Auf der Suche nach intelligentem Leben

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Sie nennen sich „die Mafia", echt jetzt? Das einzige Revier, das sie unter Kontrolle haben ist der große, runde Tisch Im Slapstick, da wo es zwei Stufen nach oben geht, der mit den acht Stühlen. Was bilden sie sich ein? Dass sie den Laden durch die gute Aussicht kontrollieren können? Dass sie Hof halten können, wie die Queens and Kings früher im Mittelalter? Dass sie sich aussuchen können, wer bei ihnen sitzen darf und wer nicht? Jennifer ist die typischerweise die erste, die ins Slapstick kommt, und die sich dann von Kuchen ernährt, ohne Ende, und die es schafft, alle durch böse Blicke auf Distanz zu halten, die dem Lieblingstisch auch nur nahekommen. Und wenn das nicht hilft, dann hilft ihr loses, verletzendes und bösartiges Mundwerk. Das alles hat sie sich hart antrainiert, so wie sie zwei Jahre hart daran gearbeitet hat, endlich ein paar Freundinnen zu bekommen, die nicht mehr Mittelstufe waren, sondern Oberstufe, und die aus ihrer Sicht das Minimum an Coolness – und das Minimum an Budget – verfügten, um mit ihr auf einer Stufe zu sein.

Da sitzen sie nun, so wie eigentlich immer. Jennifer, mit ihren langen Haaren, ganz in blond, L'Oreal natürlich, „weil ich es mir wert bin". Sie muss echt aufpassen, dass sie nicht fett wird von all dem Kuchen, wobei ein paar der Jungs das wohl gut finden, das mit den rundlichen Formen und so – auch sie sieht halt älter aus als sie ist. Sie zeigt „sie" dann auch immer, und „sie" meine ich hier ihre besten beiden Eigenschaften, schön symmetrisch und prall, die Typen ahnen immer den Spitzen-BH durch das weiße Top. Das sie auch noch künstlich-strahlend blaue Kontaktlinsen trägt, fällt den Jungs dann nicht mehr so auf. Daneben sitzt Enisa aus der Zehnten, mit schwarzen Naturlocken bis runter zum Arsch, den sie immer durch hautenge Schlauchkleider betont. Sie muss ja schließlich von ihrer überdimensionierten Nase ablenken. Wir warten ja alle darauf, dass sie nach irgendwelchen Sommerferien mit einer neuen Nase erscheint, aber ihre Eltern stehen wohl nicht so auf Schönheitsoperationen und so. Enisa ist jedenfalls die Ex von Jennifers Freund, weshalb der im Slapstick nicht mehr so gerne gesehen ist. Aber auch das hat Jennifer voll unter Kontrolle.

Neben Enisa dann Elena, mit blonden, ganz kurzen Haaren, Tanktop und Hotpants, dabei ist sie so dürr, dass ich kaum hinsehen kann. Sie verschränkt ihre Arme, macht einen krummen Rücken und zittert ein wenig, weil sie natürlich friert in ihrem Outfit, denn Sommer wird es nicht, weil sie sich anzieht wie im Sommer. Aber sie hat das mit den Spaghettiträgern das ganze letzte Jahr durchgehalten. Lernfähigkeit sieht anders aus. Daneben dann Sri, die einzige, die hier wirklich hübsch ist, mit ganz langen, schwarzen Haaren, groß und schlank, mit unglaublichen Rehaugen und dunkler Haut. Die einzige, auf die ich hier neidisch bin, wenn sie denn nur mal irgendetwas sagen würde, was sie nämlich nie tut. Sie ist im selben Jahrgang wie Eberhard, der meint, so wie sie mit den Typen umgehen würde, müsste sie einfach auf Frauen stehen. Aber auch mit ihm redet sie kein Wort, obwohl er mit seiner Perücke... Ach lassen wir das.

So wie die vier dasitzen und in einem perfekten Halbkreis auf den Eingang starren, sehe ich nicht die Mafia, sondern ein Zebra, blond, schwarz, blond, schwarz. Ich bekomme Lust, dieses Muster zu stören, mit meinen waschblonden, deutsch-drögen, ungekämmten Haaren. Aber erst mal schaue ich mich um, nach Alternativen. Also Scanmodus an, einmal durch den Laden in dreieinhalb Sekunden. Wer ist da, wen kennt man, wer ist prominent? Ja, sogar Prominenz gibt es hier manchmal, so GZSZ und so, und seit Boatengs Schwester mal da war, träumt Jennifer ohnehin nur noch von der Karriere als Fußballtussi. Heute aber ist Samstag, später Nachmittag, da müssen die Spieler wohl alle arbeiten, du Hirni. Jennifer peilt einfach nichts.

Dreieinhalb Sekunden, dann bleibt noch eine halbe Sekunde für eine Entscheidung. Denn länger darf man nicht an der Tür stehen. Sonst ist man echt durch. Alle wissen dann, dass man nicht dazu gehört. Also schnell jetzt. Kein Zögern. Nicht zu den Nerds aus meiner Klasse, die sich über Physik und Star Trek unterhalten, oder ein Rollenspiel, oder so. Auch nicht zu den Kicherladies aus meiner Klasse, die immer, wenn ein Junge guckt, sich das mit dem Lachen nicht verkneifen können, und ein leerer Tisch allein ist sowieso unmöglich. Also los zur Mafia, was den Nachteil hat, dass man einmal quer durch das ganze Café muss. Aber wie fast immer im Leben, die Tonspur hilft.

Beauty in MotionWhere stories live. Discover now