Kapitel 3

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Es dauerte ganze drei Stunden bis er dann endlich auftauchte. Ich hatte mir scheiß Sorgen um ihn gemacht. Ich wollte schon die Polizei rufen. Ich hatte auch versucht ihn anzurufen aber es ging immer nur die Mailbox dran.

Und jetzt stand er da. Im Türrahmen, mitten im Matheunterricht. Er sah völlig fertig aus. Seine Haaren waren zerzaust und seine Klamotten hingen schlaff an seinen Körper. Von hier konnte ich sogar erkennen, dass er sein T-Shirt falsch herum an hat. Unter seinen Augen waren tiefe Augenringe und er hatte komische Flecken im Gesicht. Trotzdem sah er immer noch gut aus.

Mr. Jacobs sah ihn mit rotem Kopf an. Ich hatte Angst davor, was ihn und uns alle jetzt erwarten wird. Er wurde oft wütend aber so hatte ihn noch keiner erlebt. "Warren. Setzten sie sich sofort auf ihren Platz", schrie er durch die Klasse. Dereck sah ihn kurz an, zuckte mit den Achseln und setzte sich neben mich. So kannte ich ihn gar nicht. Ich konnte nicht einschätzen was in ihm vorgeht. Sein Gesichtsausdruck war völlig emotionslos.

Und dann fing das Gebrülle an. Er zwang alle die schlecht in Mathe sind, nach vorne zu kommen und eine Aufgabe zu rechnen auch Dereck, der nicht mal Anstalten machte aufzustehen. Jacobs drohte, ihn von der Schule zu verweisen aber dann stand er auf und probierte sich an der Aufgabe, schaffte es aber natürlich nicht sie zu lösen. Er wurde zurück auf seinen Platz geschickt
"Verdammt, was ist los mit dir?", flüsterte ich ihm zu, nach dem sich Jacobs jemand anderen vor nahm. Er sah mich träge an, zog seine Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf. "Nichts. Alles in Ordnung."
"Du kannst mir nicht sagen, dass nichts ist. Ich sehe doch das irgendwas nicht stimmt. Ist was passiert?"
"Nein, lass gut sein Ethan."
Das verletzte mich. Normalerweise erzählte er mir alles und so war er noch nie zu mir.
Ich sagte nichts mehr, sondern sah geradeaus und versuchte noch irgendwas vom Unterricht mit zu bekommen. Die Stunden zogen sich noch länger als sie überhaupt sind. Er sagte nichts mehr zu mir.
Ob irgendwas mit seiner Familie ist? Oder ist er aus irgendeinen Grund sauer auf mich?

In der Pause kam er jedoch mit mir in die Cafeteria. Als ich den Tisch mit seinen Mitspielern ansteuerte, zog er mich weg und zerrte mich raus. Verwundert folgte ich ihm.
Er ging mit mir aufs Spielfeld und ließ sich dann ins nasse Gras fallen. Ich sah zu ihm runter und verschränkte die Arme. "Willst du mir jetzt sagen was mit dir los ist?"
Er zuckte mit den Schultern und legte sich hin. Er verdeckte sein Gesicht mit seinen Händen. Es tat mir Leid ihn so zu sehen. Ich kannte ihn so gar nicht.
"Ich war gestern Abend bei Macy", fing er an.
Ich setzte mich neben ihn. "Was ist passiert?"
Sofort ahnte ich das Schlimmste. Sie ist doch nicht schwanger oder?
Er seufzt und nimmt die Hände vor seinem Gesicht.
"Du hattest recht. Sie hat mir gesagt, dass sie mich liebt. Sie hat sich weh getan. Sie hat gedroht sich zu töten. Ich bin die ganze Nacht bei ihr geblieben aber ich kann so was nicht. Ich empfinde ja nichts für sie und wir hatten von Anfang an ausgemacht, dass da nicht mehr ist. Ich hab keine Ahnung was ich tun soll. Ich will nicht Schuld sein."

Ich sah ihn verplüfft an. "Was?" Ich hätte Macy nie so eingeschätzt. "Was hat du dann gemacht?"
Er zuckte mit den Achseln und seufzte. "Ich bin halt nach Hause gegangen und die hat geheult. Ehrlich, ich habe keine Ahnung was ich jetzt machen soll. Ich kann sie ja nicht damit alleine lassen. Am Ende bin ich Schuld an ihrem Tod."
Es tat mir selbst weh ihn so zu sehen. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich konnte das ehrlich nicht ertragen. Vor allem weil ich ihn noch nie so erlebt hatte. Ich habe noch nie gesehen wie er geweint hat oder überhaupt mal schlechte Laune hatte.
"Du musst nochmal mit ihr reden und ihr klar machen, dass es so nicht geht. Im Grunde zwingt sie dich so bei ihr zu bleiben."
Er stand seufzend auf und strich sich das Gras von der Hose. "Wenn das nur so einfach wäre, Mann."
Ich stand auf und folgte ihm. "Lass das nicht mit dir machen. Es macht dich nur kaputt wenn du dich zu etwas zwingst."
Er schüttelte den Kopf. "Ist jetzt egal. Ich will darüber nicht mehr reden."
Damit joggte er weg und ließ mich alleine stehen. Ich wollte ihm hinter her rennen aber ich merke schon wenn ein Mensch alleine sein möchte. Ich verstehe, dass er sich Sorgen macht aber niemand sollte etwas tun, nur damit der andere das hat was er möchte.

Ich begab mich wieder nach Drinnen und steuerte das Klassenzimmer an. Mit raschen Zügen lief ich den Gang entlang. Es war manchmal echt schwer Dereck zu verstehen. Zwar kannten wir uns eine halbe Ewigkeit aber manchmal schien es so zu sein, als würden wir uns gar nicht kennen. Es machte mir auf einer merkwürdigen Weise Angst. Ich wollte das er mit mir sprach wenn etwas ist. Immerhin bin ich sein bester Kumpel.
Aber Dereck würde sich nie bei jemand anderen aus heulen. Dafür war er einfach zu stolz. Das er mir das überhaupt erzählt hat und mir seine Gefühle offenbart hat, wird wahrscheinlich nicht mehr so schnell passieren.

Ich blickte erst auf als jemand einen Spind zu knallte. Es war Macy. Sie trug ihre Cheerleader Uniform und sah wie immer aus. Sie weinte nicht und fertig schien sie auch nicht zu sein. Ich rannte auf sie zu doch zum gleichen Zeitpunkt strömten die Leute aus der Cafeteria und ließen mich nicht durch, weswegen ich sie aus dem Blickfeld verlor.
Konnte sie es so gut vergeben oder verarscht sie Dereck? Ich hatte keine Ahnung was ich davon denken sollte.

Dereck kam nicht zum Unterricht. Ich war ziemlich nervös und machte mir Sorgen um ihn. Was ist wenn er mich doch braucht? Was ist wenn er irgendwas dummes macht? Obwohl er so etwas nicht mal in Erwägung ziehen würde.

Er kam auch die restlichen Stunden nicht, was für mich alles noch viel schlimmer machte. Ich reimte mir das Schlimmste zusammen, versuchte mich dann damit zu beruhigen, dass er einfach nur alleine sein will und komme wieder zurück zu dem Schlimmen.

Dieser ganze Stress verging als ich ihm auf dem Spielfeld sah. Ich hatte mich auf die Tribüne gesetzt und das Training beobachtet. Dereck war ziemlich gut. Man kann es ihm überhaupt nicht ansehen wie es ihm geht. Er spielt mit der selben Konzentration wie immer. Das bewundere ich an ihm. Er kann einfach einen Schalter umlegen und so tun als wäre nichts. Er spielt dann nicht nur, dass es ihm gut geht, sondern ihm geht es dann wirklich gut. Ich könnte das niemals. Ich würde jede Minuten dieses Thema aufgreifen und mir richtig viele Gedanken machen, bis ich zu dem Punkt angekommen wäre, wo mir alles zu viel wird. Dereck macht sich da einfach keine Probleme.
Es beschäftigt ihn und dann ist er gleich wo anders. Ich glaube dafür braucht er sehr viel Kontrolle und Kraft das einfach abzuschalten.

Nachdem das Training vorbei war, blieb ich noch sitzen weil ich wartete bis Dereck aus der Dusche kommt. Ich hatte eigentlich erwartet, dass er heute nicht lange braucht aber zu meiner Verwunderung brauchte er noch länger als das letzte Mal. Vielleicht war einfach ohne mich gegangen?
Ich beschloss einfach zu den Duschen zu gehen und nach ihm zu sehen. Wenn er gegangen war, dann wäre ich irgendwie enttäuscht. Ich hatte so lange gewartet und er konnte mir nicht mal sagen, dass er alleine sein will.

Als ich an den Duschkabinen ankam, sah ich wie Dereck mit tropfenden Haaren und einem Handtuch um seine Hüfte auf der Bank saß und die Wand anstarrte.


A/N: Würde mich über Feedback freuen. (:


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