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🎶 Dancing With Tears In My Eyes - Ultravox 🎶

Donnerstag, 04. Juni 1985.

Die Pausenklingel holt mich aus meinem Halbschlaf und erinnert mich daran, dass wir dem Ende unseres Junior-Years immer näher rücken. Nancy und ich wechseln kurz Blicke miteinander und lächeln, bevor wir unsere Sachen zusammen packen und uns auf den Weg zu unserer letzten richtigen Unterrichtsstunde in diesem Schuljahr machen: Biologie bei Mrs. Baker.
"Kannst du dir vorstellen, dass wir ab morgen Nachmittag schon Seniors sind?", fragt Nancy und taucht direkt neben mir auf, als ich gerade unseren Kunstraum verlasse.
"Nicht wirklich. Fühlt sich irgendwie komisch an, dass wir ab dann die Ältesten an der Schule sind. Außerdem wird mir jetzt schon schlecht, wenn ich an die Abschlussprüfungen in einem Jahr denke.", murmele ich etwas nachdenklich.
Nancy nickt.
"Geht mir genauso. Aber zum Glück ist ja noch ein bisschen Zeit bis dahin. Und unsere letzten richtigen Sommerferien müssen wir nutzen!"
"Zum wöchentlichen Betrinken?", frage ich.
Wir müssen beide kurz lachen.
"Ich weiß, du trinkst nicht so gerne und die meisten Partys sind auch ziemlich lahm, wenn man mal bedenkt dass sie von unseren Mitschülern organisiert werden... Aber ich brauche dich dort! Und wann wollen wir jemals so richtig feiern, wenn nicht jetzt? Wenn wir unseren Abschluss nächstes Jahr haben, ist es eigentlich schon zu spät. Dann geht das richtige Leben los, wir ziehen womöglich alle in andere Städte und sehen uns monatelang nicht..."
"Nanc, stopp, ich werde sonst jetzt schon traurig.", sage ich leise und sehe sie an.
Der Gedanke daran, dass wir uns nicht mehr jeden einzelnen Tag sehen und kaum noch die Möglichkeit haben werden, die verschiedensten Dinge miteinander zu unternehmen, quält mich selbst ein Jahr bevor es soweit ist schon.
"Ich doch auch.", murmelt Nanc und legt ihren Kopf auf meine Schulter, als wir an unseren Spinden ankommen.
"Und sobald wir hier raus sind, kommen Mike und Dustin auf die High School. Man, klingt das alles verrückt."
Sie nickt zustimmend.
Wir schnappen uns unsere Biologiebücher und die Notizen der letzten Stunden und beeilen uns dann, zu unserem Unterrichtsraum zu kommen, da wir spät dran sind. Allerdings schaffen wir es noch rechtzeitig und Mrs. Baker stürzt sich sofort nach unserer Ankunft in die letzte Unterrichtseinheit für dieses Jahr. Eigentlich liebe ich Biologie, doch es fällt mir schwer, mich vernünftig auf die Stunde zu konzentrieren. Ich denke die ganze Zeit darüber nach, wie der Sommer wohl wirklich werden wird. Ich liebe Nancy und Jonathan und sie sind meine allerbesten Freunde, aber ich weiß noch nicht so ganz, ob ich es aushalte, gefühlt jeden zweiten Tag auf eine andere, langweilige Hausparty zu gehen. Allerdings weiß ich genauso wenig, was ich sonst mit meiner freien Zeit anfangen soll. Mom hat mir vor einigen Wochen angeboten, mit in den Urlaub zu unseren Verwandten nach Arizona zu fahren, aber irgendwie war mir auch nicht nach drei Wochen Hitze, stundenlangen Gesellschaftsspielen und staubtrockenem Sand zwischen den Zehen.
"Mrs. Henderson, können sie mir die DNA-Synthese in Kurzform erklären?"
Ich zucke förmlich zusammen.
"Ähh..."
Ich durchkrame mein Gedächtnis nach irgendwelchen Wortfetzen aus den letzten paar Biologiestunden und versuche sie wie ein Puzzle zusammenzusetzen - in der Hoffnung, dass es einen Sinn ergibt und zumindest halbwegs richtig ist.
"Naja, das lasse ich gerade noch so durchgehen. In Ordnung, Mrs. Henderson. Aber jetzt mal an alle: Ich weiß, dass das eure letzte Unterrichtsstunde in diesem Schuljahr ist und dass ihr alle so schnell wie möglich in die Ferien starten wollt. Trotzdem müssen wir diese paar Minuten jetzt noch hinter uns bringen, also bitte ich euch darum, zumindest ein bisschen fokussierter an die Thematiken heran zu gehen. Das ist alles prüfungsrelevanter Stoff, eure Mitschüler aus der Abschlussklasse können euch ein Lied davon singen."
Ich sehe Nancy an. Wir verdrehen beide die Augen und lachen.
"Recht hat sie aber trotzdem. Ich habe Jonathen letzte Woche erst alles zur Humangenetik abfragen müssen.", flüstert sie.

Auch wenn die übrige halbe Stunde nur sehr schleppend vergeht, ist die gesamte Klasse in überragender Stimmung, als es zum Schulschluss klingelt.
Wieder einmal laufen Nancy und ich zu unseren Spinden und bringen unsere Biologie-Sachen zurück. Dann machen wir uns auf den Weg nach draußen, wo Jonathan bereits auf seine Nancy wartet.
Die beiden sind nun seit über einem Jahr zusammen und bilden das harmonischste und passendste Paar, das ich jemals gesehen habe. Ich muss sofort lächeln, als ich beobachte, wie Nancy auf ihn zu rennt und die beiden sich so sehnsüchtig küssen, als hätten sie sich monatelang nicht gesehen. So war es bei den beiden einfach immer und auch wenn ich nur äußerst ungern zugebe, dass ich solche unendlich verliebten Paare wirklich niedlich finde, ist es genau das, was ich mir irgendwann auch für mich selbst wünschen würde. Allerdings gibt es in Hawkins so ziemlich niemanden, für den ich mich auch nur ansatzweise interessiere. Deswegen verschwende ich nicht all zu viel Zeit damit, mir eine Beziehung mit irgendeinem Typen auszumalen und warte stattdessen lieber auf den Moment, in dem alles perfekt ist.

"Liz, treffen wir uns morgen um neun Uhr auf dem Parkplatz und gehen zusammen rein? Ich habe keine Lust, allein von den Seniors mit Konfetti bombardiert zu werden!", lacht meine beste Freundin und sieht Jonathan dabei vorwurfsvoll an.
"Wieso schaust du mich da so an?", fragt er grinsend.
"Ja, na klar! Bis morgen!", sage ich lachend.
"Bis morgen, Liz!", rufen die beiden beinahe gleichzeitig, während ich mich auf den Weg zu meinem Auto mache.
Ich werfe meinen Rucksack auf die Rückbank, ziehe meine Jeansjacke aus und starte den Motor. Als ich mich auf die Hauptstraße begebe und in Richtung der Middle School fahre, wo ich wie jeden Nachmittag Dustin abhole, läuft im Radio "Dancing With Tears In My Eyes" von Ultravox, einer meiner derzeitigen Lieblingssongs. Ich drehe die Musik direkt lauter, genieße den Fahrtwind, der durch meine langen, haselnussbraunen Locken weht und singe so laut ich kann mit.
Zu meinem Bruder habe ich glücklicherweise eine unfassbar gute Beziehung. Wir verstehen uns teilweise ohne Worte und mögen sogar dieselbe Musik. Er ist deshalb genauso gut gelaunt wie ich, dass er noch etwas von diesem Ultravox-Hit mithören und mitsingen kann, als er auf dem Parkplatz der Middle School in mein Auto einsteigt.
Gemeinsam machen wir uns auf den Weg nach Hause.

Summer Of 1985 (Steve Harrington, Stranger Things)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt