"Josh", sagte ich überrascht, bevor ich es verhindern konnte, "Schön..äh... Schön dich zu sehen."
Er lächelte breit und nickte, "Hallo Olivia"
Für einen Moment hatte ich meine Gesellschaft vergessen und mich nur auf Josh konzentriert. Doch dann schaltete sich meine reizende Mutter wieder ein und schaute Josh an, "Und woher kennt ihr euch, wenn man fragen kann?"
Meine Mom lächelte so süffisant, dass ich mich am liebsten sofort für sie entschuldigt hätte. Ich wusste genau, was sie über ihn dachte. Sein weißes Hemd und das Tatoo an seinem Hals bildeten einen starken Kontrast. Seine schwarze Jeans war mit Löchern übersehen und seine Stiefel waren abgenutzt. Er war nicht der Junge, den meine Mutter als Schwiegersohn haben wollen würde, da war ich mir sicher. Aber wir unterhielten uns nur, hatten uns kurz angesprochen und in ihrem inneren Auge sah sie einen schrecklichen Film ablaufen, das wusste ich. Sie dachte gerade über alles nach, was passieren könnte. Dass meine Leistungen durch ihn sinken würden, dass ich die Schule abbrechen würde um mit ihm kleine Babys zu machen und in einer schäbigen zwei ZimmerWohnung zu hausen. Doch das würde nicht passieren. Ich hatte Josh schon wieder vollkommen vergessen seit unserer letzten Bewegung. Und er mich offensichtlich auch. Also brauchte sie sich keine Sorgen zu machen.
"Wir haben uns im Studio kennengelernt", presste ich raus, "Er hat bei uns ein Abo, daher kennen wir uns."
"Ach?", meine Mutter lächelte, doch ich sah, dass sie es nur aufsetzte um nett zu wirken.
"Ähm", murmelte Josh und sah mich verwirrt an, "Ja, wir haben uns da kennen gelernt, aber nur flüchtig."
"Du arbeitest hier?", fragte ich ihn lächelnd und dankte ihm innerlich so sehr dafür, dass er mitgespielt hatte.
"Ja", sagte er, "Irgendwo muss ich mir meine Karriere ja finanzieren"
Er zwinkerte mir zu. Ich wusste ja, dass er seine Rockmusiker Karriere meinte, aber meine Mutter schaute ihn fragend an.
"Ich studiere Musik", sagte er lächelnd und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
"Das ist wundervoll", meine Mutter lächelte.
Gut, nun war er für sie nicht mehr der schäbige Kellner, sondern der unglückliche Junge, der sich sein Musikstudium durch harte Arbeit verdiente. Wenigstens sah sie nun nicht mehr so hochnäsig aus. Gott, was wäre wohl passiert, hätte er ihr erzählt, wer er wirklich war.
Dankend lächelte ich ihn an. Hätte er nicht mitgespielt, wäre ich erledigt.
"Es war wirklich schön dich nochmal zu sehen", sagte Josh und wandte sich meiner Mutter zu, "Und ihnen auch noch einen schönen Abend, hat mich sehr gefreut. Aber ich muss leider arbeiten. Ein neuer Bogen für meine Geige bezahlt sich nicht von selbst."
Über seine originelle Lüge musste ich grinsen.
"Das war es wirklich", sagte ich und nippte an meinem Wasser.
Als Josh weg war, murmelte meine Mutter noch: "Komischer Junge" und erzählte mir dann irgendwas von einer neuen Ernährungsumstellung und was sie mir bringen würde. Doch ich hörte ihr nicht zu, mein Blick folgte Josh, der auch mich kaum aus den Augen ließ. Egal wen er bedient, er sah immer zu mir herüber. Einige Sekunden später stellte sich Mr. Stark auf die Bühne und kündigte die erste Gruppe an. Die kleinen tanzten wundervoll, auch wenn nicht synchron. Es war herzergreifend wie viel Spaß sie dort oben hatten. So war es bei mir auch gewesen.
"Du warst damals um so viele Klassen besser", raunte meine Mom und ich lächelte gezwungen. Ich hasste es, wenn sie das tat.
Plötzlich spürte ich eine leichte Berührung einer Hand an meinem Arm. Als ich mich umdrehte, sah ich nur noch, wie Josh den Flur entlang ging und mich über die Schulter auffordernd ansah.
"Ich geh draußen vor der Tür nochmal die Schritte durch", raunte ich meiner Mom zu und diese nickte, "Soll ich mit?"
Ich schüttelte den Kopf, "Auf der Bühne kannst du mir auch nicht helfen."
Sie nickte lächelnd und erinnerte mich daran, dass ich in einer halben Stunde im Vorbereitungsraum sein sollte."In einem Fitnessstudio kennen gelernt", Josh lachte höhnisch, "Das war eine sehr große Lüge, Olivia."
Grinsend zuckte ich mit den Schultern und lehnte mich an die Hauswand. Josh stand mir gegenüber und zog an seiner Zigarette. Er machte eine "Raucherpause", wie er es nannte. Doch ich bezweifelte, dass es ihm gestattet war. Während er an seiner Zigarette zog, konnte ich ihn mir genauer anschauen. So im hellen war er noch viel attraktiver. Seine dunklen Haare, das markante Gesicht und die vollen Lippen ließen mich definitiv nicht kalt.
"Warum darf deine Mutter icht erfahren, dass wir uns im Club kennen gelernt haben?", fragte er und schaute mich fragend an.
"Weil ich erstens nicht volljährig bin und sie zweitens nicht weiß, dass ich ausgegangen bin.", erklärte ich ihm und zuckte erneut mit den Schultern.
"Wie alt bist du denn?"
"Siebzehn", sagte ich etwas verlegen. Doch Josh lächelte nur, "Ich hab mir schon gedacht, dass du einen falschen Ausweis besitzt."
Verwundert starrte ich ihn an, "Woher hast du das gewusst?"
"Weil du absolut nicht in diese ganze Umgebung gepasst hast", erklärte er und zog ein letztes Mal an seiner Zigarette bevor er sie wegwarf und drauftrat.
"Die kannst du auch in den Mülleimer schmeißen", wies ich ihn an und deutete auf den Stummel.
"Kann ich auch sein lassen", schnaubte er und grinste verschmitzt.
Ich verdrehte die Augen, "Und du passt in diese Szene nicht rein."
"Du ebenso wenig."
Verwirrt schaute ich an, doch dann fing ich an einen Plan zu schmieden.
"Da hast du Recht. Ich hasse diese Veranstaltungen, meine Mutter schleppt mich hier immer hin."
"Wirklich?", fragte er grinsend, "Ich kenne dich wohl ziemlich gut."
"Hm", sagte ich grinsend. Wenn er wüsste.
"Diese ganze Balletkacke geht mir tierisch auf die Nerven. Es ist immer dasselbe und Abwechslung gibt es absolut nicht."
"Finde ich auch. Diese Ballerinas sind doch wirkliche Schnepfen oder?"
"Ja, wenn ich auf meine neue Gitarre bestehe, muss ich mir diese Zicken sogar täglich antuen"
"Wieso?", fragte ich ihn. Das Wort Zicken ließ mich zusammenzucken, doch ich versuchte mir nichts anzumerken. Er hatte mir nicht gesagt, dass er in einer Band spielte? Ich erzählte ihm nicht, dass ich eine Tänzerin war.
"Ich arbeite demnächst in so einer Schule und putze da. Mega ätzend. Aber was tut man nicht für seinen Traum?"
Ich nickte, "Kann ich verstehen. Ich muss übrigens gehen"
"Wohin?", Josh schien neugierig zu sein.
"Es geht um Träume", erklärte ich nur und schlüpfte durch die Haustür. Irgendwie war ich schon froh, dass mein Abgang so gut gelungen war.
Glücklich setzte ich mich in den Raum und zog meinen Body an. Darüber zog ich meinen Trainingsanzug an und legte mein Kleid ordentlich zu meinen Kostümen. Meine Nervösität stieg, ich wusste jetzt, dass auch Josh mich sehen würde. Tief luftholend setzte ich mich vor meinen Spiegel und kämmte meine Haare durch, die ich schließlich ordentlich nach hinten steckte. Meine blonden Haare fielen mir also glatt auf meinen Rücken und dir vorderen Strähnen bildeten einen Kranz um meinen Kopf. Ich steckte die Strähnen mit mehreren Klammern fest und sprühte die Frisur mit Haarspray fest. So konnte sie keinesfalls verrutschten. Anschließend widmete ich mich meinem Make-Up. Normalerweise schminkte meine Mutter mich und machte mir auch die Haare, aber sie war noch nicht da. Und dann hatte ich gleich nochmal Zeit vor meinem Auftritt die Schritte wirklich durchzugehen.
Meine Schminke hielt ich sehr dezent, aber ich konnte es mir nicht verkneifen meinem Liedschatten etwas Glitzer hinzuzufügen. Meine wachen, braunen Augen sahen mich im Spiegel leuchtend an und ließen ihren Blick über mein Gesicht gleiten. Ich hatte hellen Lippenstift und etwas Rouge aufgetragen. Die falschen Wimpern und der Liedschatten der meine Augen betonte, ließen sie dramatisch und doch sinnig wirken. Glücklich über mein Werk stand ich auf und sah mich im Raum um. Keiner beachtete mich wirklich, daher stieg ich aus meinem Trainingsanzug und schlüpfte in mein Balletkostüm. Meinen schwarzen Body mit der Strumpfhose hatte ich bereits an, daher zog ich mir das schwarze Überziehkleid drüber. Es bestand aus halbtransparenten Stoff und ging mir bis zur Mitte der Oberschenkel. An beiden Seiten hatte es einen Schlitz, der mir bis zur Hüfte reichte.
Ich liebte dieses Kostüm, es war unfassbar schlicht und doch umschmieg es meinen Körper perfekt. Während ich mich aufwärmte und die richtige Musik hörte, kam meine Mutter in den Raum und sah mich lächelnd an.
"Gut, dass du dich schon fertig machst. Das sieht hübsch aus", sagte sie und deutete auf mein Gesicht.
Ich bedankte mich und fokussierte mich wieder darauf mich aufzuwärmen. Ich durchlief alle meine Übungen mehrmals und dehnte mich bis ich mir zu hundert Prozent sicher war, dass all meine Muskeln bereit waren. Zur Sicherheit machte ich einige Tricks und verschiedene Spagatvariationen.
"Sehr schön", sagte meine Mutter und lächelte.
"Danke", ich bedankte mich erneut und konzentrierte mich anschließend erneut auf meine Übungen. Ich wäre viel fokussierter, würde sie mir nicht die ganze Zeit Tipps geben oder mich auffordern Tricks zu üben, die im Contemporary Stück vorkommen würden.
Ich schaute auf die Uhr. In einer viertel Stunde würde es losgehen. Ich streifte meine dicken Plüschsocken aus und schlüpfte, nach Versorgung meiner Wunden, in die Spitzenschuhe. Auf ihnen wärmte ich mich erneut auf und bemerkte dabei, dass viele der jüngeren mir zusahen. Ein kleines Mädchen mit rötlichen Haaren saß auf einem Stuhl und starrte mich fasziniert an. Ich lächelte ihr kurz zu und sah meine Mutter an, die ebenfalls jeden Schritt meinerseits verfolgte.
"Könntest du die Drehung nochmal wiederholen? Und diesmal achte auch auf deinen Gesichtsausdruck.", forderte sie mich auf und ich kam ihrer Aufforderung nach.
"Besser", kommentierte sie und schaute mich kritisch an, "Glätte deine Haare bitte nochmal."
"Mom, die sind aber glatt genug", erwiderte ich und seufzte. Meine Haare waren bereits vollkommen kaputt und hatten Spliss.
"Olivia"; ermahnte sie mich nur und ich merkte, dass es keinen Zweck hatte ihr zu widersprechen. Also setzte ich mich an meinen Platz und glättete meine Haare erneut.
"Deine Haare sehen schön aus", sagte eine piepsige Stimme neben mir. Das Mädchen, das mich vorher beobachtet hatte, stand nun neben meinem Stuhl.
"Danke", sagte ich lächelnd, "Ich bin Olivia, und du?"
Das Mädchen strahlte über beide Ohren und kletterte auf den Stuhl neben mir, "Ich bin Alisa."
"Schöner Name", sagte ich und drehte meine Haare erneut ein, da sich der Kranz gelöst hatte.
"Eigentlich nennen mich alle Ally", erzählte sie, "Ich finde du tanzt soo schön."
Lächelnd sah ich zu ihr und vergaß für einen Moment, dass meine Mom mich beobachtete.
"Dankeschön", sagte ich erneut, "Wie lange tanzt du denn schon?"
"Seit drei Jahren", prahlte Alisa und lächelte, "Mit fünf habe ich angefangen. Und du?"
"Ich tanze seit..", einen Moment überlegte ich. Mit zwei oder drei hatte ich angefangen. Jetzt war ich siebzehn. "Seit fünfzehn Jahren ungefähr."
"Wow", sie sah mich mit offenen Mund an, "Das ist lange"
Ich nickte, "Wenn du mal so alt bist wie ich, dann wirst du auch ganz wundervoll tanzen."
"Ich hoffe", sagte sie, "Tanzt du jetzt?"
Ich nickte, "Möchtest du zusehen?"
Alisa stimmte mir freudenstrahlend zu und erzählte mir, dass sie in einer halben Stunde dran sein wird und sie schon sehr aufgeregt ist. Das kann ich nur allzu gut verstehen, denn die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten schon Tango.
"Olivia. Bist du denn jetzt soweit?", schnitt die Stimme meiner Mutter unser Gespräch ab.
Ich nickte nur und zog meinen Lippenstift nach.
"Bis nachher Alisa", sagte ich leise, "Geh mit deiner Mom einfach in den Zuschauerraum und ich schau dir nachher auch zu."
Erstaunt stieg sie von dem Stuhl und lief zu einer Frau mittleren Alters, die gerade an einem kostüm nähte. Das war also Alisas Mutter.
"Komm jetzt, Olivia."
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Smoke and Fire
Teen FictionWas ist, wenn sich zwei Menschen treffen, die in Wirklichkeit das komplette Gegenteil voneinander sind? Sie lebten in zwei unterschiedlichen Welten und auf einmal treffen sie aufeinander. Kann das gut gehen? Olivia, eine siebzehnjährige Tänzerin, is...