Mallorca/Letzter Tag

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Mallorca

Ich komme mir so dumm vor. So unfassbar dumm. Dumm. Dumm. Dumm. Wie konnte ich denn nur denken, dass mich jemand wie Noah lieben würde? Ich spiele nicht annähernd in seiner Liga. Er ist viel besser als ich und auch hübscher. Mal ganz davon abgesehen ist er bestimmt auch erfolgreicher und auch reicher. Ich seufze und versuche mit Schminke meine Augenringe abzudecken. Ich habe die ganze Nacht geweint, selbst als Oma schon eingeschlafen ist und dachte, ich sei auch schon lange am schlafen. Aber das war nicht der Fall. Ich war wach. Fast die ganze Nacht. Gut. Es war die ganze Nacht. Es ist jetzt sieben Uhr und ich bin ins Badezimmer geschlichen. Ich starre mein Gesicht an und bemerke erst jetzt, dass ich trotz der Schminke immer noch blass bin. Gegen meine roten Augen kann ich auch nichts machen und werde wohl oder übel mich so der Welt zeigen müssen. Ich schäme mich dafür, dass ich so aussehe. Dass jeder weiß, dass ich geweint habe. Dass jeder weiß. Weswegen ich geweint habe und auf mich niedersehen wird. Ich verstecke meine Gefühle sonst, aber jetzt geht es nicht anders. Es wird jeder erfahren. Meine Oma kommt herein und ich starre mich immer noch im Spiegel an. Sie umarmt mich von hinten und legt ihren Kopf auf meine Schulter ab. Sie schlingt ihre Arme um mich und spendet mir Kraft. Ohne meine Oma, wäre ich nie vom Boden, der Sonnenbank aufgestanden und wäre immer noch am weinen und am schluchzen.

„Hör auf zu weinen, mein Schatz. Wenn er dich zum weinen bringt, hat er dich nicht verdient.", sagt meine Oma und wischt meine Tränen weg.

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich schon wieder angefangen hatte. Doch ich ignoriere es und versuche diesen Moment in meinen Erinnerungen zu speichern. Aber sie löst sich und nimmt wieder ihren Kamm. Sie fängt an meine Haare zu kämmen und es erinnert mich an früher. Als ich ein Kind war, hatte mir meine Oma immer die Haare

gekämmt und danach geflochten. Es hat eine beruhigende Art. Wie sie mit dem Kamm durch meine Haare fährt und sie entwirrt. Wie sie meine Haare in drei gleich große Teile teilt und mir, ohne sie danach gefragt zu haben, sie mir einen Zopf flechtet. Früher musste ich sie tausendmal fragen, ehe sie mir einen Zopf gemacht hat und dass sie mir jetzt einen macht, ohne, dass ich fragen musste, zaubert mir ein Lächeln auf mein Gesicht. Sie küsst meine Wange und lächelt mich an.

„Wir müssen bald vom Schiff und ich würde gerne noch etwas essen gehen. Kommst du mit?"

Ich nicke zögerlich und sie verlässt das Badezimmer. Ich atme aus und schaue mich immer noch an. Dummes Kind.

Wir sitzen zu zweit beim Frühstücken. Joseph ist schon wieder auf dem Weg nach Hause. Auch wenn Oma stark wirken möchte, nimmt es sie mit. Auch sie hat geweint. Nicht so lange wie ich, aber traurig ist sie auch. Aber sie hat einen Brief bekommen. Auf dem seine Nummer steht und seine Adresse. Ich denke, ihre Liebe wird eine Zukunft haben. Aber meine Liebe? Mein Leben? Wird noch einsamer, als es eh schon ist. Ich habe es immer abgestritten. Aber ich bin einsam. Langweilig. Durchschaubar. Abenteuerscheu. Vielleicht auch dazu verdammt unglücklich zu sein.

„Möchtest du wirklich nichts essen?", fragt mich meine Oma und schaut mich mitleidig an.

Ich schüttle leicht mit dem Kopf. Hunger habe ich nicht wirklich. Ich bleibe bei meinem schwarzen Kaffee. Durch den werde ich hoffentlich etwas fitter. Die Nacht durch zu weinen, zerrt ganz schön an meinen Kräften und auch an meinen Nerven. Meine Oma schaut skeptisch auf meinen Kaffee, fängt aber kein Gespräch an. Sie allerdings isst gut und nimmt Obst für später mit. Wahrscheinlich für mich, falls ich doch später hunger haben sollte. Aber das bezweifle ich. Ich lasse meinen Blick durch den Raum wandern. Überall müde Gesichter. Ich bin auch mü-

„Die Passagiere, die um halb 9 das Schiff verlassen, möchten sich bitte so langsam auf Deck 4 einfinden."

Meine Oma und ich tauschen einen Blick aus und wir bewegen uns Richtung Fahrstuhl. Unmotiviert laufe ich hinter meiner Oma her und versuche jeglichen Augenkontakt mit fremden Menschen zu vermeiden. Trotz des Kaffees ist meine Kehle trocken und brennt. Genauso wie meine Augen. Ich bin den ganzen Tag abwesend. Geflüchtet in meinen eigenen Kopf, in vergangene Erinnerungen. Um bloß dem Schmerz zu entkommen, der mich in der Realität wartet. Doch, sobald ich dort bin, kann ich meine Tränen nicht zurückhalten. Ich weiß gar nicht, woher diese ganzen Tränen kommen. Sie könnten eigentlich gar nicht kommen. Trotz meiner Höhenangst, überstehe ich den Flug ganz gut. Mit einem Taxi fahren wir nach Hause. Erst meine Oma und dann mich. Ich verabschiede mich von meiner Oma. Obwohl sie mich auf gar keinen Fall alleine lassen wollte. Aber ich habe darauf bestanden. Sie sollte sich erstmal um sich kümmern und um Joseph. Die Beiden haben auch eine Menge zu besprechen. Mit meinem Koffer in der Hand, schließe ich meine Tür auf und öffne diese. Ein vertrauter Geruch zieht in meine Nase. Ein kleines lächeln kann ich mir nicht verkneifen. Ich stelle den Koffer ab und schließe meine Tür. Unsanft lasse ich mich auf meine Couch fallen. Auf den Rücken. Mit dem Blick zur Decke. Ich starre und starre. Ich weiß nicht, wie lange ich starre. Aber bestimmt mehrere Stunden. Irgendwann wird der Raum dunkel. Meine Augen fangen wieder an zu brennen. Ich habe anscheinend die ganze Zeit geweint. Aber ich war abgelenkt. Vom Schmerz. Den Schmerz, den mir Noah absichtlich zubereitet hatte. Es war eigentlich abzusehen, dass unsere Beziehung keine Zukunft hatte. Ich war so naiv und habe ihm alles geglaubt. Ich habe nur das Positive gesehen und nicht die Realität. Die Realität.. Etwas, dass dich noch schlimmer trifft, als ein Schlag gegen den Kopf. Immer wird man unsanft in sie hinein geholt. Etwas, dass man nicht verändern kann. Unsanft werde ich wieder in genau diese hinein geholt. Es ist ein Klingeln. Ein Türklingeln. Mein Türklingeln. Ich stehe auf und drohe zu fallen, doch ich kann mich gerade so auf den Beinen halten. Unsicher auf meinen eigenen Beinen, schwanke ich zur Tür und öffne diese. Eine glückliche Lana schaut mich an, bis sie mein Gesicht genauer betrachtet. Ihr Blick wird trauriger und ich kann nicht anders als laut anfangen zu heulen. Sie nimmt mich in den Arm und genau in diesem Moment, geben meine Beine auf. Wir fallen zusammen auf den Boden, aber sie fängt mich auf und ich lasse den Tränen freien Lauf. Sie versucht mich zu beruhigen, aber am Anfang scheint es gar nicht zu funktionieren. Irgendwann konzentriere ich mich auf ihre Handbewegungen. Unsere Atmungen finden einen Rhythmus und als ich mich bereit fühle, fange ich an, ihr von ihm zu erzählen. Von den gemeinsamen Momenten, aber auch von den Momenten in denen wir getrennt waren.

Man sieht sich immer zwei MalWhere stories live. Discover now