64. Kapitel

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Desto näher die ersten Spiele rückten, desto angespannter würde auch die Stimmung im Team. Dies hieß zwar nicht unbedingt, dass jeder schnell genervt war und alle schlechte Laune hatten, sondern viel mehr, dass sie es kaum erwarten konnten, dass es endlich losging.
Doch trotz allem Druckes, der neben der Vorfreude seines Teams irgendwann schon von allein auftauchen würde, wollte nicht Stefan Kunz ausgerechnet derjenige sein, der das ganze einleitete. Er wollte sehen, ob sich seine Vorbeitung ausgezahlt hatte, gab ihnen zwar die benötigten Hilfestellungen, stand ihnen mit Rat und Tat zur Seite und ließ sie nicht allein, aber wollte dafür dennoch zunächst sehen, wie sie sich von sich aus schlugen, ganz  ohne das er ihnen ständig hinterher lief.
Denn wenn sie es nicht schafften, ihre Vorfreude und ihr Können, wie im Training, auch in den Spielen zu ihren Vorteilen umsetzen und unter Beweis stellen zu können, brauchte er sich gar nicht erst Hoffnungen machen, dass sie es in den Spielen um die Europameisterschaft sonderlich weit bringen würden. Schließlich war auch ein guter Trainer machtlos, wenn Training, Tipps und Verbesserungen nicht angenommen und umgesetzt wurden und seinem Team der Siegeswille fehlte.

Doch an Siegeswillen fehlte es keineswegs, wenn schon, dann eher an einer guten Chancenverwertung, wie die deutsche U21 Nationalmannschaft, schon nach dem ersten Auftaktspiel der Gruppenphase mit einem 2:0 gegen Tschechien unter Beweis stellte.
Gut, es hätte noch um einiges besser für sie laufen können, aber Stefan Kunz hatte in seiner Trainerkariere schon bedeutend schlechtere Spiele und Aktionen gesehen und auch wenn manche schon recht ärgerlich waren, mit soetwas konnte er schon mal etwas anfangen.
Julian hatte im Tor eine grandiose Leistung hingelegt und auch die Treffer von Max und Serge könnten sich wirklich sehen lassen, einige gute, vergebene Chancen und einen verschossener Elfmeter hin oder her.

Auch das zweite Spiel gegen Dänemark konnte sein mit einem beachtlichen 3:0 für sich entscheiden. Davie ließ sich von seinem verschossenen Elfmeter im letzten Spiel nicht beirren und legte dieses Mal noch mehr daran seinen Fehler wieder gut zu machen, was ihm mit seinem Treffer zum 1:0 auch gelang. Und auch Nadiem und Marcs Tore, konnten sich wirklich sehen lassen.
Doch mit einem zweiten Sieg und bereits sicheren sechs Punkten in der Gruppenphase, welchen ihnen das weiter kommen bereits garantierte, galt es sich gegen einen neuen gefährlichen Gegner zu beweisen. Und dieser Gegner hieß nicht Italien, auch wenn ihre nächsten Gegner natürlich nicht zu unterschätzen waren, der wirklich gefährliche Gegner war die Siegessicherheit und der mit ihr verbundene Übermut und die Leichtfertigkeit.
Und dies war mit Sicherheit der größte und gefährlichste aller Gegner, egal wie stark das gegnerische Team auch war, wenn man zu sehr von sich überzeugt war und noch dazu viel zu überzeugt war, mit Leichtigkeit zu gewinnen, dann konnte das doch schon mal gar nicht erst was werden!

Und tatsächlich, das nächste Spiel gegen Italien war mit einer 0:1 Niederlage, wenn auch eine knappe, der beste Beweis. Auch Julian, der neben Max, welcher in seiner Führungsposition wirklich total aufblühte, einer der mit Sicherheit auffälligsten Spieler der deutschen Nationalmannschaft und vielleicht der bisher laufenden ganzen Europameisterschaft, doch auch dieser leistete sich, während ihm der Ball zwischen den Beinen durch ins Tor kullerte, eine erste wirklich unglückliche Aktion.
Vorwürfe wollte Stefan Kunz jedoch dennoch keinem seiner Spieler machen, denn Fehler passierten nun mal und das jeder mit seinen kleinen zu diesem Ergebnis bei getragen hatte, war seinen Jungs so oder so schon klar und das sie von nun an alles geben würden, dass ihnen soetwas nicht noch einmal passierte, war ihm auch klar.
Daher war der Trainer zwar nicht sonderlich sauer über die Niederlage sondern fast schon eher froh darüber, auch wenn es sich vielleicht ziemlich schräg anhörte. Aber jetzt in dieser Situation war die Niederlage vielleicht wirklich angebracht gewesen, denn das weiter kommen, hatten sie sich mit den ersten beiden Siegen ja bereits gesichert, sie hatten also nicht wirklich etwas zu verlieren und in dieser Situation einen Tritt in den Arsch zu kriegen und zu sehen, dass sie ihren Gegener nicht unterschätzen dürften und ihnen nicht alles einfach so zuflog, war die perfekte Lektion, die sie so oder so irgendwann hätten lernen müssen.
Desto früher eben diese Lektion kam, desto besser, denn diese eine Niederlage in genau dieser Situation konnten sie sich leisten, aber jede andere, im späteren Verlauf, hätte direkt das Aus verkünden können.

Gefühlschaos [U21 - EM 2017]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt