Teil 2 - "Du kennst ja Leben"

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Heute sieht Tod jung aus. Wie ein kleines Mädchen. Er setzt sich auf den für ihn viel zu hohen Küchenstuhl und schwingt die Beine hin und her. Es ist irgendwie lustig, ihn so zu sehen, wo er doch eigentlich immer versucht, so seriös und ernst zu wirken. Aber er ist eben nicht Weisheit. Manchmal darf er auch loslassen.

"Sag, wie geht es Leben?", frage ich. Die beiden sind schon seit Ewigkeiten mit einander verheiratet. Länger, als es Menschen gibt.

Leben ist eigentlich ganz hübsch, hat aber ihre hässlichen Seiten. Ihre Nase ist seltsam geformt und sie hat keine Augen. Darum muss Tod oft einspringen, wenn sie sich in Schwierigkeiten bringt.

"Gut, denke ich. Sie ist launisch wie immer, aber das kennt man ja schon von ihr", antwortet er. "Wir hatten letztens einen Streit, weil ich noch immer fest daran glaube, dass alle Lebewesen gleich sein sollten. Aber du kennst ja Leben."

Ja, das tue ich. Ich kenne sie nur zu gut. Sie ist sehr parteiisch und macht es vielen Menschen leichter als anderen. Etwas, das Tod, der alle als gleich viel wert betrachtet, nicht gutheißen kann. Auch ich finde das etwas unfair, aber Leben ist wahnsinnig gut darin, Geschichten zu erzählen, also lasse ich es ihr durchgehen.

"Sie wird ihre Meinung wohl nie ändern, hm?", seufze ich und Tod nickt. "Warum seid ihr eigentlich noch immer verheiratet, wenn ihr so viel streitet?"

Er zuckt nur mit den Schultern. "Ich kann nicht ohne sie. Und sie nicht ohne mich. Wir sind mit einander verbunden, ob wir es nun wollen oder nicht.

Ich nicke lediglich. Wirklich fair kommt mir das nicht vor, aber ich bin ja auch nicht Gerechtigkeit. Ich darf mir kein Urteil erlauben.

Tee mit dem TodWhere stories live. Discover now