Ein scharfer Schmerz schoss durch Shiohis Schulter, als er rücklings gegen die Wrackwand geschleudert wurde, und ihm entglitt ein gequältes Stöhnen.
„Shi!"
Fukas Stimme drang an sein Ohr.
„Shi, ist alles in Ordnung?! Was ist passiert?!"
Shiohi zwang sich, den Schmerz beiseite zu schieben. „Alles in Ordnung," presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich scheine bloß nicht allein zu sein." Verdammt, das hätte nicht passieren dürfen! Ich bin Offizier, oder etwa nicht?! Frustriert ballte er die Hände zusammen und sah sich um– von seinem Angreifer fehlte nun jede Spur. Leise murmelnd beobachtete Shiohi seine Umgebung. „Wo bist du..?"
„Shiohi, bist du verletzt?" Uro klang besorgt. „Das gerade klang nicht gut..."
Vorsichtig betastete er seine Schulter. Ein stechender Schmerz durchfuhr sie bei jeder Bewegung, und der Schmerz pochte in seinem gesamten Körper, doch der Taucheranzug war–zu seinem Glück–nicht beschädigt. Gott sei Dank. Es wird nicht auffallen. „Nein, mir geht es gut. Ich habe mich beim Ausweichen nur unglücklich gestoßen. Nichts dramatisches.", log er. Die Anderen machen sich schon genug Sorgen. Da muss ich sie nicht noch mit meinem Versagen belasten.
Dieses Mal sprach Manabu. „Darüber wird Uro später entscheiden." Er zögerte. „Du weißt nicht zufällig, was dir Gesellschaft leistet, oder..?"
Erneut sah Shiohi sich um, diesmal gründlicher. Am Grund des Wracks hatten sich Überreste von Fischen und dergleichen gesammelt, und, zu Shiohis Bedauern, auch etwas, was wohl mal die Besatzung dargestellt haben könnte–nun abgefressen, verrottend und von kleineren Aasfressern umgeben. Und vor allem: Zu viel für ein einzelnes Tier. Nicht viele Jäger dieser Größe leben in Gruppen.
„Axocyt, zum Glück nicht der Axocyt, dafür ist es hier zu eng. Jedoch mehrere, deswegen tippe ich auf Aigo.", schlussfolgerte er.
„Also Mutter und mindestens ein Jungtier."
„...Genau." Scheiße. Aigo jagten im Familienverband, die Jungtiere blieben so lange bei ihrer Mutter, bis sie ihre eigene Familie gründeten. Und der Zorn einer Mutter, die ihr Junges beschützt, war das letzte, was Shiohi gerade gebrauchen konnte.
Auch Manabu schien sich dessen bewusst zu sein, die Anspannung in seiner Stimme verriet ihn. „Fuka. Stoß' zu Shiohi und unterstütze ihn. Er wird deine Hilfe brauchen."
„Verstanden." Auch Fuka hatte den Ernst der Lage begriffen.
„Und denkt daran: Neutralisieren. Unter keinen Umständen töten." Manabus Kommentar war überflüssig. Das oberste Gesetz Uminekos–Leben unter allen Umständen zu wahren–war ihnen schon während der Ausbildung ins Gedächtnis gemeißelt worden.Eine halbe Ewigkeit verging, bis Fuka Shiohi erreichte. Von den Aigo war immer noch nichts zu sehen, doch ihre Präsenz lag wie ein Schatten über den Offizieren. Sie beobachten uns. Ein Seitenblick zu Fuka verriet ihm, dass auch dieser sich dessen bewusst war; aufmerksam ließ er den Blick über den Maschinenraum schweifen, um keine noch so kleine Bewegung zu verpassen. Shiohi tat es ihm gleich.
Die Zeit verging, und Shiohi hätte schwören können, dass die Aigo geflohen wären, würde er nicht immer noch deren Präsenz wahrnehmen. Er musste eine Bewegung wahrgenommen haben, die Shiohi wohl entgangen war, denn Fuka spannte sich urplötzlich an. „Halt' dich bereit. Keine plötzlichen Bewegungen.", presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Unmerklich nickend griff Shiohi nach seinem Dolch. Er war–wie so gut wie alle Waffen Uminekos–nicht wirklich zum Verletzen und noch weniger zum Töten gedacht, sein Zweck bestand lediglich im Unschädlichmachen. Die Klinge war selbst für einen Dolch ungewöhnlich kurz, um keine tiefen, potentiell gefährlichen Wunden zu verursachen und war am effektivsten, wenn man sie gerade in eine ungeschützte Stelle einer Kreatur rammte. Dann würde ein Injektor an der Spitze ein starkes Nervengift freisetzen, das das Opfer für einige Zeit außer Gefecht setzen würde. Wäre der Einsatz beendet, könnten beide Fraktionen unbeschadet ihrer Wege gehen.
Angespannt ging er im Geiste alle Techniken durch, die man ihn gelehrt hatte, und verstärkte seinen Griff um den Dolch, in der Hoffnung, ein Zittern zu verbergen. Was ist nur los mit dir?! Du bist nicht mehr in der Ausbildung, du bist Offizier! Wovor also hast du Angst?! Wütend über sich selbst biss er die Zähne zusammen. Wenn Vater dich so sehen würde, dann-!
Von seinen Gedanken abgelenkt bemerkte Shiohi den auf ihn zu rasenden Aigo zu spät, panisch riss er den Dolch hoch. Vom Wasserwiderstand abgebremst war er jedoch zu langsam, die Klinge rutschte ab, und die Injektion ging ins Leere. Erneut wurde Shiohi gegen die Wand geworfen.
„Fuka!" Sein Ausruf war überflüssig, denn Fuka war bereits da und rammte seinen Dolch zwischen Flosse und Rumpf des Aigo, welcher kurz darauf erschlaffte–das Gift wirkte.
Der zweite Aigo ließ nicht lange auf sich warten. Vom Aufprall benebelt, rappelte sich Shiohi auf, überzeugt, dieses Mal zu treffen. Der Zorn des zweiten, deutlich größeren Aigos galt Fuka, der sich elegant vom besiegten Gegner abstieß, um Platz für das anstehende Aufeinandertreffen zu schaffen.
„Die Mutter!", schrie Fuka ihm zu, nur um daraufhin geschmeidig einem Angriff auszuweichen. Der Aigo schoss an ihm vorbei und prallte gegen die dahinterliegende Wand. Benommen hielt er inne. Jetzt! Eine Chance zum Angriff erkennend schwamm Shiohi los, seine Bewegungen schienen im Vergleich zu Fuka und dem Aigo schrecklich träge. Bei seinem Ziel angekommen, machte er sich bereit, anzugreifen, als Fuka ihn hochschrecken ließ.
„Pass' auf!"
Zu träge. Er stieß zu, doch sein Gegner hatte sich bereit erholt und wirbelte zu ihm herum. Die Schwanzflosse erwischte ihn am Kopf, und Shiohi wappnete sich für eine erneute Begegnung mit der Wand.„SHI!" Am Rande seines Bewusstseins hörte Shiohi Fukas entsetzen Schrei, spürte, wie ihm der Dolch aus den Fingern glitt.
Fukas festen Griff, der ihn vom Hinabsinken bewahrte, und dessen Verwirrung, als der Aigo plötzlich Reißaus nahm.
Und die Schreie, die Angst und das Entsetzen, als sich ein gewaltiger Schatten über das Wrack legte.
Wie Fuka seinen Griff verstärkte und sich in Bewegung setzte, auf ihn einredete.Als der Axocyt da war.
Versager.
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OCEAN BLUE
Science FictionShiohi ist Kommandant der Marine. Aufgabe dieser ist es, die Menschheit vor den im Meer lebenden Ungetümen zu schützen, die dort umherstreifen, was sie erfolgreich meistert. Doch dieser Erfolg soll nicht andauern: Eine neue, gefährlichere Generati...