Kapitel 5

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Es ist mittlerweile Montagmorgen und ich steige aus dem Auto meines Bruders, welcher mich freundlicherweise vor der Schule abgesetzt hat, ehe er ans College gefahren ist. Ich mache mich auf die Suche nach Theodor. Mittlerweile hat sich meine Euphorie verflüchtigt. Ich wundere mich selber über meinen Mut, auf jemanden zu zugehen, doch jetzt haben die Worte meinen Mund verlassen und ich kann sie nicht mehr rückgängig machen.

Am Eingangstor sehe ich schon von weitem, den etwas verloren wirkenden Theodor. Als er mich auch entdeckt erhellt sich seine Miene und er kommt mir ein paar Schritte entgegen.
„Guten Morgen.", lächelt er mich an.
Auch ich kann mich zu einem Lächeln überwinden und frage ihn nach seinem Stundenplan. Er ist anscheinend wie ich im letzten Schuljahr und wir haben sogar einige Kurse gemeinsam.

Ich verbringe mit ihm de großen Pausen und auch in den gemeinsamen Kursen setzen wir uns nebeneinander. Das erste Mal seit langem, dass ich nicht alleine sitze, denke ich und freue mich innerlich ein wenig. Ich bin soziale Kontakte außerhalb der Arbeit kaum noch gewöhnt. Nachdem ich alle Brücken zu meinem alten Leben abgerissen habe, habe ich mich wohl mehr zurückgezogen als ich es mir eingestehen will.

———

Schneller als sonst vergeht der Schultag und ich habe mehr gelächelt als ich es gewohnt bin.
Zusammen mit Theodor verlasse ich das Schulgebäude nach der letzten Stunde und laufe Richtung Parkplatz, in der Hoffnung das Auto meines Bruders zu erblicken. Offensichtlich ist das Glück heute nicht auf meiner Seite, denn zu meinem Nachteil kann ich ihn nirgends entdecken. Wahrscheinlich bleibt er heute wieder in der Uni weil irgendeine Party stattfindet, geht es mir durch den Kopf. Also muss ich wohl den Bus nehmen.

Ich will mich gerade von Theodor verabschieden, da wird sein Name hinter uns gerufen. Verdutzt drehe ich mich um und entdecke eine Blondine, die ihm sehr ähnlich sieht.  Als er sich in Bewegung setzt und auf sie zugeht, fühle ich mich leicht unsicher, und beschließe ihm hinterherzulaufen.
„Hey Bruderherz, wie war dein erster Tag?", fragt sie mit einem Lächeln, welches ihre perfekten und ein Lippenbändchenpiercing zum Vorschein bringt. Erst jetzt fallen mir die blauen Strähnen in ihren Haaren auf. Ich muss zugeben das ich mich von ihrem selbstbewussten Auftreten leicht eingeschüchtert fühle. Neben ihr lehnen mehrere Typen, welche bepackt mit Muskeln sind.
„Ally, was machst du denn hier? Ich dachte du wärst krank?!", fragt Theodor seine Schwester lachend, welche ebenfalls in sein Lachen einstimmt. Ich fühle mich leicht verwirrt.
„Jaja halt bloß deinen Mund! Kommst du mit?", will sie von Theodor wissen.
„Nein ich fahre mit Alya Bus, die wohnt nur 3 Straßen von uns weg.", erklärt er.

Bis jetzt hatte ich meinen Blick auf den Boden gerichtet, doch als ich überrascht über seine Aussage aufschaue, bemerke ich, dass alle Augen auf mir liegen. Ein paar bohrt sich besonders in mich. Es gehört einem großen Typen, mit dunkelbraunen Haaren und einem finsteren Blick. Erschrocken und leicht verlegen blicke ich weg.
„Na dann, wie sehen uns zu Hause!", verabschiedet sie sich und Theodor und ich treten unseren Weg Richtung Bushaltestelle an.

Nach einiger Zeit des Schweigens bricht er die Stille.
„Nur damit du dich nicht wunderst, dass war meine Zwillingsschwester Ally. Sie hat heute die Schule geschwänzt und ich auch sonst das komplette Gegenteil von mir.", lachend und auch leicht verunsichert schaut er mich an.
Ich schmunzle: „Danke für die Aufklärung ich war leicht verwundert.".
„Ja sie kann sehr verrückt wirken, aber eigentlich ist sie eine sehr nette und einfühlsame Person.", ich nicke nur. Diese Augen wollen mir nicht aus dem Kopf gehen.
„Wer waren die Typen bei ihr? Ich dachte ihr wohnt erst eine Woche hier?", ich ertappe mich dabei, wie ich etwas zu neugierig bin.
„Oh nein, ICH wohne erst eine Woche hier, aber Ally schon ihr halbes Leben. Unsere Eltern haben sich getrennt als wir noch sehr jung waren und ich bin bei meinem Dad in New York geblieben. Der ist aber beruflich nach Europa gezogen und ich wollte nicht mit, also bin ich zu meiner Mom gezogen.", er erklärt, dass Ally wegen ihm die Schule gewechselt hat, während wir in den Bus steigen und glücklicherweise noch einen Platz finden.
„Und wie kommt sie an diese Typen? Die haben älter gewirkt und ich habe sie auch noch nie auf unserer Schule gesehen.", frage ich, weil sich mir die Zusammenhänge nicht erschließen wollen.
„Das sind ihre Freunde. Für gewöhnlich sind da noch ein paar Mädchen dabei. Sie hat eine gute Beziehung zu unserem Cousin auf dem College und als sie ihn besucht hat, hat sie alle kennengelernt.", stumm nicke ich. Das wäre mir ja nichts. Ich wäre viel zu schüchtern auf andere so offen zuzugehen, noch dazu auf ältere.

— — —

Nachdem wir nach 15 Minuten unsere Haltestelle erreicht haben, steigen wir aus dem Bus.
„Hast du Lust noch zu mir mitzukommen? Ich kann dich später auch nach Hause fahren.", bietet mir Theodor an. Erst möchte ich sein Angebot ablehnen, aber dann gebe ich mir einen Ruck. Fortschritte, keine Rückschritte - wiederhole ich in meinem Kopf.
„Gerne.", stimme ich schwach lächelnd zu.
„Prima! Meine Mom wird sich freuen wenn ich neue Freunde nach Hause bringe.", freut er sich. Wow, anscheinend sind wir Freunde. Mein erster Freund seit einem Jahr. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu ihm. Hätte ich doch bloß da schon gewusst, was auf mich zukommt.

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