Kapitel 32

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Der Beginn des Prozesses ist gerade fünf Tage her und ich bin überrascht, dass Erich so entspannt vor seinem Laptop sitzt. Ich meine, gut, das ist sein Job, aber ich hätte trotzdem gedacht, dass er ein bisschen unentspannter wäre. 
"Erich, was machst du da eigentlich?"
Er sieht von seinem Bildschirm auf und wird leicht rot.
"Ich mache nur ein bisschen Papierkram, das ist alles."
Ich stehe von der Couch auf und setze mich zu ihm an den Wohnzimmertisch. Ich versuche einen Blick auf das zu erhaschen, an dem er gerade arbeitet, doch mein Freund klappt seinen Laptop vor meiner Nase zu. 
"Erich, jetzt sag schon, an was arbeitest du da?"
Er beißt sich auf die Unterlippe, doch grinst dann verschwörerisch. 
"Das ist eine Überraschung, das werde ich dir nicht sagen."
Ich verdrehe die Augen, weiß aber, dass ich nichts aus ihm herausbekommen werde. 
"Na gut, wenn du das so unbedingt geheim halten willst, dann mach das von mir aus, aber erwarte dann nicht von mir, dass ich dir noch etwas von meinem Pudding abgebe, der im Kühlschrank steht, klar?"
"Alles klar, jetzt fährst du also die schweren Geschütze auf, oder was?"
Ich will gerade etwas antworten, als mein Handy klingelt.
"Bitte entschuldige mich für eine Sekunde."
"Kein Problem, während du telefonierst, kann ich ja deinen Pudding essen", antwortet er, grinst noch breiter, erhebt sich und geht vermutlich in die Küche. 
"Wenn du meinen Pudding anfasst, drehe ich dir den Hals um, Erich!"
Ich höre ihn noch lachen und gehe dann ans Telefon. Es ist Ivana.
"Hey Iva, was ist los?"
"Courtney, ich will dich ja echt nicht am Wochenende stören, aber Gus zerlegt gerade sein Apartment. Und ich kriege ihn nicht ruhig gestellt."
Im Hintergrund höre ich ein Scheppern.
"Shit, er ist an den Geschirrschrank gegangen. Courtney, bitte beeile dich, ich möchte, dass noch was von seiner Wohnung übrig bleibt!"
Dann legt sie auf. Ich reagiere sofort und hole Erich aus der Küche. Dass ich ihn gerade dabei ertappe, wie er sich einen Löffel meines Puddings in den Mund schiebt, ist gerade eher nebensächlich.

"Und sie hat dir echt nicht gesagt warum?"
"Nein, hat sie nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass er sein Geschirr zerdeppern wollte, als ich Ivana am Telefon gehabt hatte."
Unsere schnellen Schritte knirschen im Schnee, als wir Gus' Auffahrt erreichen.
"Ich vermute, dass es etwas mit seinen Eltern zu tun haben könnte. Zumindest würde es mich nicht überraschen."
Noch bevor ich fragen kann, was er meint, wird auch schon die Tür geöffnet. 
"Gott sei dank, ihr seid da! Kommt schnell, Gus dreht vollkommen durch!"
Ich lasse meine Schuhe im Flur stehen und gehe in ein vollkommen verwüstetes Wohnzimmer. Alle Bücher, die eigentlich in dem Regal gestanden haben, sind jetzt auf dem Boden verstreut. Manche Seiten liegen ausgerissen im Zimmer herum und die Stühle am Esstisch sind umgeworfen worden. 
Was zur Hölle ist hier passiert?
Ich habe keine Zeit, um mich weiter damit zu beschäftigen, denn ein Klirren und ein danach folgender Schrei lenken meine Aufmerksamkeit in Richtung Küche. 
Noch bevor Erich oder Ivana etwas tun können, habe ich schon den Raum betreten und muss mit ansehen, wie sich Gus die blutige Hand hält, während er zwischen den Glasscherben auf dem Boden hockt.
"Augustus!"
Sofort renne ich zu ihm und lasse mich neben ihm nieder. 
"Was machst du nur für einen Unsinn?"
Er sagt nichts, sondern sieht mich nur kalt an. Noch nie im Leben habe ich so viel Hass in den Augen eines Menschen gesehen. Hass, den ich früher hätte melden müssen.
"Gus, bitte hör damit auf, deine Wohnung und dich selbst zu zerstören. Das bringt nichts."
Ich erkenne seine Stimme kaum, sobald er anfängt mit mir zu reden. Sie ist monoton, ohne jegliche Emotionen. Nichts als Kälte, so wie in seinen Augen.
"Natürlich, du musst es mal wieder am besten wissen, nicht wahr, Courtney? Du weißt immer alles besser, oder? Das ist lustig. Schließlich scheinen die Menschen immer zu wissen, was am besten für mich ist, denn ich bin anscheinend nicht alt genug, um selbst zu entscheiden, was ich in meinem Leben will oder wozu ich im Stande bin. Ist schon klar, du bist nicht besser als sie."
Ich starre meinen Ex nur an und habe keine Ahnung, was ich sonst machen könnte.
"Alter, ich weiß, dass deine Eltern wahrscheinlich wieder ziemlich mies zu dir gewesen sein müssen, aber lass das nicht an uns aus", mischt sich Erich nun ein und hat ein Glas Alkohol dabei.
"Jetzt ist echt nicht der richtige Zeitpunkt, um zu trinken, Erich!"
Er lacht leise. 
"Court, das ist nicht zum Trinken gedacht, damit muss ich seine Hand identifizieren. Rutsch mal bitte ein bisschen. Ivana, hast du was zum Verbinden gefunden?"
Meine beste Freundin kommt mit einem Verband in die Küche und reicht es meinem Freund. Ich bin überrascht, dass er das Verarzten so gut zu beherrschen scheint.
"Will ich wissen, warum du das so gut kannst?"
Darauf antwortet er nicht und ich muss mich mit dem Schweigen zufriedengeben.

Ivana reicht Gus eine Tasse Kaffee, die er auch trotz ein paar Schwierigkeiten mit seiner Hand annimmt.
"Danke", sagt er leise und trinkt einen Schluck. Erich hilft ihm ein wenig dabei und ich? Ich sitze am anderen Ende der Couch. Ich habe seinen Ausraster noch immer nicht verstanden. Ich meine, ich wusste bereits, dass Erich Probleme mit Aggressionen hat, doch bei Augustus ist es mir neu. Niemand will mir verraten, was überhaupt der Auslöser gewesen ist. Weder Ivana, die zu dem Zeitpunkt aus irgendeinem Grund schon hier gewesen sein muss, noch Erich, dem solche Ausbrüche seines besten Freundes bereits bekannt gewesen zu sein scheinen. 
Gus sieht vollkommen fertig und mitleidserregend aus. Trotz allem scheint das auch für ihn nicht der erste Ausbruch gewesen zu sein. Mir kommt es sogar fast so vor, als seien sie daran gewöhnt.
"Eigentlich wollten Iva und ich nur ein neues Entwicklungskonzept besprechen, um es dir nächstmöglich vorstellen zu können. Aber dann haben meine Eltern angerufen. Ich weiß, ihr habt gesagt, ich solle nicht rangehen, aber ich kann einfach nicht anders. Was ist, wenn irgendwas Wichtiges ist? Jedenfalls haben sie von dem Prozess gegen dich erfahren, Erich. Aber anstatt sie sich darüber informieren würden, wie es dir bzw. uns damit geht, fragen sie mich, weshalb ich schon wieder eine Beziehung in den Sand gesetzt hätte. Was ich denn schon wieder falsch gemacht hätte, um ein weiteres Mädchen zu verlieren und ob ich anhand meiner nicht vorhandenen Erfolgsquote doch lieber mal meine sexuellen Präferenzen hinterfragen sollte. Ich könne ja anscheinend nicht dafür sorgen, dass eine Frau bei mir bleibt, vielleicht solle ich es mal mit einem Mann versuchen. Habt ihr überhaupt eine Ahnung, wie demütigend das ist? Garantiert nicht. Ich habe rein gar nichts gegen Homosexuelle, aber ich sehe nicht ein, dass es mir unterstellt wird, nur weil ich eben kein Glück in meinen bisherigen Beziehungen hatte. Ich meine, es war nicht meine Schuld, dass sich meine große Liebe in jemand anderen verliebt hat. Das bedeutet trotzdem nicht, dass ich schwul bin. Sie sollen sich aus meinem Leben verpissen! Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe, aber ich will nicht ständig daran erinnert werden! Ich bin nicht der perfekte Sohn und ich werde es nie sein, das will ich auch nicht! Alles, was ich möchte, ist, dass jemand bei mir bleibt und mich so liebt wie ich bin!" 
Plötzlich fühle ich mich schlecht. Aber wie hätte ich mich denn gegen die Gefühle wehren können? Ich liebe Erich über alles und es tut mir zwar leid für Gus, aber ich kann es nicht ändern.
"Augustus, du musst endgültig einen Schlussstrich ziehen. Wenn sie weiter an dich ran kommen, wird der Schmerz nie aufhören und das wollen wir alle nicht. Es muss endlich ein Ende finden oder du springst uns irgendwann noch von der Golden Gate Bridge." 
Besser als Ivana hätte ich es wohl kaum formulieren können.

"Ich verstehe wirklich nicht, wie man sein eigenes Kind so verabscheuen kann, um es dann so fertig zu machen!", schimpfe ich, kaum haben wir Erichs Apartment wieder betreten.
"Es kann doch nicht sein, dass man sein eigenes Kind so hasst! Wenn ich einmal Kinder habe, kommt mir das nicht in die Tüte!"
Mein Freund nimmt mein Gesicht in die Hände und küsst meine Nase.
"Heißt, du willst später mal Kinder mit mir haben?"
Seine Augen leuchten und ich finde es echt süß, aber schiebe ihn dennoch leicht weg.
"Du weißt doch, dass das nicht der Punkt ist. Zumindest noch nicht. Mir ist nicht klar, wie man so mit dem eigenen Kind umgehen kann, schließlich wollte man es in die Welt setzen!"
Mein Freund beißt sich auf die Unterlippe und ich sehe ihn mit schrägem Kopf an.
"Was ist los?"
"Das ist es ja. Wenn man das Kind in die Welt setzen wollte. Gus ist ein Unfall gewesen. Das haben ihm seine Eltern irgendwann mal an den Kopf geworfen, kurz nachdem er bei mir angefangen hat. Sie hätten ihn nur deshalb behalten, weil sie dann einen Erben für ihre Kanzlei gehabt hätten. Sie haben ihn immer spüren lassen, dass sie ihn eigentlich nicht gewollt haben. Das prägt ihn bis heute. Bis heute versucht er ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Bis heute versucht er perfekt zu sein. Gus hat nie richtige Liebe erfahren und als Ivana neu in die Firma gekommen ist, hatte er so ein schreckliches Tief gehabt, dass ich Tage und Nächte bei ihm verbracht habe, nur um sicher zu gehen, dass er sich nichts antut."
Mir stehen die Tränen in den Augen und ich schlucke. Mir ist auch schon der ein oder andere schlimme Mensch untergekommen, aber diese Eltern sind wirklich an der Grenze der Hölle.
Noch bevor ich etwas tun kann, küsst Erich mich sanft.
"Mach dir keine Sorgen um ihn, wir sind seine Familie. Versprochen. Hey, was sollen die Tränen?"
Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich tatsächlich zu weinen begonnen habe, aber ich schlinge meine Arme um seinen Bauch und schmiege mich an ihn.

Hallo meine lieben Cookies! ❤️
Hier habe ich endlich ein neues Kapitel für euch. :)
Ich hoffe, es hat euch gefallen.
Ich habe gestern meinen Abschluss erhalten und jetzt beginnt ein neuer Abschnitt für mich! 
Leider weiß ich nicht, wann ich das nächste Mal zum Updaten komme, da ich die nächsten drei Wochen erst auf Abifahrt in Spanien und dann an der Ostsee mit Freunden campen bin. 
Was sagt ihr zu Gus? :(
Habt ihr eine Vermutung für seinen weiteren Verlauf?
Lasst es mich wissen ;)
Read you next time ;*
Momofelton ❤️

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