hängt eine Frau über eine Querstrebe, aus ihrem Oberschenkel ragt ein Knochen und sie hält sich die Rippen. Auch sie atmet sehr schwer. Zwischen den Sitzen sehe ich weiter vorn ebenfalls ein Mädchen liegen. Sie blutet aus Nase und Ohren und regt sich nicht mehr. Ich schaue ich um und hinten im Bus hält sich eine schreiende Schwangere den Bauch. Neben ihr eine ältere Dame, die verloren geradeaus schaut. Sie blutet im Gesicht und ein Auge färbt sich langsam rotblau. Die anderen schreien, weinen, einige versuchen die Scheiben einzuschlagen, andere wollen den Verletzten helfen. Alles bewegt sich wie in einem Film, als wäre es nicht real.


Als das Adrenalin meinen Körper verlässt mischt sich auch in meinem Bein der Schmerz ein. Langsam aber sicher registriere ich, was passiert ist und versuche vorsichtig meinen Fuß zu bewegen. Sofort schießt ein starker Schmerz durch mein Bein, ich schreie. Mit zunehmenden Schmerzen steigt meine Panik. Ich muss hier raus, mein Bein tut höllisch weh und überhaupt muss doch schon längst jemand zur Hilfe hier sein. Dass der Unfall erst ein bis zwei Minuten her ist und jetzt in diesem Moment erst jemand einen Notruf absetzt ist mir nicht klar.



Passanten sind draußen keine, wir sind allein in unserem Bus, die Türen blockiert. Was vorn passiert kann ich nicht sehen, der Sitz unter dem ich liege versperrt mir die Sicht. Die Schmerzen werden zunehmend stärker und ich versuche mich an einer quer verlaufenden Haltestande hoch zu ziehen, um raus zu schauen. Dabei wieder diese unerträglichen Schmerzen. Ich halte es nicht aus ohne zu schreien. Irgendjemand muss doch langsam mal zur Hilfe kommen. Das Schreien der anderen dröhnt in den Ohren und mittlerweile steige ich mit ein. Irgendein schlauer Mensch sagte mal man solle alles rausschreien. Doch schon nach wenigen Atemzügen geht mir die Luft schon aus, die Schmerzen rauben meine Kraft. Vor Schmerz, Angst und Verzweiflung kommen mir die Tränen und aus dem Schreien wird ein Weinen. Es kommt mir vor wie in Zeitlupe. Die Frau neben mir wimmert und die andere hinter mir blutet stark aus der Wunde am Oberschenkel. Ihr Atem geht schwer und sie hat die Augen geschlossen.


Nach einer schier endlosen Zeit höre ich Sirenen draußen. Mit einem Schmerzensschrei ziehe ich mich wieder an der Stange hoch um einen Blick nach draußen erhaschen zu können. Ein Rettungswagen und ein Notarztfahrzeug halten auf der Gegenfahrbahn, in der Ferne kommt ein Fahrzeug der Feuerwehr. Ich beginne wieder damit, aus aller Kraft um Hilfe zu rufen, angetrieben von der Aussicht auf Rettung, dass mich jemand hier raus holt, mir meine Schmerzen nimmt. Einsatzkräfte laufen um den Bus, die Scheibe der vorderen Tür knackt.


Hier! Hier hinten bin ich, unter dem Sitz! Hallo, hier! Holt mich hier raus, bitte! Ich kann nicht mehr, mein Bein tut so weh! Alles Schreien bringt nichts... ich lasse mich wieder auf den Boden sinken, nicht ohne die Schmerzen wieder mit einem Schrei auszudrücken. Ich weiß nicht, was die alle machen, es sind so viele Leute draußen, warum kommt denn niemand her und holt mich hier raus? Ich rufe weiter und weiter, bis meine Stimme schließlich versagt, aber ich gebe nicht auf.



Vor mir und hinter mir stehen Leute auf von draußen dringen Einsatzkräfte durch die zweite Bustür ein. Wer laufen kann wird aus dem Bus geholt.... Ich gehöre nicht dazu. Warum die? Die sind unverletzt, warum nicht die Frau neben mir? Die Frau hinter mir? Das Mädchen im Gang? Diese Frage schreie ich durch den Bus. Mein Bein fühlt sich an als sei es nicht mehr meins, als kämpfe es gegen mich. Die Schmerzen sind unerträglich und ich kann nicht anders als zu schreien. Nach wieder endlosen Minuten bahnen sich zwei Leute den Weg durch den Bus und schauen sich die Leute an, die noch im Bus sind, die, die nicht selbst rausgehen konnten. Ich rufe und winke, bis sie sich zu mir wenden. Einer, er hat LNA auf seiner Weste stehen, fragt mich wo es weh tut, wartet meine Antwort jedoch nicht ab sondern tastet schnell alles ab. Als er zu meinem rechten Bein kommt, schreie ich wieder auf. Er faselt was von „geschlossener Oberschenkelfraktur", hängt mir eine Karte mit einem gelben Zettel um und dann wenden sich beide wieder ab. Sie haben mir nicht mal 30 Sekunden geschenkt.... Enttäuscht und voller Schmerzen beginne ich zu kreischen, das ist alles zu viel. Plötzlich kommen viele Leute von Feuerwehr und Rettungsdienst in den Bus. Niemand scheint mich wahrzunehmen, ein paar schauen zu mir herunter und wenden sich dann ab. Die beiden Frauen neben und hinter mir werden hektisch aus dem Bus gezogen, was Panik in mir auslöst. Immer und immer wieder ziehe ich mich hoch, um mich direkt danach wieder auf den Boden sinken zu lassen, bald schon kraftlos, zu schwach um zu schreien. Ich schaue auf meine Beine, das rechte ist deutlich dicker als das linke, meinen Fuß spüre ich nicht mehr.


Nach gefühlt einer Ewigkeit beugt sich jemand zu mir runter, ich kenne seinen Namen nicht, und fragt mich nach meinem Namen. Dann fragt er wie es mir geht. Endlich jemand, der mich beachtet. Ich weiß nicht wo ich anfangen soll, will am liebsten alles gleichzeitig erzählen. Vom Zittern meines Körpers sind die Schmerzen mehr als nur präsent. Schon nach wenigen Sätzen muss ich absetzen und versuche durchzuatmen. Er legt seine Hand auf meine, sagt er sei einer von den Notärzten und jetzt nur für mich da, bis man mich aus dem Bus holen könne. Er tastet meinen Kopf ab, meine Schultern, fährt über die Wirbelsäule, drückt auf das Becken. Mein rechtes Bein lässt er aus, das linke ist okay. Jemand kommt dazu, seinen Namen habe ich schon vergessen, als er ihn nicht mal ganz ausgesprochen hat, er ist vom RTW. Er kniet sich hinter mich, sodass ich meinen Arm entlasten kann, auf dem ich mich die ganze Zeit aufstütze. Der NA spricht mit ihm. Sie reden von Analgesie, Schaufeltrage, Immobilisation, ich höre kaum zu. Dann spricht er in sein Funkgerät und fordert jemanden mit einem Rucksack in den Bus.



Erst jetzt merke ich, wie viel Kraft mich alles bis hierher gekostet hat und wie müde ich eigentlich bin. Als ich meine Augen hin und her schweifen lasse bleiben sie auf seinem Namenschild hängen. Der Name kommt mir bekannt vor und ich überlege, wo ich ihn schon mal gesehen habe. Als er sich wieder mir zuwendet und mir direkt in Gesicht schaut ahne ich es. Im Praktikum habe ich mehrere Wochen mit ihm gearbeitet, im Krankenhaus auf der Intensivstation. Das scheint er auch begriffen zu haben, denn er grinst mich an. Dann erklärt er mir mit ruhiger Stimme, dass man mich auch gleich hier raus holen würde, dass das aber weh tun wird. Um das zu verhindern will er mir was gegen die Schmerzen verabreichen. Ich wehre mich dagegen, da ich eine Scheiß-Angst vor Nadeln habe. Nach einem Blickwechsel mit dem Mann, in dessen Schoß ich liege, sagte er, das täte ihm jetzt sehr leid, aber es müsse so sein und ehe ich mich versehe, hält der meinen Arm fest und F. schiebt die Nadel in meinen Arm. Dabei zucke ich zusammen und sofort verziehe ich mein Gesicht vor Schmerz. Als F. mir ein Medikament appliziert, scheint die Welt um mich herum zu verschwinden. Ich fühle mich wie auf einer Wolke, neben mir F., der wie durch eine Glaswand mit mir redet. Benommen schaue ich um mich und sehe ganz viele Gesichter, teils von Helmen verdeckt. Dann geht ein scharfer Ruck durch meinen Körper und ein noch stärkerer Schmerz durch mein Bein.


Dann ist plötzlich Stille. Ich liege auf einer geraden Fläche, wie ein harte Platte und fühle mich wie in einer Schaukel. Während sie mich unter dem Sitz weg und auf die Schaufeltrage gezogen haben, schaue ich mich um und versuche klar Gedanken zu fassen. Der Bus ist fast leer, nur der Fahrer und die ältere Dame sind noch hier. Alle anderen sind draußen.


ÜbungsszenarioWo Geschichten leben. Entdecke jetzt