18 Jaro - wütend

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Den restlichen Tag versuche ich Sofia mehr Freiraum zu lassen. Naja, so viel Freiraum man jemanden eben geben kann, wenn man zusammen in einem kleinen Raum eingesperrt ist. Aber es klappt doch besser, als ich erwartet habe.
Nach der Beinahe-Ohrfeige musste selbst dem empathielosesten Stein klar sein, dass sie nicht reden wollte. Aber über was dann reden? Ihre Vergangenheit. Tabu. Meine Vergangenheit. Wie ein Messerstich in meinem Herzen. Die Zukunft. Über ihren Plan redet sie nicht. Alle anderen Aussichten sind deprimierend. Und die Gegenwart? Naja, wir sitzen mitten in der Wüste. Damit ist genug gesagt, schätze ich.
Immerhin können wir von Glück sprechen, dass wir überhaupt die Hütte gefunden haben und hier auch etwas Essen liegt. Aber ansonsten sind unsere Aussichten nicht besonders rosig. Diese seltsamen Kids könnten jeden Moment hier auftauchen. Und selbst wenn sie uns hier nicht finden, irgendwann müssen wir diese Hütte hier verlassen. Das Essen reicht nicht allzu lange. Und wenn wir kein Wasser finden, halten wir nicht sehr lange durch...
Jedes Thema, auf das ich ausweichen könnte, ist entweder schmerzlich für mich, oder sie möchte nicht darüber reden. Außerdem muss sie sich bei der Arbeit konzentrieren, um das alles nochmal so hinzubekommen, wie schon einmal. Normalerweise bin ich ja auch nicht so ungeschickt, was Werken angeht. Immerhin habe ich schon einige Zeit lang kleine Metallreste nach Hause geschmuggelt und daraus Spielzeug für Kinder hergestellt. Aber mit Elektronik kenne ich mich nicht so gut aus. Außer das Nötigste wie Licht und Herd hatten wir ja nichts.
Also bleibt mir nichts anderes übrig, als ihr über die Schulter zu schauen und ihr hin und wieder das zu reichen, wonach sie verlangt. Aber auch das mache ich anscheinend falsch. Ich merke es schon an ihrer Haltung. Wie sich ihr Rücken immer mehr versteift und sie schließlich mit der Arbeit innehält und mir sagt, dass ich ihr im Licht stehe.

Während sich Sofia also in eine Ecke verzogen hat und an ihrem Gerät bastelt, gehe ich die anderen Schränke in dem kleinen Raum durch. Viel gibt es hier ja nicht. Die eine Ecke ist schonmal Tabu, weil dort Sofia sitzt. In einer anderen steht das Bett. Es sieht sehr gemütlich aus. Zumindest, wenn man die letzten Nächte auf Steinboden verbracht hat. Nach den anstrengenden letzten Tagen wäre es schön, mich dort hinzulegen und einfach nochmal eine Runde zu schlafen. Aber das geht jetzt nicht. Ich habe noch zu tun.
Ich kann mich zusammen reißen und wende mich der Küche zu. Gestern habe ich nur flüchtig in die Schränke geschaut. Vielleicht ist ja noch was in einer Ecke versteckt.
Irgendwie fühle ich mich schuldig, als ich jetzt die Schränke durchwühle. Es sind noch einige Vorräte darin gelagert. Hauptsächlich Gläser und Konserven. Halleluja. Aber das zeigt auch, dass der Bewohner dieser Hütte anscheinend nicht vorgehabt hatte, die Hütte zu räumen. Und als ich jetzt die Dosen aus den Schränken räume, um den Inhalt zu überprüfen und durchzuzählen, frage ich mich die ganze Zeit, was wohl mit dem Bewohner passiert ist.
Dafür, dass die Hütte so unbewohnbar aussieht, ist doch noch ein großer Vorrat da. Einige Dosen mit eingemachten Tomaten, ein paar Fertiggerichte, wie etwa Ravioli und eine ganze Menge Nudeln. Was wollten die denn mit so vielen Nudeln? Aber ich darf mich schließlich nicht beklagen. Jetzt bin ich froh, dass sie die gehörtet haben.
In einem Schrank unter einem verrosteten Waschbecken stoße ich abermals auf einen wahnwitzig großen Vorrat. Dieses Mal ist es Klopapier. Mal ehrlich. Wer braucht einen ganzen Einbauschrank davon auf einmal? Als würde morgen die Welt untergehen und man will sich noch mit dem Nötigsten eindecken. Dann denke ich an die Welt außerhalb dieser Hütte. An die ausgetrocknete Landschaft und daran, dass die meisten Leute sterben, wenn sie einen Fuß vor die Tür setzen. Ja, man kann schon sagen, dass die Welt zugrunde gegangen ist. Aber warum sie sich dann ausgerechnet mit Klopapier und nicht mit Medikamenten, oder Wasser eingedeckt haben, verstehe ich nicht.

Quietschend schließe ich die Tür des Schranks wieder. Essen haben wir die nächsten Tage erst einmal genug. Wasser jedoch scheint es hier keins zu geben. Auch in den anderen Schränken nicht, die ich als nächstes durchsuche. Bei dieser Erkenntnis wird meine Kehle auf einmal trocken. Wieso nur muss ich jetzt, da ich weiß, dass wir kaum noch Wasser haben nur solchen Durst bekommen?
"Hey Sofia", sage ich vorsichtig. Am besten erst mal ausloten, wie ihre Stimmung gerade so ist. Auf noch eine Ohrfeige habe ich keine Lust.
"Hm?", antwortet sie nur, ohne sich zu mir umzudrehen. Das nehme ich mal als grünes Licht.
"Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche willst du zuerst hören?"
Jetzt legt sie doch ihre Arbeit nieder und dreht sich zu mir um. Einen Moment lang mustert sie mich. Dann sagt sie: "Zuerst die Schlechte. Dann ist es raus." Ich nicke. So halte ich es auch immer.
"Es gibt hier kein Wasser. Und unser Vorrat ist auch schon fast aufgebraucht. Wenn wir nicht verdursten wollen, sollten wir schnell was suchen gehen." Sie nickt, als hätte sie schon damit gerechnet. "Da war doch gestern dieser kleine Bach. Wenn wir den wiederfinden, können wir eine Weile damit auskommen."
"Aber ich vermute, dass diese Kids noch da draußen rumlaufen", meint sie.
"Wieder dieser glänzende Optimismus", sage ich und kann mir trotz des ernsten Themas ein Lächeln nicht verkneifen.
"Hey, ich bin nicht nur schlecht drauf. Einfach nur realistisch.", erwidert sie. Aber auch sie muss lächeln.
"Wie auch immer", sage ich, "lieber wir lassen es darauf ankommen, als hier drinnen langsam und qualvoll zu sterben."
"Na gut", sagt sie "aber erst in der Nacht. Und wir müssen gut aufpassen. Ich habe keine Lust schon zu sterben. Das würde den Zeitplan völlig durcheinander bringen."
Ist das etwa ein Witz? Aus ihrem Mund klingt es so furchtbar ernst gemeint, dass ich mir im ersten Moment nicht ganz sicher bin. Aber als ich das Funkeln in ihren Augen sehe, weiß ich es ganz bestimmt. Dann fange ich an zu lachen. Ein herzliches und ehrliches Lachen. Nicht so albern, wie das am Morgen als sie mich gepiekst hatte. Nicht so gezwungen, wie in der Wüste, als ich krampfhaft versucht habe optimistisch zu bleiben. Es tut gut mal wieder die Sorgen vergessen zu können und mal wieder zu lachen. Es fühlt sich so an, als würde mir eine Last von den Schultern genommen werden. Wenn auch nur für den Moment. Und als Sofia dann auch noch mit einstimmt ist es einfach nur schön.
Sie ist schön, wie sich die kleinen Fältchen um ihre Augen bilden und sie dadurch leuchten. Und wie die eine rote Haarsträhne nach unten fällt. Aber da ist noch etwas. An ihrem Haaransatz ist auch eine andere Strähne. Kürzer als die anderen. Sie scheint nicht so zum Rest der roten Mähne zu passen. Sie ist dunkler. Und so wie sie da absteht, sieht sie seltsam fremd aus.

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