PAUL
Eigentlich dachte ich, ich bin sportlicher als das hier. Als ich neben Robin zum Halt komme, ringe ich förmlich nach Luft. Dabei ist die Bushaltestelle gar nicht so weit weg von hier.
Robin sieht zu mir auf und wirkt als hätte er einen Geist gesehen.
«Hi», japse ich und versuche meine Atmung zu normalisieren.
Wenn ich ihn hier sitzen sehe, könnte ich mich direkt auf ihn stürzen und Küsse auf seinem ganzen Gesicht verteilen. Mich überkommt förmlich ein Tsunami aus Zuneigung.
Jegliche Sorgen sind einfach wie weggewischt. Ich weiß, dass ich gezweifelt habe. Das kommt mir jetzt nur absolut unsinnig vor. Ich bin mir noch nie so sicher gewesen etwas zu wollen.
«Geht's dir gut?», fragt er und behält mich im Auge.
Ich versuche mich zusammenzureißen und setze mich neben ihn. «Geht schon.»
Im Augenwinkel kann ich sehen, dass er nicht sehr überzeugt ist.
Er wendet sich ab und beobachtet den Fluss vor uns. «Ich dachte, du kommst nicht. Eine Nachricht wäre schön gewesen.»
«Entschuldige, dass ich zu spät bin. Das klingt erfunden, aber ich war spät dran und wollte mit dem Auto herfahren. Nur habe ich mich kurz vorm Gehen mit Eistee übergossen. Also musste ich nochmal hoch, um mich umzuziehen. Meine Jacke hab ich im Flur gelassen. Da ich so gestresst war, habe ich sie genau dort vergessen. Jetzt rate mal, wo meine Schlüssel und mein Handy sind und wessen Eltern ausgerechnet heute ausgeflogen sind.»
Der Grauhaarige verkneift sich ein Schmunzeln. Mir wäre viel lieber, wenn er jetzt laut loslachen würde. Von mir aus kann er mich auch auslachen. Ich möchte ihn einfach nur lachen hören.
«Nicht zu kommen, stand nicht zur Wahl», entgegne ich mit Nachdruck und nehme noch ein paar tiefe und kontrollierte Atemzüge. Mein Puls hat sich soweit wieder im Griff.
Unsere Blicke kreuzen sich. Robin hebt seine Augenbrauen.
«Wie war es in Frankreich?», frage ich, bevor er wieder etwas sagen kann, womit er sich selbst fertig macht.
«Das willst du doch nicht wirklich wissen, oder?», fragt er.
Kurz muss ich darüber nachdenken wie er das meint. «Doch, eigentlich schon. Nur nicht als oberste Priorität.»
«Wir wissen, warum wir heute hier sind. Lass uns kurzen Prozess machen, ja?» Er sieht nicht zu mir, sondern nestelt an seinem Jutebeutel herum.
Ich ziehe scharf die Luft ein. Was hat das denn jetzt zu bedeuten?
Kommentarlos streckt er mir Postkarten entgegen, die ich zögernd an mich nehme.
Ich runzle die Stirn und betrachte die Fotografien auf den Vorderseiten der Karten. Es kostet mich etwas Überwindung sie umzudrehen und zu lesen.
«Die sind nummeriert», weist mich Robin darauf hin und deutet auf eine kleine Zahl im rechten unteren Eck der Karte.
Mein Puls schießt wieder in die Höhe, während ich beginne Robins geschwungene Schrift zu lesen.
So richtig weiß ich gar nicht, was ich hier schreiben soll. Am liebsten würde ich hier auf hundert verschiedene Weisen schreiben, dass ich dich vermisse. Also, so richtig vermisse. Mir fehlt dein Guten Morgen und dein Gute Nacht. Es macht mich wahnsinnig, dass ich dir nicht einfach schreiben kann, was mir durch den Kopf geht oder was Renée wieder verzapft hat.
Ich frage mich ständig, ob du die Betten in Frankreich bequem finden würdest oder wie es wäre, wenn du neben mir in ihnen liegen. Beim durch die Stadt streifen will ich Fotos machen, obwohl ich hier schon unzählige Male gewesen bin, nur um sie dir zu zeigen. Allerdings lasse ich es dann doch bleiben. Viel lieber möchte ich dich mit durch die Stadt nehmen und dir Anekdoten zu Architektur und Geschichte erzählen.
DU LIEST GERADE
the love you want
Ficción General«Eigentlich mag ich den Geschmack von Kaffee nicht, aber wenn du danach schmeckst ist das irgendwie etwas ganz anderes.» Wenn Paul die Verliebtheit für Jan in Worte fassen müsste, würde er sie mit dem Geschmack von bitterem schwarzem Kaffee vergleic...