Teil 1 - "Warum fürchten die Menschen dich?"

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Tod hat viele Gesichter. Jedes Mal, wenn er bei mir vorbeikommt, sieht er ein wenig anders aus. Heute hat er die Gestalt eines spindeldürren alten Mannes. Immer trägt er eine Sonnenbrille, weil ich seine Augen nicht sehen soll. Noch nicht. Wenigstens hat er Augen. Leben ist blind, aber Tod sieht.

Seine schlanken, beinah spinnengleichen Finger legen sich um die Teetasse, als er sie an die Lippen hebt. "Der Tee ist heute wieder ausgezeichnet,", lobt er anerkennend, stupst sachte den Strauß getrocknete Vergissmeinnicht an, den ich auf den Küchentisch gestellt habe. Ich würde lebende besorgen, aber die welken, wenn Tod sie berührt.

"Vielen Dank. Du, Tod? Kann ich dich mal etwas fragen?" Ich schaue ihn an, ein wenig nervös. Die Frage liegt mir schon auf der Zunge, seit wir uns kennen, aber ich mag sie nicht stellen, aus Angst, Tod zu verärgern. "Warum denkst du fürchten die Menschen sich so sehr?"

Tod zögert und für einen moment habe ich Angst, ich hätte ihn irgendwie gekränkt. Er kann manchmal sehr empfindlich reagieren, wenn es um die Beziehung der Menschen zu ihm geht. Doch nach wenigen Augenblicken antwortet er: "Ich glaube, die Menschen denken nur, sie hassen mich, aber das ist nicht wahr. Eigentlich haben sie Angst vor Zeit und ihrer Schwester Veränderung."

Ich kenne Zeit und Veränderung und nicht jede Begegnung mit ihnen war besonders schön. Ich kann die Abneigung der Menschen gegen sie verstehen, auch, wenn ich das nie offen zugeben würde. "Das hast du gut gesagt." Tod nickt bloß.

Tee mit dem TodWhere stories live. Discover now