6.

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"Wo wohnst du eigentlich mittlerweile? Hast du eine Unterkunft?"

Ich seufzte. "Hab ich. Bis ich was anderes finde, wohne ich bei meiner Schwester."

"Weiß sie denn davon?", fragte Luke weiter. Ich hatte es aufgegeben, wenn ich ihn nicht an der Haustür irgendwie abwimmeln konnte, dann würde er mich nur den ganzen Tag begleiten. Ich hätte es auch als nette Geste empfunden, wäre da nicht immer noch mein erster Eindruck von ihm und das Gefühl, dass er sich mir immer mehr aufdrängte. Nur noch ein paar Straßen, dann war ich ihn wieder los. Und ich würde definitiv wegziehen, sobald ich konnte. Noch so ein Aufeinandertreffen machte ich nicht mit, ob schwanger oder nicht! Dafür reichten meine Nerven einfach nicht aus!

"Warum sollte ich ihr davon erzählen? Nach dem Montag ist es doch sowieso Geschichte! Ich muss sie nicht mit sowas belästigen, sie hat so schon genug um die Ohren."

Luke neben mir nickte einsichtig. "Du willst es also immer noch so dringend loswerden?"

"Nein, gar nicht", lachte ich ironisch, "Dachtest du wirklich, dass ich meine Meinung ändere? Ich will es nicht. Ich brauch das nicht! Und Schluss." Für mich zumindest, aber nicht wenn es nach Luke ging. Er räusperte sich leise: "Aber, ich versteh das nicht ganz. Du hattest mir gesagt, dass dein Partner es auch nicht wollte, dass es ihm völlig egal sei, was mit dem Baby passiert. Warum habt ihr beiden euch dann überhaupt getrennt, wenn ihr doch der selben Meinung seid?"

Ich biss meine Zähne zusammen. Marco ging ihn nichts an! "Weil es ihm auch egal gewesen wäre, was dabei mit mir passiert! Er war nur mit mir zusammen, weil er gehofft hat, so niemals ein Vater werden zu können! Und ich will kein Kind von diesem... diesem egozentrischen Arschloch austragen müssen!" Jetzt hatte ich es ihm doch gesagt. Und das Gewicht, was mir seit diesem Tag auf dem Herzen gelegen hatte, wurde merklich leichter. Zitternd atmete ich auf und wischte über meine nassen Augen. Nicht weinen! Nicht auch noch das letzte Stück Würde vor Luke verlieren. Er legte vorsichtig einen Arm um mich. "Dann lass mich versuchen, dass du dich nicht so gedankenlos opferst. So eine Operation kann auch furchtbar schief gehen, erst recht wenn ich nicht genau weiß, wie dein Körper auf die Narkose oder den Eingriff reagiert! Denk bitte nochmal darüber nach und selbst wenn du das Kind danach immer noch nicht möchtest, kannst du es zur Adoption abgeben. Die Leute würden es in deiner Lage bestimmt verstehen."

Ich schniefte und wollte ihm eigentlich sagen, dass er mich mit seinen Tipps in Ruhe lassen sollte, aber dann begriff ich, was er mir eben angedeutet hatte. Ich dachte tatsächlich wie Marco... 'Nur raus mit dem Ding und das so schnell wie möglich, ohne Rücksicht auf Verluste!', genau deswegen war ich doch erst vor ihm geflohen. Wenn ich seinen Plan jetzt freiwillig umsetzte, konnte ich danach genauso gut wieder zu ihm zurück kriechen. Ich hatte doch besser sein wollen als er! Was wenn die Operation wirklich schief ging? Bleibende Schäden hinterließ oder mich sogar umbrachte? War dann nach dem Montag immer noch alles heile Welt? Sicherlich nicht. Plötzlich hatte ich Angst und störte mich nicht mehr daran, dass Luke seinen Arm noch immer nicht von mir weggezogen hatte. Gerade brauchte ich den vielleicht sogar.

"Kein Kinderheim", brachte ich knapp hervor, "Kinderheime sind schreckliche Orte. Aber ich will es trotzdem nicht behalten! Ich... ich werds mir wegen Montag überlegen..."

Mittlerweile waren wir in der richtigen Straße angekommen und ich löste mich von Luke, als ich mich wieder sicherer auf den Beinen fühlte. Er sah wieder zuversichtlicher aus und überreichte mir meinen Einkauf, nachdem ich ihm versichert hatte, dass es nicht mehr weit war und ich es von hier aus alleine schaffte. Trotzdem hatte er noch eine Frage. "Niki? Wärst... wärst du damit einverstanden, wenn... wenn ich für dich eine Familie suche, die das Kind gerne haben würde? Es sind alles wirklich nette Leute, sie wären dir bestimmt unglaublich dankbar!"

"Ja, ja, tu das. Ist okay. Ist in Ordnung", nuschelte ich und schloss dann endlich die Haustür auf.

"Danke, Niki. Ich wünsch dir noch einen wunderschönen Tag!"

"Ähm... ebenfalls, Luke."


"Du, Papa?"

"Ja, Niki?"

"Wie ist Tidia in Mamas Bauch gekommen, wenn Mama sie nicht gegessen hat?"

Papas Blick huschte kurz zu mir hinüber, dann schaute er wieder auf die Straße. "Das, ähm, das ist schwer zu erklären. Ich erzähle es dir mal, wenn du noch ein wenig älter bist!"

"Ich will es aber jetzt wissen!", maulte ich und schob meine Unterlippe vor. Bei Mama half das manchmal, wenn ich das machte. Und bei Papa schien es auch zu wirken. Er rutschte ein wenig auf seinem Sitz hin und her und überlegte. "Hmm, naja, wie soll ich dir das beschreiben? Ähm, du spielst doch gerne mit Legosteinen."

"Uh-hu!", nickte ich.

"Und ein Legostein hat zwei Seiten, die zusammen passen und aus denen man dann... Sachen bauen kann. Die zwei Seiten sind einmal ein Mann und eine Frau und wenn sich die beiden so lieb haben wie Mama und Papa sich lieb haben, dann, äh, dann-", Papa sprach nicht wieder, er murmelte nur leise etwas vor sich hin. Ich legte den Kopf schief: "Dann bauen die beiden ein Baby?"

"Jaah, genau! So ist das!", sagte Papa erleichtert. Aber Tidia hatte doch gar nicht so ausgesehen, als sei sie aus Legosteinen gebaut! Die waren doch viel kantiger und konnten sich nicht von alleine bewegen oder schreien oder etwas trinken. "Sind das besondere Legosteine?", fragte ich weiter. Papa nickte: "Es ist sowas ähnliches wie Legosteine, nur viel viel kleiner. Und die heißen auch anders, die heißen Zellen. Aber das ist auch gar nicht so wichtig, das lernst du dann noch in der Schule genauer!"

"Wie klein sind die denn?", wollte ich trotzdem wissen.

"Zu klein, als dass man sie sehen kann. Hmm, schau dir mal deinen kleinen Finger an, Niki, und stell dir vor, der hätte auch nochmal eine Hand mit einem kleinen Finger dran. Und der dann auch noch mal. Sooo winzig winzig klein!"

Die nächsten paar Minuten war ich damit beschäftigt, meinen kleinen Finger hochzustrecken und mir vorzustellen, dass er eine eigene kleine Hand hatte. Irgendwie komisch, aber lustig, wenn ich damit jemandem winken könnte! Ich kicherte und hatte das eigentliche Thema beinahe schon wieder vergessen.

Aus heutiger Sicht würde ich sagen, zum Glück. Es wäre im Sexualkundeunterricht einige Jahre später vielleicht etwas seltsam gewesen, wenn ich allen stolz berichtet hätte, dass ein Mann und eine Frau winzig kleine Legosteine zusammenstöpselten, um ein Baby zu machen. Eines blieb aber bei beiden Erklärungen gleich: Es brauchte Mann und Frau dazu, weil Kinder aus einer männlichen und einer weiblichen Eizelle entstanden, wenn sie miteinander im Körper der Frau verschmolzen. Dort setzte sich das junge Leben dann fest, die Frau bekam ihre Tage nicht mehr und der Hormonhaushalt veränderte sich merklich durch diese große - kleine - Veränderung.

Wenn ich dann schwanger werden konnte, bedeutete das also, dass ich irgendwie weibliche Eizellen produzieren konnte, die an einem Ort vorbei wanderten, der die perfekte Umgebung für einen Embryo darstellte. Ich hatte aber nie eine Regelblutung gehabt. Vielleicht würde ich ja noch eines Tages herausfinden, wie genau das funktionierte, aber wichtig war aktuell nur, wie es weitergehen würde, wenn ich die Abtreibung wirklich sein ließ. Konnte mein Körper eine vollständige Schwangerschaft aushalten? Oder würde mein Bauch irgendwann aufplatzen, weil er sich nicht so weit dehnen konnte wie der einer Frau? Wenn es dann soweit war, wie würde ich das Kind zur Welt bringen können? Es war schon schwer genug, es durch den normalen Geburtskanal zu pressen, wie sollte das dann bei mir aussehen? Vermutlich würde nur ein Kaiserschnitt helfen, wenn es nicht von alleine viel zu früh kam... Was war danach mit mir? Ich würde schrecklich aussehen. Dehnungsstreifen, Speckringe, vielleicht eine riesige Narbe quer über meinen Bauch und immer noch pralle Milchbrüste, sollte ich das Baby wirklich so bald wie nur möglich weggeben... Die Vorstellung ekelte mich an. Es würde ein Wunder sein, wenn mich danach noch irgendein Mann annehmen und lieben wollte. Und trotzdem zog ich diese Vorstellung jetzt in Betracht, weil Luke Recht hatte. Ich mochte das Leben in mir immer noch nicht, aber noch weniger wollte ich genau wie Marco sein und das 'Geschwür' oder 'Ding' in mir radikal herausschneiden, als sei es eine Krankheit. Es war nicht natürlich, aber es war immer noch der Ansatz eines menschlichen Babys. Und vielleicht konnte es in ein paar Monaten noch das Leben zweier weiterer Menschen für immer verschönern. Ich hoffte nur, dass ich stark bleiben konnte und nicht doch eines Tages bereute, Lukes Tipp gefolgt zu sein...

Der Deal (mPreg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt