Kapitel 42

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Ich machte mich, kurz bevor die Sonne unter ging, langsam auf den Weg zurück. Ich wollte nach Hause. Weg von diesem Ort und am besten nie wieder zurück Blicken. Ich lief das, was von den Stufen am Rand der Klippe noch übrig geblieben war, hinauf und wollte den Rest bist nach Hause durch die Schatten reisen, als ich etwas auf dem Boden schimmern sah. Es glitzerte in der späten Abendsonne violett und erregte meine volle Aufmerksamkeit. Das... Das war doch... Ich ging zögernd darauf zu und wie erwartet, erblickte ich Lumina's Saphirkette auf dem Boden. Ich ging in die Hocke und nahm sie vorsichtig in die Hand. Sie musste Lumina im Laufe der letzten Minuten ihres Lebens runter gefallen sein. Sie hatte sich die ganze Zeit so tapfer gewehrt. Da ist die Kette bestimmt gerissen. Und tatsächlich war das dünne Lederband der Kette gerissen. Mein Herz begann zu schmerzen. Ich sollte sie ihr zurückgeben. Dachte ich und steckte die Kette in meine Jackentasche, dann suchte ich mir einen schattigen Platz und konzentrierte mich, bis ich in den Schatten verschwand und nur einen Moment später stand ich vor dem Haus meiner Eltern. Traurig senkte ich den Blick. Meine Mutter ist gestorben, weil ich sie nicht retten konnte und meinen Vater habe ich getötet. Damit habe ich mich für meine Mutter gerecht und gleichzeitig auch für Lumina. Obwohl ich meinen eigenen Vater getötet habe, der mich aufgezogen hatte, hatte ich keine Schuldgefühle. In unserem Haus brannte Licht und ich konnte durch ein Fenster Juri sehen, der die schluchzende Nana fest in den Armen hielt und versuchte sie zu trösten. Zögernd griff ich nach der Türklinke und drückte sie runter, die Tür ging auf und ich trat ein. Juri und Nana lösten sich voneinander und Juri sah mich bedrückt an.

,,Du kommst ganz schön spät. Wir dachten schon, du kommst gar nicht mehr. Was hast du denn so lange getrieben?" Fragte er, während ich mit gesenktem Blick an ihm vorbei ging.

,,Ich hab es erledigt." Meinte ich kalt und ich merkte, wie er mich verwirrt ansah.

,,Heißt das, du hast-"

,,Camille?" Ich blieb stehen und drehte mich zögernd zu der Zimmertür der Kleinen. Meine kleinen Geschwister standen mit dicken Tränen in den Augen im Türrahmen und sahen mich traurig an.

,,Stimmt es, dass Papa so böse ist? Wacht Lumina wegen ihm nicht mehr auf?" Fragte Collin schniefend, ich hockte mich vor den beiden hin und traute mich nicht ihnen in die Augen zu sehen. Sie hatten nie ein Problem mit unserem Vater und sie waren dazu noch seine leiblichen Kinder. Werden sie mich jetzt hassen?

,,Darüber reden wir, wenn ihr ein bisschen älter seit, okay?"

,,Ist Papa im Gefängnis? War er deshalb so lange nicht da?" Fragte Cindy und ich schüttelte den Kopf.

,,Er ist nicht im Gefängnis." Sanft streichelte ich Cindy über den Kopf und stand wieder auf.

,,Wo ist sie?" Fragte ich wieder an Juri gerichtet und er zeigte auf mein Zimmer.

,,Castell ist bei ihr."

,,Und Jack?"

,,Der ist nach Hause gegangen." Meinte er und ich nickte. Ich verübelte es ihm nicht. Wir waren drei Tage unterwegs und dann das. Ich wandte mich von Juri ab und ging auf mein Schlafzimmer zu. Dort drin ist sie. Es war schon einige Stunden her, dass ich sie gesehen habe und wenn ich ehrlich war, hatte ich Angst davor. Vor der Tür zögerte ich und atmete tief durch, dann öffnete ich sie und erblickte Castell, der auf einem Stuhl direkt neben meinem Bett saß und auf meinem Bett lag der leblose Körper meiner Prinzessin. Ich blieb wie erstarrt stehen. Sie war so blass. Ihre sonst so rosigen Wangen hatten eine kalte weiße Farbe angenommen und auch ihre Lippen, die immer so verlockend für mich waren, waren nun blass und leblos. Castell stand auf und sah mich an.

,,Hey..." Brachte er lediglich hervor und ich nickte ihm zu, dann ging ich rüber zu meinem Bett und setzte mich vorsichtig neben Lumina auf den Bettrand. Ich nahm sachte ihre Hand in meine und erschauderte, als ich spürte, wie kalt ihre Haut bereits war. Sie war nicht mehr warm. Sie war immer so schön warm gewesen. Mit aller Kraft versuchte ich nicht sofort in Tränen auszubrechen und griff in meine Jackentasche, wo sich noch immer Lumina's Kette befand.

,,Die hast du verloren, Prinzessin." Flüsterte ich ihr zu und machte sie ihr vorsichtig wieder um. Ich streichelte ihr über die eiskalte Wange und entdeckte, dass sie ein anderes Kleid trug.

,,Wer hat sie umgezogen?" Fragte ich und sah Castell an.

,,Ihr Bruder und das Mädchen. Sie wollten mich mehr, dass sie weiter dieses Nachthemd trug." Meinte er, ich nickte und wandte mich wieder meiner toten Prinzessin zu.

,,Hasst du mich jetzt, Camille?" Fragte Castell nach einiger Zeit. Verwirrt sah ich ihn.

,,Wieso fragst du? Ich kenn dich doch kaum."

,,Eben. Obwohl ich dafür verantwortlich war, als dein älterer Bruder, habe ich dich nicht beschützt. Ich hab es versucht, aber ich bin gescheitert."

,,Da haben wir etwas gemeinsam. Scheint, als wären wir uns ziemlich ähnlich." Castell schmunzelte.

,,Das hat sie auch immer gesagt. Ich kannte sie nicht lange, aber mir war sofort klar, was für ein tolles Mädchen sich mein Bruder ausgesucht hat." Meinte er und ich sah Lumina lächelnd an.

,,Sie war eben ein ganz besonderes Mädchen." Die ersten Tränen kullerten über meine Wangen und ich senkte den Blick.

,,Ich lass dir dann Mal einen Moment, okay." Meinte Castell, stand auf, klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und verließ dann das Zimmer. Ich hielt mich nicht mehr zurück. Ich lehnte meine Stine an ihre Schulter, kniff die Augen zu und begann bitterlich zu weinen. Es war nicht fair. Ich sollte hier liegen und nicht sie! Sie sollte leben, glücklich werden und das ohne mich und irgendwann jemanden finden, mit dem sie glücklich wird. Niemanden wie mich. Ich verdiente sie nicht. Als sie heute sterbend in meinen Armen lag, hatte ich ein Dejavou. Ich hatte das schon so oft geträumt, dass sie irgendwann blutend in meinen Armen liegen und sterben würde, doch ich habe es trotzdem nicht verhindern können.

,,Es tut mir so leid... Verzeih mir bitte..."

Camille | Liebe über die GrenzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt