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Später in der Nacht werde ich von der Stille geweckt. Vor dem Schlafen hatte ich mir meine Kopfhörer geholt und Musik gehört. Jetzt ist der Akku leer und Stille beherrscht mein Zimmer. Resigniert lehne ich mich zurück und schließe die Augen. Die Erinnerung an den Abend holt mich ein und wie automatisch fährt meine Hand zu meinem Auge. Wie erwartet finde ich eine längliche, schmerzende Wölbung unterhalb meines Auges. Zum Glück unterhalb, das lässt sich verstecken. Mein Kopf fühlt sich schwer an. Es ist, als wäre er tausendmal schwerer als sonst. Überlastet von all den Emotionen, die ich an diesem Abend gefühlt hatte. Mir ist kalt. Ich brauche jemanden, schießt es mir durch den Kopf. Wenn ich jetzt zu Dylan gehe wecke ich ihn. Das wäre egoistisch - aber ich brauche ihn jetzt. Ich stehe auf, öffne die Tür, überquere den Flur und bleibe vor Dylans Tür stehen. Schwaches Licht dringt unter der Tür durch. Er schläft nicht, klasse. ,,Tut mir leid, dass ich dich störe, aber ich...'', sage ich während ich die Tür öffne, aber ich breche ab als ich nicht nur Dylan, sondern auch Mo, den besten Freund meines Bruders finde. Beide sehen mich überrascht an, ich habe sie wohl aus einem Gespräch gerissen. ,,Oh, Hallo Mo. Sorry, ich wollte nicht stören'', murmle ich, ringe mir ein Lächeln ab und wende mich wieder zum Gehen um. ,,Nein, warte Lynn. Was ist denn los?'', höre ich Dylan fragen. Ich drehe mich wieder um und sehe ihn etwas schüchtern an. ,,Ich kann nicht schlafen, und ich... wollte kuscheln...'' Den letzten Teil murmle ich eher zu mir selbst und sehe an die Decke. Vielleicht hat er es nicht gehört, denke ich. Tja Leute, was man sich nicht alles wünscht. ,,Komm her, Kleine.'', sagt Dylan lächelnd und zieht mich an der Hand zu sich auf sein Sofa, so dass ich zwischen ihm und Mo sitze. ,,Nenn mich nicht Kleine.'', sage ich warnend und kuschle mich in seinen Arm, den er um mich gelegt hat. ,,Das gilt auch für dich Mo.'', setze Ich noch hinzu und schließe zufrieden die Augen. ,,Wow, selbst in diesem Zustand ist sie noch so. Respekt Kätzchen.'', höre ich Mo's warme Stimme. Ich spüre dass er schmunzelt. ,,Was heißt denn hier ''In diesem Zustand'', Mo? Mir geht's klasse.'', sage ich und schließe erschöpft die Augen. ,,Danach sieht es auch aus.'' Dylan's Stimme trieft nur so vor Sarkasmus. ,,Hey, willst du mich beleidigen? Man sagt seiner Schwester nicht, dass sie scheiße aussieht.'' ,, Ich finde du solltest das nicht so leicht nehmen.'', antwortet Mo an Dylans Stelle. ,,Es geht mir aber gut. Ich hab nur einen kleinen Schrammer und der erledigt sich von allein.'' Ich öffne die Augen wieder und sehe Mo an. Seine grünen Augen wirken in diesem Licht fast außerirdisch. ,,Du hast nicht nur einen Schrammer, Lynn. Hast du mal in den Spiegel gesehen?'' Er sieht mich eindringlich an. ,,Sollte ich?'', frage ich und ziehe eine Augenbraue hoch. Er steht auf, hält mir seine Hand hin und zieht mich auch hoch. Dann führt er mich in Dylans Bad, stellt mich vor den Spiegel und schaltet das Licht an. Mir entfährt ein kleiner Laut und ich springe etwas zurück. Ich drehe mich um und sehe Mo kurz an, bevor ich mich wieder dem Spiegel zu wende. Auf meiner Wange befindet sich jetzt schon ein dunkelblauer Fleck. Er sieht aus wie eine Wolke aus Tinte, direkt unter meinem Auge. Ich lege mein Gesicht in meine Hände und atme tief ein und aus. ,,Spiel es nicht runter.'' Mo hat sich etwas vorgebeugt und zieht meine Hände von meinem Gesicht weg. Ich schüttle den Kopf und drehe mich zu ihm um. ,, Ich will das nicht sehen.'', flüstere ich resigniert, verschränke die Arme und sehe an ihm vorbei. ,,Willst du jetzt immer noch mit Paul reden?'', fragt Dylan hinter Mo und sieht mich vom Sofa aus an. Ich zögere ein wenig, nicke dann aber doch. Mo legt sich beide Hände in den Nacken und senkt den Kopf. Dylan sieht auf den Boden. Durch Mo's Geste stehe ich zwischen seinen Ellenbogen. Ich lege eine Hand auf Mo's Arm und drückt sanft zu. Er sieht mich mit gesenktem Kopf an und lächelt leicht. ,,Ihr müsst das nicht verstehen, ich verstehe es ja selbst nicht. Aber er ist mein Vater und... Er muss mich doch auch irgendwie lieben, oder sonst irgendwas in der Art. Ich meine, ich bin seine Tochter. Vielleicht hat er es ja nicht so gemeint, oder...'' ,,Hörst du dir eigentlich selber zu? Das ist völliger Schwachsinn. Er hat dich geschlagen! Guck dich an! Willst du mir sagen, das erledigt sich von allein? Allein DAS er dich geschlagen hat ist schon verdammt schlimm, aber dann auch noch so. Wenn ich dürfte würde ich ihn suchen und ihn so oft schlagen, bis nichts mehr da ist. Weißt du eigentlich, wie...'' Mo verstummt, als ich mich ein wenig strecke und meine Arme um ihn lege, um ihn irgendwie zu beruhigen. Einen Moment erstarrt er, aber im Nächsten fängt er sich wieder und vergräbt sein Gesicht an meinem Hals. ,,Ihr solltet euch beide nicht so sehr aufregen. Das ist nicht nötig. Keiner wird mehr etwas tun. Alles wird wieder gut werden.'', sage ich leise, so dass meine ohnehin schon eher tiefe Stimme sehr angenehm klingt. Meine rechte Hand liegt in Mo's Nacken und fährt leicht mit den Fingerspitzen über die freiliegende Haut dort. Ich weiß aus irgendeinem Grund, dass ihn das beruhigt. Langsam entspannt Mo sich wieder und lässt zu, dass er sich etwas gegen mich lehnt. Normalerweise umarme ich ihn nicht so wie jetzt. Aber wenn sich jemand aufregt kann ich nicht anders, als ihn irgendwie zu beruhigen. Irgendwie heißt auf meine Art. ,,Wir machen uns nur Sorgen um dich.'', haucht Mo an meinem Hals. Ein Schauer läuft über meinen Rücken. ,,Ich weiß das, Mo. Ich mache mir aber auch Sorgen um euch.'', murmle ich und löse mich wieder von ihm. Ich streiche ihm noch einmal über den Kopf, dann schiebe ich mich an ihm vorbei zu Dylan. ,,Ich geh wieder in mein Zimmer.'', sage ich und winke den beiden kurz zu. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen habe, lehne ich mich einen Moment an die Wand, schließe die Augen. Eine Träne stiehlt sich aus meinem Augenwinkel und rinnt meine Wange hinab, bevor ich sie schnell weg wische.

In meinem Zimmer ist es jetzt warm. Gedankenverloren stelle ich mich vor den Spiegel und betrachte mich in ihm. Meine langen Haare fließen in sanften Locken bis knapp unter meine Brust. Sie haben mehrere Farben: Oben am Ansatz sind sie schokoladenbraun, gehen dann in ein schönes kaffeebraun über und lassen meine Spitzen schließlich in einem tief schwarzen Ton leuchten. Ich liebe meine Haarfarbe. . Wer hat schon etwas gegen ein bisschen Farbe? Mein Blick gleitet weiter zu meinen fast schwarzen Augen. Meine Augen fand ich schon immer ziemlich langweilig. Ich meine, Schwarz? Ist das euer Ernst? Wie der Rest meines Gesichtes sind auch meine Lippen eher geschwungen und von Natur aus Rot. Und nein, mein Gesicht ist nicht von Natur aus Rot, falls das jetzt jemand angenommen hat. Dylan sagt immer, ich sähe niedlich aus. Und damit spielt der kleine - oder eher große - Mistkerl von Bruder auf meine Größe an. Mal ehrlich: Was kann ich denn dafür, dass der liebe Gott mich nicht wirklich mit überragender Größe beschenkt hat? Meine genaue Größe beträgt 1,60 m, aber ich schummle immer ein wenig und sage, ich wäre 1,63 m groß. Damit ich größer wirke, versteht ihr? Nach dieser eher groben Inspition meines ichs begebe ich mich wieder in mein Bett und lösche das Licht. 

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