Kapitel 1

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Ich war wütend. Traurig. Niedergeschlagen. Es war so schnell gegangen. Auf einmal wäre mein Leben ein ganz anderes geworden. Ich wäre Mutter geworden. Doch nun war alles wieder so, wie es mal war. Nur, dass ich damit nicht mehr glücklich war.
Es war zwar nun schon einige Wochen her, dass sich die Eizelle nicht eingenistet hatte, aber es holte mich dennoch immer wieder ein. Ich fühlte mich trotz meiner Freunde, die mich sehr umsorgten, allein.
Ich zog mich zurück. Ich wollte Mikko nicht treffen, ihm nicht in die Augen sehen müssen. Es waren so viele Gefühle, die in mir hoch kamen, wenn ich ihn sah. Ich wollte ihn in den Arm nehmen, ihn küssen, aber auch wegschupsen und ihn anschreien. "Warum wir?" Warum durften wir das Glück einer kleinen gesunden Familie nicht genießen? Ich kenne die medizinischen Fakten. Ich weiß, dass es nicht selten passiert. Aber trotzdem kommt es mir so vor, als wäre es uns nicht gegönnt gewesen.
Ich stand auf. Machte mich fertig. Wischte mir die Traurigkeit und die Wut aus dem Gesicht, legte mir ein Lächeln auf und versuchte glücklich zu sein. Ich versuchte es wirklich. Ich wollte, dass es mir gut geht und dass keiner sich um mich sorgen müsste. Heute wird ein guter Tag, sagte ich mir. Die Patienten am JTK lagen mir sehr am Herzen. Ich wollte für sie dasein, ich machte keine Fehler. Deswegen musste ich all das von mir schieben. Ich wollte gute Arbeit leisten, ich wollte Menschenleben retten. Das war meine Berufung und heute würde ich wie jeden Tag helfen. Ich duschte, zog mich an und nahm mir meine Tasche, dann verließ ich das Haus. Ich hatte keinen weiten Weg zum JTK, ich konnte ihn zu Fuß laufen. Das half mir sehr oft, den Arbeitstag zu verarbeiten und in meiner Wohnung mein Leben zu leben und nicht dauernd an all meine Patienten zu denken. Auch hin zur Arbeit half es mir, mich vorzubereiten. Im Kopf durchzugehen, was ich heute zu tun hätte und mich auf neue Aufgaben einzustellen.
Ich lief über den Parkplatz an den Fahrradständern vorbei zum Hintereingang. Kurz checkte ich mein Handy, las und beantwortete schnell ein paar Nachrichten ("Hey, gut geschlafen" - "ja, danke und selbst?", "Heute Abend schon was nettes vor? Wir könnten mal wieder zusammen was trinken gehen" - "Ja, das stimmt. Aber habe heute leider Bereitschaftsdienst."). Plötzlich lief ich gegen jemanden. Ich sah nicht hoch, denn ich kannte den Geruch. Gefühle, die ich versucht hatte zur Seite zu schieben, kamen wieder hoch. Ich sah hoch. Es blieb mir kaum etwas anderes übrig.
"Vivi? Vivi!", hörte ich seine Stimme. Er lächelte mich zögerlich an. "Mikko", erwiderte ich leise. Ich schaute an ihm vorbei. Ich konnte es nicht. Ich fühlte mich bei ihm so unwohl und so geborgen wie bei niemandem zugleich. "Tut mir leid, dass ich dich angerempelt habe. Ich habe es eilig. Muss für Moreau einen Auftrag erledigen... Du weißt ja, wie er ist." Stille. "Wie geht's dir Vivi?" Ich schwieg. Es wäre unehrlich zu sagen, dass es mir gut ginge. Ich lächlte leicht und sagte: "und dir, Mikko?"
Er zuckte mit den Schultern. Wir schwiegen uns an.
Und doch merkte ich, wie gerne ich von ihm in den Arm genommen worden wäre. Das Gefühl von Geborgenheit vermisste ich. Schluss jetzt, Vivi, sagte ich mir. Jetzt ist die Arbeit dran.
"Ich muss los", sagte ich und ging an ihm vorbei durch den Eingang ins Klinikum.

Die jungen Ärzte - Mikko und ViviWo Geschichten leben. Entdecke jetzt