Dir geht es nicht gut. Diesen Satz höre ich jede Woche mindestens einmal. Entweder Mittwochs, wenn ich mal wieder bei meiner Therapeutin bin oder von meiner Mutter, wenn ich mich in meinem Zimmer einschließe und nichts essen will. Essen. Das ist auch so eine Sache, die mir stark zu schaffen macht. Ich kann es einfach nicht. Alles in mir sträubt sich dagegen. Selbst bei dem Geruch könnte ich schon wegrennen. Ich versuche manchmal etwas zu essen, damit meine Mutter sich keine Sorgen machen muss, aber es kommt wie von selbst wieder hoch. Ich kann und will es einfach nicht bei mir behalten. Ich mag es zwar nicht, meiner Mutter Sorgen zu machen, da sie das wirklich nicht verdient, jedoch tue ich genau das jeden Tag. Ich bin kein einfacher Teenager. Ich meine, ich bin schwul und werde deswegen gemobbt. Ich verletze mich selbst. Ich habe keine Freunde. Ich bekomme Panik, wenn zu viele Menschen um mich herum sind. Ich esse nichts. Ich mag es nicht, berührt zu werden. Manch einer würde sich wundern, warum ich noch nicht längst in eine Psychiatrie verfrachtet oder wegen Unterernährung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Ich weiß es selbst nicht. Das einzige worum meine Mutter sich keinerlei Gedanken machen muss, sind meine Noten. Ich habe, dank meiner fehlenden Freunde und der Angst vor Menschen reichlich Zeit für die Schule. Die Hausaufgaben lenken mich von meinen Problemen ab. Deswegen verbringe ich auch so viel Zeit damit. Ich brauche eine Ablenkung. Und weil ich eben mit niemandem reden will beziehungsweise kann, lerne ich Vokabeln, beschreibe den Aufbau des Herzens oder schreibe einen Aufsatz. Ich lese auch sehr viel. Ich mag es nämlich auch nicht, wenn es zu laut ist. Und lesen ist da wirklich eine gute Lösung, da es keinerlei Geräusche verursacht bis auf das Umblättern der Seiten, was, meiner Empfindung nach äußerst entspannend ist. Eine weitere Sache, die ich ungemein gerne tue, ist zeichnen. Ich setze mich auf meine Fensterbank, und zeichne irgendwas, das mir draußen besonders gut gefällt. Mein Fenster zeigt direkt auf den Park, weswegen ich eine Menge guter Motive zu sehen bekomme. Ich muss also noch nicht mal mein Zimmer dafür verlassen. Meine Mutter sagt mir jeden Tag, ich solle doch einmal einen Spaziergang machen und mich mit anderen anfreunden. Manchmal sagt sie auch, ich könnte dort draußen schließlich auch die Liebe meines Lebens treffen. Diese Tatsache bezweifle ich jedoch ziemlich stark. Erstens stehen die Chancen ziemlich schlecht, dass mir zufällig der Typ meiner Träume über den Weg läuft, der obendrein auch noch schwul ist und auch noch etwas mit mir zu tun haben will. Das ist nämlich Punkt zwei. Ich bin nicht sonderlich hübsch. Ich trage immer lange Sachen, die mir zu groß sind, damit niemand sieht, wie abgemagert und von Verletzungen übersäht mein Körper ist. Meine Haut ist blass und ich habe Augenringe so tief wie der Grand Canyon. Meine Haare sind stets zerzaust und lassen sich nicht vernünftig zurecht machen. Meine Augen wirken durch ihre gräuliche Farbe düster und abgestumpft. Meine Lippen sind schmal und zerkaut. Meine Hände sind klein und dünn. Ich bin nicht sehr groß. Alles in allem bin ich also nicht gerade eine Augenweide. 'Cole, mein Schatz, wir müssen gleich los.' Ich zucke leicht zusammen, als meine Mutter ihren Kopf durch die Tür streckt und mich dabei unterbricht, mein Spiegelbild genauestens zu betrachten. Ich nicke und gebe ihr somit zu verstehen, dass ich mich fertig mache. Heute ist Montag, das heißt, ich muss zum Arzt, um mich wiegen zu lassen. Zwar weiß ich, dass ich wieder einmal kein bisschen zugenommen habe, aber was solls. Ich schnappe mir also meine Mütze, welche ich mir tief ins Gesicht ziehe und eile die Treppen hinunter. Dort angekommen, schlüpfe ich in meine Schuhe. Eine Jacke brauche ich nicht, da es bereits Frühling ist und somit angenehme Temperaturen draußen herrschen. Meine Mutter beobachtet jeden meiner Schritte. Sie denkt, ich merke es nicht, dass sie mich so überwacht, doch ich spüre ihre Blicke. Sagen will ich dazu jedoch nichts, da ich auf keinen Fall Streit mit ihr haben möchte. Wir gehen gemeinsam aus der Tür und steigen in ihr Auto. Ich starre die ganze Fahrt über wie gebannt aus dem Fenster und hänge meinen Gedanken nach. Meine Mutter spricht nicht, genauso wie ich. Sie und ich sind gleichermaßen angespannt, wenn es zum Arzt geht und wollen uns mit aufgezwungenem Smalltalk nicht gegenseitig nerven. Also schweigen wir. Das ist immer so. Als wir schließlich ankommen, zieht sich mein Bauch schmerzhaft zusammen. Ich hasse die wöchentlichen Arztbesuche. Jedes Mal muss ich dem Arzt sagen, was ich gegessen habe und wie oft ich es wieder hochgeholt habe. Außerdem gibt er mir irgendeine Spritze mit zusätzlichen Vitaminen und redet dann wie wild auf mich ein, dass ich mir dringend ein anderes Essverhalten angewöhnen müsse. Als ob ich das nicht selbst wüsste. Was ich jedoch am meisten hasse, ist der Teil, an dem er meine Wunden begutachtet. Er tastet an meinem Körper herum, drückt hier und dann da. Ich mag keine Berührungen und solche schon gar nicht. Es fühlt sich widerlich an, wenn jemand so in meine Haut piekt oder darüber fährt. Ich betrete also nur wiederstrebend das große Gebäude. Die Sprechstundengehilfin erkennt mich sofort und begrüßt mich freundlich. Ich nicke nur und begebe mich mit meiner Mutter ins Wartezimmer. Nach kurzer Zeit werden wir auch schon hineingebeten. 'Schönen Guten Tag Cole, wie geht es dir heute?', begrüßt mich der Arzt, wie in jeder Woche. Mehr als ein genuscheltes ' Hallo' bekommt er nie von mir zurück. Er schüttelt meiner Mutter schnell die Hand bevor das übliche Gefrage auch schon losgeht. 'Was hast du in der letzten Woche gegessen?' 'Bananen, ein bisschen Eis, Salat...' 'Und wie viel hast du davon behalten' 'Etwa ein drittel.' 'Gab es Tage, an denen du nichts gegessen hast?' 'Ja, zwei.' 'Und gab es Tage, an denen du nichts bei dir behalten konntest?' 'Ja.'
Er notiert sich meine Antworten und deutet dann auf die Waage. Ich stelle mich darauf und schaue auf die Anzeige: 60kg. Er seufzt. 'Cole, du bist damit ganze 10kg unter dem Normalgewicht, ist dir das bewusst?' Ich nicke nur und setze mich zurück auf die Liege im Krankenzimmer. Ich weiß, was jetzt kommt und so ziehe ich mir schon mal meinen Pulli über den Kopf, sodass ich nun Oberkörperfrei vor meinem Arzt und meiner Mutter sitze. Mein Herz zieht sich zusammen, als ich den Blick meiner Mutter sehe. Ihre Augen sind feucht und sie hat ihren Mund zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Der Arzt fängt an, die blauen Flecken abzutasten und verbindet teilweise aufgeplatzte Wunden neu. Ich mag seine Berührungen nicht und versuche krampfhaft nicht wegzurennen. "Es ist bald vorbei, keine Sorge." Diese Worte wiederhole ich wieder und wieder in meinem Kopf, um einigermaßen ruhig zu bleiben. Als ich sein Zeichen bekomme, mich wieder anzuziehen, atme ich erleichtert aus. 'So wie es aussieht, hast du keine weiter schlimmen Verletzungen. Sei trotzdem vorsichtig.', ermahnt er mich noch, bevor er mir die Spritze mit den Vitaminen gibt und uns danach entlässt. Bevor wir in das Auto steigen, umarme ich meine Mutter zaghaft. Sie ist der einzige Mensch, der mich umarmen, geschweige denn einfach so berühren darf. ' Nicht weinen, Mama, es war doch gar nicht so schlimm.' Sie schnieft nur und nickt. Auf der Heimfahrt reden wir wieder nichts. Zu Hause angekommen, schleudere ich meine Schuhe von den Füßen und bitte meine Mutter um Erlaubnis in mein Zimmer gehen zu dürfen, die sie mir sogleich erteilt. Ich lasse mich auf mein Bett sinken und langsam beginnen Tränen meine Wangen hinunter zu laufen. Ich muss daran denken, was die anderen heute in der Schule zu mir gesagt haben. Was der Arzt gesagt hat. Wie meine Mutter weinte. All das kommt in mir hoch und ich beginne, in mein Kissen zu schluchzen. Als meine Mutter zum Essen ruft, wische ich schnell die Tränen weg, stehe auf und schleppe mich die Treppen hinunter. Ich lasse mich auf meinen Platz am Tisch fallen und blicke vor mich. Dort steht ein Smoothie. 'Ich hoffe, das geht? Du meintest ja, trinken geht besser.' höre ich meine Mutter sagen. Ich blicke sie an und lächele. 'Ja, das funktioniert denke ich. Danke Mama.'. Während dem Essen reden wir über verschiedene Dinge, wie zum Beispiel ihre Arbeit oder Dinge aus der Zeitung. Ich versuche, den ganzen Smoothie hinunter zu drücken, schaffe es aber nicht ganz. 'Macht nichts, er ist ja fast leer.' lächelt meine Mutter aufmunternd. Ich schaue sie dankend an und begebe mich, nachdem ich aufgeräumt habe und ihr eine Gute Nacht gewünscht habe, zurück in mein Zimmer. Ich ziehe mich um, richte meine Schultasche für den nächsten Tag und gehe ins Badezimmer. Sofort juckt es mich in den Fingern, den Smoothie wieder hervorzuholen. Jedoch zwinge ich mich dazu, von der Toilette wegzusehen und rede mir ein, dass ich nur etwas getrunken hätte und dies drin bleiben müsse. Nach kurzer Zeit beruhigt sich mein Körper wieder und ich mache mich bettfertig. Zurück in meinem Zimmer werfe mich dann auf mein Bett. Ich schaue auf mein Handy und sehe, dass ich tatsächlich eine Nachricht bekommen habe. Es ist ein Junge aus der Bibliothek. Er heißt Felix und seine Eltern kommen aus Asien. Er ist der einzige „Freund” den ich habe. Felix ist wirklich nett und genauso gut in der Schule wie ich. Meistens lernen wir zusammen. Nur kenne ich ihn noch nicht so lange, weswegen ich nicht weiß, ob er schon mein Freund ist. Ich tippe die Nachricht an.Felix :) :
Hast du morgen Zeit zum Lernen?Me:
Ja, gerne.Felix:) :
Oh, echt? Super, könnte ich vielleicht zu dir?Me:
Ja, du kannst von mir aus gleich nach der Schule kommen.Felix:) :
Das wäre toll, bis morgen dann. ^^Normalerweise ließ ich keine Menschen in mein Haus, doch er war nett und ich hoffte wirklich, einen Freund gewinnen zu können. Ich gähne und will mich auf die Seite drehen, was wegen meiner Verletzungen am Bauch äußerst schmerzvoll ausfällt. Ich zische auf und drehe mich zurück auf den Rücken. Nach kurzer Zeit falle ich in einen unruhigen Schlaf.
---------------------------------------------------------
Hi und willkommen bei einer neuen Geschichte. ^^ Mir ist die Idee dazu sehr spontan gekommen und ich hoffe, sie gefällt jemandem. Ich weiß noch nicht, wie regelmäßig ich hochladen kann, verzeiht mir also. Außerdem weiß ich nicht genau, ob alles über die Krankheiten, über die ich schreibe, richtig ist, aber ich versuche mich so genau zu informieren,wie möglich.Hoffe es hat euch gefallen.
Thanks for reading. :)
DU LIEST GERADE
You're not fine
RandomCole ist schwul, leidet unter sämtlichen Angststörungen, Mobbing und er hat außerdem keine Freunde. Keiner versteht ihn. Er hat quasi schon mit seinem Leben abgeschlossen, als er plötzlich in die Psychiatrie eingewiesen wird und dort jemanden trifft...