9 ~ Heirat

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Leere.
Verzweiflung.
Hilflosigkeit.

Alles Gefühle, die Robin nie wieder empfinden wollte.
Und doch waren sie wieder da.
Jetzt, wo sie in einem Schlafgemach eingesperrt darauf wartete, dass etwas passierte.

Andrew, ihr Bruder und der König dieses Reiches, hatte versprochen, dass Liam nichts passierte, solange sie den Prinzen Titus heiratete und Liams Vater, der König Robins Heimat, Entschädigung für den Prinzen zahlte und versprach, Andrews Reich nicht anzugreifen.

Es grauste Robin in jeder einzelnen Sekunde, in der sie an die Vermählung mit einem Wildfremden dachte. Es grauste ihr im Allgemeinen bei dem Gedanken an eine Vermählung.

Sie hatte niemals daran gedacht, zu heiraten.

Nach der Heirat würde er allerdings Liam freilassen. Robin wusste zwar nicht, wie viel sie auf seine Versprechen geben konnte, jedoch war es momentan die einzige Chance, die ihr blieb, so dachte sie. Auf keinen Fall wollte sie, dass Liam etwas passierte.

Noch immer konnte sie sich nicht an alle Einzelheiten erinnern, die zwischen dem Angriff der Wölfe und Robins und Liams Gefangennahme geschehen waren, jedoch wusste sie schon wieder einige Dinge.
Was sie außerdem wusste war, dass Liam ihr aus einem bestimmten Grund nicht ganz egal war. Welcher das allerdings war, das wusste Robin noch nicht.

Noch einmal sah sich Robin in ihrem Zimmer um. Die Fenster waren verriegelt und für Robin unmöglich zu öffnen. Auch die Tür war verschlossen worden. Das Bett, welches in der Mitte des Raumes stand, war zwar das Gemütlichste, worauf sie jemals gelegen hatte, jedoch hatte sie letzte Nacht kein einziges Auge zubekommen.

Die kleine Anrichte, die vor dem Fenster stand, war gefüllt mit allerlei Sachen, die eine Prinzessin benötigte und der Schrank gegenüber der Fenster war gefüllt mit den schönsten und wahrscheinlich teuersten Kleidern, die sie jemals zu Gesicht bekommen hatte. Sie eine Prinzessin? Robin lachte kurz trocken auf.

Langsamen Schrittes ging sie auf die kleine Anrichte zu, die unter dem Fenster stand. Sie öffnete die oberen Schubladen und entdeckte ein paar Blätter Papier und eine Feder samt einem noch geschlossenen Tintenfässchen. Leider konnte Robin weder lesen noch schreiben. Wie auch? Sie hatte niemals die Möglichkeit dazu gehabt, es zu lernen.

Behutsam schloss Robin die Schubladen wieder. Sie gaben ein leises Knarzen von sich.
Robins Blick galt von einer Sekunde auf die nächste nur noch dem Fenster und sie fasste einen Entschluss; Sie würde sich und Liam hier heraus bekommen, koste es, was es wolle.

Sie zog mit ihrer gesamten Kraft an den Fenstern. Wieder und wieder zog sie daran, doch es rührte sich nicht ein kleines Stück.
Seufzend trat Robin einen Schritt zurück. So ging es wohl doch nicht.

Mit einem entschlossenen Herzen ging Robin an die Tür. Sie klopfte kräftig dagegen. Eine List musste her; Und Robin hatte schon genau die Richtige parat. Sie war zwar nicht gebildet, doch nicht dumm. Wäre sie dumm, hätte sie nicht die ganzen Überfälle auf Adelige überlebt.
Als nach dem ersten Klopfen keiner ihre Tür öffnete, klopfte sie ein weiteres Mal, diesmal penetranter, gegen diese.

"Was wollt Ihr, Eure Hoheit?", kam eine gedämpfte Stimme von außen. Kurz blinzelte Robin. Diese Aussage klang verabscheuend und höflich zugleich. Wundersame Sache.

"Ich würde es sehr begrüßen, wenn sie mir ein privates Gespräch mit meinem Bruder ermöglichen würden. Es geht um meinen zukünftigen Ehemann."
Robin musste sich ein wenig zusammenreißen, um dieses Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. Sie wollte nicht heiraten, jedenfalls nicht so. Und dieses ekelhafte Scheusal als ihren Bruder zu bezeichnen gefiel ihr auch überhaupt nicht.

Nach einigen kurzen Momenten der Stille öffnete sich zaghaft die riesige Tür zu Robins Schlafgemach und eine müde Wache kam dahinter zum Vorschein.
Die Tatsache, dass diese Wache anscheinend übermüdet war, passte gut in Robins Plan.

Langsam begleitete sie die Wache die Treppe hinunter, die am Ende des Flures angrenzte. Bedacht darauf, einen möglichst königlichen Eindruck zu hinterlassen, schreitete Robin so gut wie sie es konnte, die Treppe hinunter. Sie ließ sich hierbei enorm viel Zeit, um die Nerven des Wächters ein wenig zu provozieren.

Gemächlich gingen die beiden an das Arbeitszimmer des Königs heran. Andrew saß an seinem Schreibtisch, als ein höfliches, dezentes Klopfen an der Tür ertönte. Andrew erlaubte Robin und dem Wächter, einzutreten. Sein Blick wanderte von neutral, über überrascht zu schlussendlich genervt.

Robin wandte sich an den Wächter. "Sie können uns nun alleine lassen."
Der Wächter drehte sich um und verließ ohne ein weiteres Wort schnurgerade das dunkel eingerichtete Arbeitszimmer des Königs.

Ohne auf eine Anweisung zu warten, ging Robin an den Tisch aus dunklem Holz heran und setzte sich auf den mit rotem Samt überzogenen Stuhl.
"Ich denke, mein lieber Bruder, Ihr wisst ganz genau, warum ich hier bin." Robin fiel es unglaublich schwer, ihre spitze Zunge zu hüten und nicht zu schreien.

Der genervte Blick Robins Bruder ließ sie nicht eine Sekunde lang erschaudern. Starr blickte sie ihm in die lodernen Augen. Ihm schien diese Situation ganz eindeutig nicht zu gefallen.
"Ich denke, dass Ihr schneller wieder gegangen sein werdet, als Ihr gekommen seid, meine liebste Schwester."
Voller Abscheu sah er Robin aus grimmigen Augenhöhlen an.

Robins Blick blieb starr. Sie dachte nicht einmal in ihren fernsten Träumen daran, wieder zu gehen.
"Zuerst einmal werdet Ihr meine Hochzeit absagen."

Verachtend lachte Andrew. Dann stoppte seine Lache ruckartig. "Niemals."
Ein strafender Blick traf die Rothaarige.

Stur blickte sie ihrem Bruder entgegen.
"Ich verlange Prinz Liam zu sehen. Auf der Stelle."

Seufzend fasste Andrew sich an die Stirn. Er seufzte resigniert und gab den Befehl, Robin zu Liam zu führen, an die Wache weiter, die auf seine Aufforderung den Raum betreten hatte.
Unbemerkt hatte Robin sich ein kleines Messer genommen, welches die Wache an seinem Gurt hängen hatte. Bedacht darauf, keine Aufmerksamkeit zu erregen, hatte sie es sich schnell seitlich in den Ausschnitt gesteckt, wobei sie sich versehentlich geschnitten hatte. Allerdings nicht so sehr, dass es jemandem auffiel.

Beinahe schon zu leise schlich Robin hinter der Wache her. Sie hatte nach wie vor ein mulmiges Gefühl und die Tatsache, dass sie noch niemals erwünscht in einem Schloss gewesen war, machte es auch nicht besser.

Sie gingen die eiskalte Betontreppe, die sich an einem der hintersten Flure des Schlosses befand, hinunter. Einige Spinnen krabbelten an den Wänden und verschwanden in den kleinen Ritzen, die sich in dem Mörtel der steinernden Wände gebildet hatten.

Die kühle Luft des Kellertraktes ließ Robin einmal tief durchatmen. In sämtlichen anderen Räumlichkeiten, in denen sie in letzter Zeit gewesen war, war es durch die Hitze draußen unerträglich heiß und schwül gewesen.

Die Wache, welche noch immer nicht das verschwundene Messer bemerkt hatte, ging noch immer friedlich vor Robin durch die Gänge und bog einige Male ab. Genaustens prägte Robin sich den Weg ein, um ihn später wiederfinden zu können. Natürlich hatte sie noch immer nicht vor, einen ihr komplett Fremden zu heiraten.

Nach einigen Minuten stillen Laufens kamen sie im Zellentrakt an. Die meisten der kleinen Verließe waren leer, nur in einem befand sich ein zusammengekauerter Mann. Panisch lief Robin auf das Gitter zu, umfasste die Stäbe und sah besorgt auf Liam herab.

"Liam?"
Robins heute mehr als vorsichtige Stimme ließ den Kronprinzen aufhorchen. Sein Blick schnellte hinauf, als sein Kopf die Stimme seinem Besitzer zugeordnet hatte.

Auch wenn er es durch die Ketten, die zusätzlich an seinen Fußgelenken angebracht waren, nicht konnte, versuchte er dennoch zum Gitter seiner Zelle zu kommen.

Die RothaarigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt