PAUL
Derzeit ist mein erster Gedanke beziehungsweise, die erste Frage, die ich mir am Morgen stelle, ist, ob ich Männer immer noch so interessant finde wie am Abend davor.
Erschöpft reibe ich mir übers Gesicht und starre an die Zimmerdecke. Eigentlich sollte ich am Schreibtisch sitzen und für die nächste Klassenarbeit pauken.
Stattdessen kann ich mich allerdings kaum selbst im Spiegel ansehen und habe Angst, dass man mir meine Sexualität von der Nasenspitze ablesen kann. Allerdings spricht mich niemand darauf an und es wird mir auch nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt als sonst.
Gleichzeitig fühle ich mich aber auch, als würde ich mich in etwas hineindrängen wollen, wo ich nichts zu suchen habe.
Dabei weiß ich, dass es meine neue Realität ist. Obwohl in meinem Kopf noch eine Stimme sitzt, die Sorge trägt, dass es nur eine Phase ist.
Meine Wangen kullern kleine Tränen hinab, die ich mir mit den Ärmeln meines Hoodies wegwische. Habe ich früher auch so viel geweint?
«Paul?», höre ich meine Mama rufen.
Schniefend rapple ich mich auf und öffne meine Zimmertür. «Ja?», entgegne ich.
«Kommst du bitte zum Tischdecken?»
Ich wische mir ein letztes Mal mit den Ärmeln meines Hoodies über die Augen und schalte das Licht in meinem Zimmer aus, ehe ich die Treppen nach unten eile.
Josie empfängt mich freudig und ich kraule ihr kurz ihren Kopf, ehe ich die Küche betrete.
Mama lächelt mich an, als ich Besteck für uns alle heraussuche. Sie wird allerdings ernster, als sie mich genauer mustert. «Sag mal, hast du geweint? Ist alles okay?»
Da ich darauf keine Antwort weiß, schnappe ich mir tiefe Teller und Besteck und verteile sie auf unsere drei Plätze. Wenn ich das jetzt bejahe, fragt sie nur warum und aktuell bin ich nicht in der Lage eine gute Ausrede aufzutischen.
Mama behält mich im Auge, während ich ins angrenzende Esszimmer gehe.
Papa und sie tuscheln kurz, als sie am Herd stehen und mein Vater die Nudeln umrührt.
Als wir uns Bolognese geschöpft haben, sind meine Eltern merkwürdig verhalten. «Und Paul, was gibt's so Neues?»
«Ich krieg bald ein Piercing», fällt mir ein. Der Termin lässt nicht mehr lange auf sich warten.
Die Frau des Hauses beginnt schallend zu lachen, während ihr Lebensgefährte die Backen aufbläst und bleich wird.
«Da würde ich auch weinen.» Nervös wischt er seine Hände an seiner Hose ab.
Mama wirft ihm einen mahnenden Blick zu. Scheinbar wollten sie sich an etwas rantasten.
«Und absagen», schiebt er nach.
«Ich will ihn gar nicht absagen.»
Mama schüttelt den Kopf und beginnt wegen Papas Gesicht zu lachen.
«Woher jetzt doch der Sinneswandel?», fragt Mama und dreht sich Nudeln um ihre Gabel.
Ich zucke mit den Schultern. «Erinnert ihr euch noch an Robin? Er hat unser Gespräch im Café mitbekommen und mir den Kontakt seiner Piercerin gegeben.»
«Muss man dich da begleiten?», fragt Papa und macht sich an seiner Salatschüssel zugange.
«Du sicher nicht», wirft Mama ein. «Ich habe keine Lust ins Krankenhaus zu fahren, weil du umkippst. Nur bei dem Gedanken wirst du beinahe grün.»
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the love you want
General Fiction«Eigentlich mag ich den Geschmack von Kaffee nicht, aber wenn du danach schmeckst ist das irgendwie etwas ganz anderes.» Wenn Paul die Verliebtheit für Jan in Worte fassen müsste, würde er sie mit dem Geschmack von bitterem schwarzem Kaffee vergleic...