20.

2.1K 115 3
                                    

"Hallo Luke, hallo Niki! Kommt rein!"

Es war Marie, die uns die Wohnungstür öffnete und glücklich über ihr ganzes rundes Gesicht strahlte. Sie sah nicht unfreundlich aus, aber dafür ein wenig nervös. Sie trat sich selbst auf den Fußspitzen herum und im Gegensatz zu Kathrin war ihr erster Blick erwartungsvoll meinem Bauch gewidmet, ehe sie mir auch in die Augen sah und wir Hände schüttelten. Ich lächelte nur schwach zurück. Heute war kein guter Tag für mich, ich hatte mich direkt nach dem Aufstehen übergeben müssen, obwohl das schon seit einiger Zeit nicht mehr passiert war. Und ich hatte einen Mordshunger, doch auch nur der Gedanke an Essen drohte mir noch einmal den Magen umzudrehen. Wenn man mir meinen Zustand von außen ansehen konnte, sagte Marie aber zum Glück nichts dazu...

"Hi Marie, wie gehts dir?", begrüßte Luke sie deutlich fröhlicher als ich. "Bestens!", antwortete sie und lotste uns ins Wohnzimmer, "Und Dankeschön nochmal, dass du an uns gedacht hast! Wir haben schon so oft über eine Adoption nachgedacht, aber naja, es ergibt sich einfach nie, dass wir unser Vorhaben auch umsetzen..."

Ihr Lebenspartner saß im Wohnzimmer und sprang von der Couch auf, sobald er uns sah. Mit langen Schritten kam er auf mich zu: "Du bist Niki? Hi, ich bin Tom!"

"Sehr erfreut", murmelte ich und verkniff mir einen Schmerzenslaut. Tom hatte mir vor Aufregung beinahe die Hand zerdrückt, obwohl er auf den ersten Blick gar nicht so kräftig aussah. Eher schlaksig und dünn durch seine Körpergröße, er musste sicher ein wenig über zwei Meter messen. Irgendwie das komplette Gegenteil von Hagen, dem sanftmütigen Bären, und bereits jetzt ich wusste eindeutig, wen von beiden ich lieber mochte. Tom schien seinen Fehler zu bemerken, er entschuldigte sich mehrmals bei mir und bot mir dann einen Sitzplatz an. "Die Vorfreude, weißt du? Ich würde so gerne endlich ein Papa werden!", schwärmte er und sprang wieder auf, als er Luke in der Tür erblickte. Die beiden Männer schüttelten Hände, nicht weniger enthusiastisch als Tom und ich zuvor, dann kam hinter ihnen Marie in den Raum. In ihren Händen trug sie ein riesiges Blech mit selbst gebackenem Kuchen und mir drohte der Magen zu schlingern. Es duftete echt gut, aber mein Körper sagte mir immer noch, dass ich es nicht bei mir behalten würde. Böse auf mich selbst presste ich meine Lippen zusammen und schaute strikt beiseite, als der Kuchen auf dem Stubentisch abgestellt wurde. Hoffentlich hörte die Übelkeit bald auf... denn ich glaubte Maries erwartungsvollen Blick bereits auf mir zu spüren. Im schlimmsten Fall verwechselte sie meine Zurückhaltung mit Unhöflichkeit und wer wusste, wie sie dann reagierte. Ich kannte sie schließlich noch gar nicht und musste mich auf Luke verlassen, dass er wusste, wie er mögliche vertrackte Situationen entschärfen konnte.

"Bedient euch, wenn ihr Gabeln und Teller braucht, hole ich noch welche!", bot unsere Gastgeberin an, aber wir verneinten rasch und Luke nahm sich lächelnd ein Stück. Die drei begannen ein wenig zu plaudern und ich klinkte mich nach und nach immer weiter aus. Nicht weil mich ihr Gespräch nicht interessiert hätte, sondern weil ich irgendwann all meine Konzentration darauf legen musste, nicht zu würgen. Der Duft nach Zuckerguss und Schokolade hatte sich im ganzen Raum ausgebreitet und verschlimmerte meinen Zustand zunehmend. Ich versuchte krampfhaft, mir nichts anmerken zu lassen, Tom und Marie anzuschauen wenn sie etwas sagten und meinen Mund nicht zu einer Grimasse verziehen. Doch gerade, als ich kurz aufstehen und mich auf Toilette verabschieden wollte, musste natürlich mein Magen knurren, laut und gut für jeden hörbar. Mist...!

Sofort wollte Marie mir ihren Kuchen aufschwatzen. Zuerst blieb sie noch freundlich, dann wurde sie aufdringlich: "Du musst dich nicht wegen uns zurück halten. Nimm doch bitte etwas, ich hab den extra für euch gebacken! Luke hat gesagt, du hast keine Allergien, probier wenigstens einen Bissen!"

"N-nein, bitte", stöhnte ich und kämpfte mich hoch. Mein Partner versuchte währenddessen bereits unser Missverständnis zu schlichten, aber es ging nicht schnell genug. Ich musste aufstoßen, drängte Tom beiseite, der mir ungeschickterweise im Weg stand und riss auf gut Glück eine der Türen auf. Das Badezimmer, mit Klo. Gerade rechtzeitig hängte ich mich noch darüber, dann konnte ich nicht mehr an mich halten und erbrach alles, was noch in meinem Körper gebrodelt hatte. Peinlich, bei Gästen, eigentlich sogar Fremden, ohne eine Vorwarnung gebracht zu haben... Warum mussten solche Sachen dauernd mir passieren...?

"Oh man...", hörte ich jemanden neben mir seufzen. Tom war mir gefolgt und lehnte jetzt im Türrahmen, gefangen zwischen Mitleid und Ekel, Neugier und Zurückhaltung, Hilfsbereitschaft und Hilfslosigkeit. "Passiert dir das... öfter?"

"Ich brauche einen Lappen", überging ich seinen Kommentar und entschloss noch im selben Augenblick, nicht eine Sekunde länger als nötig hier zu bleiben. Ich würde nur noch schnell sauber machen, mir danach Luke schnappen und abhauen. Marie und Tom konnten bestimmt auch furchtbar nett sein und sich gut um ein Kind kümmern, aber definitiv nicht um meines. Für mich waren sie innerhalb der letzten Minute aus dem Rennen ausgeschieden. In Situationen wie meiner gerade eben waren sie einfach viel zu überfordert, Marie nahm das seltsame Verhalten anderer sofort persönlich und Tom schien nur einen Statisten in seinem eigenen Film zu spielen, er war ständig wie fehl am Platz und ohne Aufgabe und Funktion. Wenigstens brachte er mir jetzt den gewünschten Lappen, schaute mir dann aber wieder unentschlossen zu, wie ich die Spritzer Erbrochenes von Klobrille und Boden aufputzte. Egal was sie nun von mir denken mochten, ich hatte genug von diesem Treffen! Nur noch nach Hause und den heutigen Tag vergessen!

Luke hatte im Wohnzimmer auf mich gewartet und kam eilig auf mich zu, als er meine Schritte vom Flur hörte. Marie war ihm auf den Fersen und entschuldigte sich mehrmals bei mir für ihre Aufdringlichkeit von vorher. Immerhin, aber ich fühlte mich trotzdem nicht mehr wohl. Sie verstand, wir versicherten den beiden, dass wir dennoch über sie als mögliche Eltern nachdenken würden, und saßen kurz darauf schon wieder in Lukes Auto.


Diesmal war ich es, der wie ein Grab schwieg, bis Luke vorsichtig mit seiner Hand nach meiner tastete. "Geht es dir besser, Niki? Oder ist dir immer noch übel?"

"Ein wenig besser, aber... der Besuch war Katastrophe", stellte ich mit einem Seufzer fest. Luke erwiderte: "Ja, war es... Wir hätten Marie gleich sagen sollen, dass du nichts essen kannst. Oder das Treffen auf nächste Woche verschieben, das hätten sie bestimmt auch verstanden. Aber du gibst dir hoffentlich nicht die Schuld deswegen, oder?"

Doch, ein wenig schon. Aber das sagte ich Luke nicht und kuschelte mich stattdessen tiefer in den Beifahrersitz. Jetzt nachdem wir die fremde Wohnung verlassen hatten und ich nicht mehr vom Duft nach Zucker eingehüllt wurde, hatte sich mein Magen zum Glück endlich beruhigt, vielleicht auch schon genug für eine richtige Mahlzeit. Während ich schon überlegte, was ich uns beiden Zuhause zubereiten könnte, sah ich meinen Partner aus den Augenwinkeln grinsen: "Mir ist gerade eingefallen, wie ich dich wieder aufmuntern kann!"

Der Deal (mPreg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt