1. Kapitel
Im Wald herrschte eine angnehm, friedliche Stille. Nicht einmal die Vögel unterbrachen sie mit ihrem Gesang. Ariane schlich durch das Unterholz, die Armbrust fest umklammert und mit wachem Blick. Dann entdeckte sie ihr Ziel. Die Hirschkuh, der sie bereits den halben Morgen nachjagdte, pausierte nun erschöpft an einem kleinen Bach und trank. Das Tier war unaufmerksam, das spürte Ariane und bereitete sich nun vor. Lautlos zog sie einen kleinen Pfeil für ihre Armbrust aus dem Beutel und strich ihn über ein kleines Schwämmchen an ihrem Gürtel. Den hatte sie heute morgen noch in einen giftigen Trank getränkt und verteilte mit seiner Hilfe nun das Gift auf dem Pfeil. Dann spannte sie den Pfeil in die Armbrust und schoss. Sekunden später traf der Pfeil im Hals des Tieres.
Ächzend sank die Hirschkuh auf die Knie. Schaum quoll aus ihrem Mund und die schwarzen Augen traten aus den Höhlen hervor. Ein grausames Lächeln legte sich über Ariane. Sie spürte das Leben aus dem Körper des Tieres weichen und begann leise vor sich hinzumurmeln. Dabei streckte sie die Hand aus und öffnete sie, als würde sie etwas auffangen wollen. Kleine weiße Lichter traten aus dem Körper der Hirschkuh, diese sackte zusammen und blieb leblos am Boden liegen, während sich die Lichter in Arianes Hand sammelten.
"Mh", machte das Mädchen und schloss genießend die Augen. Das Licht drang in ihren Körper ein und verteilte sich in ihr. "Genau das habe ich gebraucht."
"Die Seele einer Hirschkuh?"
Die Augen weiterhin geschlossen, lächelte Ariane und zog die Hand zurück.
"Die Seele einer gehetzten Hirschkuh, die in der Sekunde ihres Todes pure Angst gespürt hat", erwiderte sie und blickte nun auf. Vor ihr stand ein Mädchen, welches etwa so alt war wie sie - höchstens sechzehn. Sie trug eine schwarze Tunika, die in der Taille von einem ledernen Gürtel enger geschnürrt war. "Lila, was machst du hier eigentlich?"
"Ich war auf der Suche nach dir, meine Liebste", erwiderte die andere. Ihr blondes Haar glänzte beinahe weißlich im sperrlichen Sonnenlicht, welches durch das Blätterdach drang.
Ariane erhob sich und löste den Zopf, der ihre roten Locken zusammenhielt. Sie ging auf die Blonde zu und küsste sie leidenschaftlich. Kurz darauf löste sie sich und bekämpfte widerwillig die Gier in sich. So tief im Wald, sollte man nicht unaufmerksam sein - wobei die beiden Mädchen die letzten waren, die sich hier vor etwas in Acht nehmen mussten. Seit sie sich vor Jahren schon der schwarzen Magie verschrieben hatten, hatten sie hier nichts mehr zu befürchten - außer vielleicht die Menschen aus den Dörfern. Sie waren Kriegerinnen. Hexen. Und sie leibten einander. Somit waren sie Sünderinnen und mussten ihre Heimat schon vor Jahren verlassen. Mit Bannzaubern hatten sie dafür gesorgt unentdeckt zu bleiben, doch inzwischen wussten die Menschen außerhalb ihres Waldes, dass hier seltsame Dinge passierten.
"Wir müssen den Unruhestifter finden", flüsterte Lila und öffnete die Augen. "Sonst wird er noch die Dorfbewohner zu uns führen."
"Hätten wir denn was vor ihnen zu befürchten?", fragte Ariane mit einem leicht provokativen Unterton. Lila lächelte amüsiert und schüttelte den Kopf. "Siehst du. Sie sind doch nur Menschen und wir sind so viel mächtiger als sie. Ein bisschen Blut, etwas Gift und ihre Seelen werden uns gehören."
"Mh das würde dir gefallen, nicht wahr?", hauchte Lila und gab der Anderen einen Kuss auf die Nasenspitze. Dann löste sie sich komplett von ihrer Freundin und bewegte sich lautlos über den feuchten Waldboden. "Aber vielleicht begnügst du dich erst einmal mit dem Eindringling in unserem Wald. Mir passt es nicht, dass hier jemand herumschleicht, der nicht hier her gehört."
"Nun, für dich gehe ich doch nur zu gerne auf die Jagd."
*
"Wer immer sich hier aufhält, legt nicht gerade viel Wert darauf nicht gefunden zu werden", seufzte Ariane und ließ sich am Flussufer nieder. Sie tauchte die dreckigen Hände ins Wasser und klatschte sich dies dann ins Gesicht.
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Kurzgeschichten
Cerita PendekIn den letzten Jahren, habe ich des öfteren an Ausschreibungen für Kurzgeschichten teilgenommen. Einige Geschichten davon wurden ausgewählt und in Anthologien veröffentlicht. Andere haben es nicht geschafft oder sind außerhalb der Wettbewerbe entsta...