(2) Perla

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„Pass gefälligst besser auf, du Göre!“, schrie ein Mann aufgebracht der jungen Frau hinterher, die kurz zuvor durch die Menschenmassen auf dem kleinen Marktplatz gestürmt war und einen nach dem anderen dabei über den Haufen rannte. Doch sie war schon längst weitergesprintet, denn jede Sekunde würde bei diesem gefährlichen Spiel gegen die Zeit oder eher gegen die Arcana Famiglia zählen. Allerdings schien das Schicksal wie sonst auch, es nicht gut mit ihr zu meinen. 
Nicht nur der schmale Gurt, der sich bei jedem weiterem Schritt wie ein scharfes Messer, dank des schweren Mantels in der viel zu kleinen Umhängetasche, immer tiefer in ihre Haut schnitt, machte ihr stark zu schaffen. 
Zusätzlich verbrannte der große Feuerball am klaren blauen Himmel die Luft, wodurch die Blonde bald das Gefühl hatte, zu ersticken und der Schweiß schmerzte höllisch in ihren Augen, sodass sich einzelne Tränen aus diesen lösten. Aber sie hatte keine Wahl, sonst würde sie bald ihre Tage im Gefängnis verbringen. Da nahm sie lieber ein paar Qualen auf sich, als zur Sonne nur noch durch eiserne Gitterstäbe aufzusehen. 
Dieser Gedanke gab ihr neue Kraft und so rannte sie die lange Straße weiter entlang. Das Ziel: die kleine Parfümerie Kaori.

Tatsächlich kam sie gerade noch rechtzeitig, denn aus dem Augenwinkel erkannte sie einen grauen Haarschopf, der sich mit gefährlich rasantem Tempo dem mintgrüngestrichenen Laden nährte. Daher trat die Blonde schnell durch die Holztür und wurde sofort von den unzähligen Duftnoten erschlagen, die in der Luft lagen. Auch wenn sie gerne noch länger die betörenden Gerüche bestaunt hätte, ging sie sofort auf die schwarzhaarige Frau hinter dem Tresen zu, schnappte sich ihren knochigen Arm und zog sie mit sich in einen angrenzenden Raum. Mit zitternden Händen zog sie den Vorhang zu, der sie vor neugierigen Blicken von vorbeigehenden Passanten schützten sollte. Schließlich wandte sie ihren Blick zu der Person vor ihr, der die Verwirrung im Gesicht stand. 
„Es tut mir leid Emma, wenn ich dich so überrumpelt habe, aber es ist wirklich dringend.“, begann die Blonde hektisch, „Hier werden gleich zwei Männer auftauchen und nach einer Kundin fragen, die meist ein Parfüm kauft, das nach Minze riecht-“
„Aber du bist doch die einzige Käuferin dieses Parfüms, Sofia.“, unterbrach die Parfümeurin die Kleinere, deren Blick immer wieder panisch zu dem schwarzen Vorhang glitt. Dann richteten sich die eisblauen Augen Sofias wider zu der Größeren. Und ein weiteres Mal stellte sich Emma innerlich die Frage, ob diese Augen jemals wieder strahlen würden oder für Ewigkeiten matt und stumpf blieben?
„Das ist der Punkt. Es ist wichtig, dass du ihnen unter keinen Umständen verrätst, dass nur ich dieses Parfüm benutze, ich bitte dich. Erzähl ihnen, der Käufer würde jedes Mal einen dunklen Umhang tragen, der sein Gesicht verdeckt. Deswegen weißt du nicht, wie er aussieht.“, führte nun Sofia ihre Bitte zu Ende, als sie plötzlich das läuten einer Glocke hörten. 
Sie waren hier. 
Flehend blickte die Blonde der älteren Frau in die honigbraunen Augen, in denen die Skepsis Wurzeln geschlagen hatte. Sie war ganz und gar nicht überzeugt. 
Gerade wollte sie etwas erwidern, als eine männliche Stimme erklang. Ohne ein weiteres Wort wendete sich Emma von der Jüngeren ab, und drängte sich vorbei an dem schweren Stoff, der einzigen Mauer, die Sofia von der Arcana Famiglia noch trennte. 

„Guten Tag die Herren, was kann ich für sie tun?“, begrüßte nun eine schwarzhaarige Frau die beiden Männer, die sich erstaunt in dem kleinen Laden umsahen. 
Entlang der grüngestrichen Wände reihten sich hellbraune Holzregale aneinander, die viele kleine Glasflaschen beherbergten. Jedes dieser zerbrechlich aussehenden Flächen war befühlt mit den verschiedensten, ausgehend von dem himmlischen Duft, der sie seit Betreten des Ladens umhüllte, gutriechenden Flüssigkeiten. Während manche fast durchsichtig erschienen, wie Trinkwasser, schimmerten andere wiederum leicht bläulich, grün oder gar gelb. Als letztes rundeten vereinzelte Blumen das Gesamtbild des süßen kleinen Ladens ab. Schnell rief sich Debito ins Gedächtnis zurück, warum er hier war und wendete sich wieder zu der freundlich schauenden Frau hinter einem etwas höheren Tisch, der anscheinend den Nutzen eines Tresens erfüllte. Sie schien Anfang 50 zu sein, wenn nicht sogar jünger. 
„Entschuldigen sie die Störung. Wir sind von der Arcana Famiglia und wollten sie fragen, ob sie ein Parfüm verkaufen, welches nach Minze riecht?“, antwortete er auf die Frage der Dame, während Paces Blick an einem einfachen Vorhang am Ende des Raums haftete und seine komplette Aufmerksamkeit zu beanspruchen schien. 
„Ja, dass tue ich. Wollen sie etwa eines kaufen?“, erwiderte sie sofort. 
Sofia hatte ihr also die Wahrheit gesagt. Aber warum um alles der Welt sollten diese beiden nicht erfahren, dass nur sie dieses Parfüm benutzte? 
Wie so üblich verheimlichte dieses Mädchen ihr etwas. Noch nie hatte sie ihr gegenüber die volle Wahrheit offenbart, auch wenn Emma genau wusste, dass Sofia dies nur tat um die Menschen um sie herum zu schützen. Dabei hatte die Verkäuferin das Mädchen damals aus freien Stücken bei sich aufgenommen, nachdem der Boden unter ihren Füßen zusammengebrochen war. Aber diese nervige Angewohnheit hatte sie wohl von ihrer genauso geheimniskrämerischen Mutter geerbt. Diese hatte ihre geheimsten Gedanken bis zum Schluss sicher verwahrt, wie auch Sofias Vater.

Diamante di Luce [Arcana Famiglia]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt