Kapitel 6

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Irgendwie habe ich mir die Fahrt in einen Krankenwagen als Kind immer viel spektakulärer vorgestellt. Weil ich geglaubt habe, man könne die Fahrt als unverletzter Mitfahrer sogar genießen! Wie naiv und dumm ich doch war... Auch, wenn ich mich inzwischen ein wenig beruhigt habe und auch, wenn mein Bruder mittlerweile ruhig vor sich hin döst und ich deutlich sehen kann, wie sein Brustkorb sich gleichmäßig hebt und senkt. Auch jetzt kann ich es nicht genießen. Überhaupt nicht. Noch immer halte ich die Hand meines Bruders. Für ihn? Wohl eher nicht mehr. Im Moment bin ich mir fast sicher, dass er das überhaupt nicht mitbekommt. Wahrscheinlich hauptsächlich, um mich an ihm festzuhalten. Und wahrscheinlich auch, um einfach irgendetwas zu machen. Denn viel mehr kann ich noch immer nicht. Hier sitzen und hoffen. Hoffen, dass es eine normale, kleine Kreislaufstörung aufgrund des Stresses war und nicht gefährlicheres. Aber Dr. Seifert hat mir vorhin bereits erzählt, dass die Untersuchung auf die Ursache einer solchen Störung oftmals sehr lange andauert. Dass man EKGs machen muss. Und dann hat er noch vieles weiter aufgezählt und auch noch erklärt, warum er diese Untersuchung doch jetzt gleich durchführen möchte, doch zuhören konnte ich dem Sanitäter da schon lange nicht mehr. War schon wieder mit meinen Gedanken ganz bei meinem Bruder und bei dem, was er wohl durchmachen muss. Und auch bei unserer Familie, die ich sofort anrufen möchte, wenn wir in der Klinik angekommen sind. Ja, das werde ich tun. Damit ich nicht alleine in dem Wartezimmer im Krankenhaus hocken muss. Das ist zumindest schonmal etwas, nicht wahr? Hoffentlich kann ich sie inzwischen erreichen. Gemeinsam ist immer besser als alleine, denn alleine bist du so gut wie verloren. Vor allem beim Abwarten auf die Ergebnisse solcher Untersuchungen. Vor meinem inneren Auge kann mich schon förmlich durchdrehen sehen vor Angst und Ungeduld. Aber hoffentlich sind dann schon Mama und Steffi bei mir. Zusammen schaffen wir es ja vielleicht sogar, nicht ganz durchzudrehen... Naja. Okay, ich gebe ja zu, daran glaube ich selber nicht so richtig. Doch dann können wir wenigstens alle gemeinsam durchdrehen, das ist auch schon besser als alleine. Das heftige Ruckeln des Wagens reißt mich aus meinen trüben Gedanken. Wahrscheinlich denke ich die ganze Zeit viel zu negativ! Wahrscheinlich war es wirklich nur der Stress. Aber wie soll man in einem Krankenwagen, umgeben von allerlei Geräten, Medikamenten, etc. und neben seinem auf einer Liege angeschnallten Bruder an eine solche einfache Lösung noch glauben? Das schafft doch kein normaler Mensch. "Sooo... Aussteigen, allesamt!", ruft eine junge Sanitäterin nun fröhlich und öffnet die Türen des Wagens. Wohl mit der Absicht, mich endlich mal aufzumuntern. Mache ich denn so einen am Boden zerstörten Eindruck? Wahrscheinlich schon. Momentan schaffe ich es einfach nicht, ein kleines bisschen positiv zu denken, obwohl das möglicher Weise in meiner Situation das beste wäre, doch mein Gehirn kann das ganz einfach nicht. Während wir einer nach dem anderen aus dem Einsatzwagen klettern und Andreas ebenfalls auf einer Liege in die Klinik geschoben wird, zücke ich schon mal mein Handy, um gleich meine Mutter anzurufen. Das wird kein leichtes Telefonat, das weiß ich jetzt schon. Bin ja auch Magier. Kann in die Zukunft schauen. Ich kann euch sagen, dass ich in fünf Minuten Tränen in den Augen haben werde, wenn ich ihr und den anderen von Andreas' Zusammenbruch berichten werde. Und sie werden auch alle geschockt sein. Sicher. Dafür muss man eigentlich mich nicht einmal Magier sein...

>Das glaubte ich jedenfalls. Doch das, was ich sah, nachdem Andreas in ein Behandlungszimmer verfrachtet worden war und ich ein paar Flure und Gänge entlang bis ins Wartezimmer gelaufen war, hätte wohl nicht einmal ein echter Wahrsager vorausgesehen. Ich hätte bei dem Anblick auch fast mein Smartphone auf dem Boden fallen lassen. Vor Überraschungen. Aber naja, mein Handy brauchte ich danach eh nicht mehr...<

My Trust in You- Ehrlich Brothers FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt