21 Jaro - belogen

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"Sag mal, was ich mich schon Länger gefragt habe. Aus welchem Rang kommst du eigentlich?", frage ich.
"Wieso fragst du?"
"Naja, es interessiert mich eben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du das noch nicht gesagt hast."
"Habe ich auch nicht.", gibt sie zurück.
"Ach komm schon, ich dachte, wie wären mittlerweile über den Punkt drüber, an dem wir uns nicht vertrauen." Als sie nicht antwortet, füge ich noch hinzu: "Das ist auch ein bisschen ungefähr, weißt du? Du weißt so viel über mich, ich aber nicht über dich."
Es dauert ein bisschen, bis sie antwortet.
"Ich vertraue dir ja. Aber ... " Sie seufzt einmal. „Aber ich bin noch nicht bereit darüber zu reden, klar?"
"Alles klar. Wenn du so weit bist, bin ich da." Ich muss zugeben, dass es mich etwas traurig macht. Ihr mache ich keinen Vorwurf. Sie hat alles Recht dazu, sich Zeit zu lassen.
"Danke", sagt sie.
Dann ist das Gespräch beendet, als wir den Fluss erreichen und die Flaschen mit Wasser auffüllen, die Sofia mitgebracht hat. Es ist nicht das beste Wasser. Aber lieber das, als verdursten.
Mittlerweile ist es auch dunkel geworden. Die Sterne und vor allem der Mond leuchten hell genug, dass man trotzdem noch gerade soeben sehen kann, wo man hintritt.
Der Rückweg zur Hütte verläuft schweigend.
Erst als sie neben mir in dem Bett liegt, sagt sie es.
"Ich komme aus dem dritten Rang." Dann dreht sie sich um. Nur Sekunden später ist sie eingeschlafen.

Ich kann nicht schlafen. Nicht, wenn mir so viel durch den Kopf geht. Es überrascht mich, dass sie es mir doch noch gesagt hat. Die Antwort selber überrascht mich weniger. Sie sieht nicht wirklich so aus, wie jemand der in armen Verhältnissen aufgewachsen ist. Sie hat keine eingefallenen Wangen, wie jemand, der schon von klein auf zu wenig zu essen hatte. Auch ihre Hände sind zu weich. Ich schaue auf meine Hände. Sie sind schwielig und mit lauter Narben übersäht. Die Arbeit hat sie geformt. Aber ihre langen, dünnen Finger sind so weich wie die Federn in den Kissen.
Ich kann es mir nicht verkneifen, mit meinem Daumen sachte über ihren Handrücken zu streichen. Zum Glück schläft sie tief und wacht nicht auf.
Als ich mit meinem rauen Finger über ihre glatte Haut fahre, wird mir ganz warm. Dabei sieht es doch so falsch aus. Unsere Hände scheinen nicht zusammen zu passen. Warum fühlt es sich dann so gut an?
Und sie ist aus dem dritten Rang. Wir sollten uns eigentlich gar nicht kennen. Geschweige denn, dass wir befreundet sein dürften. Oder mehr.
Ich ziehe meine Hand zurück. Es ist besser, wenn nichts zwischen uns wird. Selbst wenn wir irgendwo in Frieden leben könnten, so könnte ich doch nicht für sie sorgen. Schließlich habe ich nicht einmal einen Schulabschluss.
Aber träumen erlaube ich mir. So wie immer.
Also beobachte ich sie, wie sie ins Licht der Sterne eingehüllt schläft.
Dann hole ich noch die Fotos aus meiner Tasche, die sie mir gegeben hat. Sie sind schon etwas verknickt und an den Rändern auch leicht aufgequollen. Wahrscheinlich durch das Wasser von Poseidon. Aber der mittlere Teil der Fotos ist noch relativ unversehrt.
Damit ich die Bilder besser erkenne, halte ich sie direkt ans Fenster ins Mondlicht.
Ich streiche mit der Hand über Hazels Gesicht. Immerhin habe ich noch die Bilder von ihr. Auf diesem hier lächelt sie. Nicht direkt in die Kamera. Eher etwas darüber. So als würde sie jemand anderem zulächeln.
Dann schaue ich Sofia auf dem Foto an. Auch sie lächelt. Aber es ist nicht das Lächeln, das ich so an ihr liebe. Es ist nicht ganz so verschmitzt, so als hätte sie etwas ausgefressen. Eher weich und durch und durch freundlich. Und auch sie schaut an der Kamera vorbei.
Irgendwie sieht sie anders aus auf dem Bild. Aber was es ist, kann ich nicht benennen. Ihr Gesicht wirkt fremder. Nicht so, wie das von der Sofia, die ich kennen gelernt habe.
Aber darüber kann ich gerade nicht nachdenken. Ich bin viel zu müde. Lieber beobachte ich die Sofia, die hier neben mir liegt.
Sie sieht so friedlich aus. Keine Sorgen sind in ihren Zügen zu sehen. Nur Entspannung. Ich möchte, dass dieser Moment nie vergeht. Aber irgendwann muss ich eingeschlafen sein.

In dieser Nacht habe ich einen verwirrenden Traum. Ich laufe durch die Wüste, komme aber nicht von der Stelle. Hinter mir sind die Agenten, die mich fangen wollen. Dann taucht Hazel vor mir auf. Sie liegt nicht weit von mir und ruft mich um Hilfe. Ich will zu ihr rennen. Aber je schneller ich renne, desto weiter entfernt sie sich von mir. Ihre Schreie werden immer tonloser. Wie ein leidendes Tier.
Schließlich kann ich sie doch erreichen. Aber als ich sie an der Schulter fasse, um sie zu mir umzudrehen, verwandelt sie sich. Sofia steht vor mir. Aber irgendwie ist es doch nicht Sofia. Sie sieht ihr nur auf den ersten Blick ähnlich. Die Haare sie sind irgendwie strohiger. Und das Rot wirkt viel zu knallig. Nicht mehr natürlich. Und ihr Gesicht. Es wirkt irgendwie verzerrt. Dann gehen ihre Haare in Flammen auf. Sie brennen in nur ein paar Sekunden nieder. Übrig bleibt ein kohleschwarzer Bob. Aber bei dem Feuer hat sie nicht mal geschrien. Sie steht einfach nur da und schaut mich an.
Dann höre ich Schritte. Ein Quietschen, das nicht ganz in die Szene passt. Und jemand, der mich am Handgelenk fasst.
Die Agenten. Sie haben mich.

Ruckartig wache ich auf. Sofia sitzt vor mir auf der Bettkante.
"Morgen. Na, auch mal endlich wach?" Mein Herz pocht noch immer von dem Traum. Ich schaue mich in der kleinen Hütte um. Auf den ersten Blick wirkt sie fremd. Allerdings ist sie auch leer. Niemand ist hier. Außer Sofia natürlich.
"Wie - Wie lange habe ich denn geschlafen?" Frage ich, noch immer etwas verwirrt.
"Na, lange genug. Ich hatte schon genügend Zeit die Küche zu durchsuchen und ein Frühstück zuzubereiten. Wenn du das nächste Mal was Besseres zu essen bekommen möchtest, solltest du früher aufstehen. Vielleicht schmeiß ich dich dann auch einfach aus dem Bett."
"Haha, das bekommst du doch gar nicht hin!"
"Rollen geht immer. Und zur Not setze ich meine Kräfte ein." Herausfordernd wedelt sie mit ihrer Hand vor meiner Nase.
"Na warte!" ich piekse sie in die Seite, sodass sie sich vor Lachen nur so krümmt. Bevor sie sich aber revanchieren kann, funkt mein Magen dazwischen, der so laut knurrt, wie der Motor eines alten Autos. "Oh", sage ich, was Sofia nur noch mehr zum Lachen bringt.
"Hier, iss lieber was, bevor dein Magen dich noch aufisst", sagt sie und reicht mir eine Schüssel mit Getreidebrei.
"Danke", sage ich und wende mich dem Essen zu.
Sie setzt sich neben mich und schraubt etwas an ihrem kleinen Apparat herum. Ich beobachte sie dabei.
Eine kleine Strähne fällt ihr auf die Stirn. Und dieses Mal bilde ich sie mir nicht ein. Und da fallen mir meine Beobachtungen aus der Nacht auf.
Auf einmal schmeckt der Brei nach nichts mehr. Mühsam schlucke ich ihn hinunter. Der Appetit ist mir vergangen. Mir ist auch etwas schlecht. Die Übelkeit schlucke ich aber hinunter, als ich die Schüssel neben mich stelle. Dann hole ich das Bild von letzter Nacht heraus und betrachte es.
Sofia muss bemerkt haben, dass ich nicht mehr esse, denn sie schaut von ihrer Arbeit auf.
"So schlimm war es jetzt aber auch nicht."
Ich antworte nicht.
"Jaro? Was ist los?"
"Das bist nicht du." Es ist keine Frage. Sie schaut mich verwirrt an.
"Was meinst du?"
"Das hier auf dem Foto. Das bist nicht du." Jetzt scheint sie zu verstehen.
"Was? Nein. Das bin ich. Wer sollte es sonst sein?" Aber ein leichter Zweifel liegt in ihrer Stimme. Dadurch bin ich mir jetzt absolut sicher. Jetzt schaue ich ihr in die Augen, als ich spreche. Ich will sehen, dass sie mich nicht mehr anlügt.
"Das auf dem Foto ist eine andere Person."
"Nein, das auf dem Foto ist Sofia. Ich. Das schöre ich!" Sie wird lauter und hält schützend ihre Hände hoch. Geht in Verteidigungshaltung.
"Die Mädchen schauen an der Kamera vorbei. Du standest dahinter, nicht wahr?" Jetzt werde auch ich lauter. Sie antwortet nicht.
"Deine Haare kommen zum Vorschein. Deine richtigen Haare."
"Ich - Ich kann das erklären!"
"Ach ja? Du hast mich schon mal belogen. Damals als du vorgabst, Hazel zu sein. Wieso war ich nur so blöd zu glauben, dass du jetzt die Wahrheit sagst!"
"Jaro, bitte..."
"Nein, ich will die Wahrheit wissen. Nur die Wahrheit, keine Lügen. Ansonsten bin ich weg!"
Stille.
Sie schaut zu Boden und antwortet nicht.
"Schön!", sage ich und stehe auf
"Jaro, nein, bitte nicht!" sagt sie und schaut mich aus traurigen Augen an. "Ich kann es dir nicht sagen"
"Und ich kann nicht länger mit dir hier irgendwelchen größenwahnsinnigen Plänen nachgehen, wenn du mich nach Strich und Faden belügst."
"Aber-"
"Kein Aber. Sag mir die Wahrheit, oder ich bin weg. ich meine es ernst."
Sie kämpft mit sich. Ich merke es. Und es tut mir weh. Aber es geht nicht. Ich kann nicht bei ihr sein, wenn alles nur eine Lüge ist.
Noch hat sie nichts gesagt. Und ich sehe ihr an, dass es ihr schwer fällt.
Sie wird es mir nicht sagen.
"Schade, dass du mir so wenig vertraust." sage ich noch, dann gehe ich zur Tür.

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