2. Kurs

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" Prinz Yongguk hat mir gestern einen Brief geschickt, wollte ich nur mal so erwähnt haben."

Verwundert sah ich auf, von wo ich mich soeben orientierungslos und mit wildem Haar auf Hongjoongs Bett aufgesetzt hatte. Der Mann war am Vorabend noch gütig genug gewesen mich aus meinem selbstgemachten Büstenhalter zu holen, damit ich angenehmer schlafen konnte, aber abgesehen davon hatten meine verschwitzten Klamotten meine Haut nicht verlassen. Es wurde eindeutig mal wieder Zeit für ein ausgiebiges Bad.

"Dir? Meinst du nicht mir?", fand ich allerdings schnell entrüstet zur Realität zurück und leerte das Glas Wasser an meiner Seite, bevor ich barfuß zum Schreibtisch tapste, um mich neben Hongjoong über die Schüssel dort zu beugen, notdürftig mein Gesicht zu waschen. Er war gerade mit seinen Piercings beschäftigt und hatte beide Hände an seinem linken Ohr, in einer konzentrierten Pose den Kopf schräg gelegt.

"Nope. Mir." Er nickte beiläufig zu dem Papier an meiner Seite hin, ordentliches Pergament mit einem königlichen Siegel, das ich vage wiedererkannte und neugierig trocknete ich mein Gesicht und die Hände ab, bevor ich danach griff.

"Er schreibt buchstäblich nur, wie lächerlich er es findet, dass er uns gerade freies Geleit in den englischen Gewässern verschafft hat und schon legen wir uns mit Italien an." Ich lachte auf. "Oh, und hier impliziert er, dass du mich von Gefahren fern halten sollst!"

"Wenn ihm das so wichtig wäre, hätte er dich nie herkommen lassen dürfen.", murmelte der Mann an meiner Seite ominös, beugte sich etwas über meine Schulter, um flüchtig mitzulesen.

"Der Teil mit den Patrouillen ist interessant. Sollten wir später an Seonghwa weitergeben.", murmelte ich schon wieder beinahe zu abgelenkt von seiner Nähe, um meine Konzentration zu wahren und er brummte nur unbestimmt.

Ich überflog flüchtig auch den Rest des Briefes, legte ihn dann wieder weg, um neugierig einen Blick auf was auch immer zu werfen, das Hongjoong gerade so konzentriert versuchte in sein Ohr zu bekommen.

"Neuer Ohrring, huh?" Ich griff vorsichtig nach ihm, nahm ihm den silbernen Anhänger aus den Fingern. Es war die filigrane Form eines Drachens, mit grünen Jadeaugen und einer ebenso grünen Kugel in seinen Klauen. Es passte ziemlich gut zu unserem residenten Echsenkönig.

Hongjoongs verharrte zutraulich, ließ seine Hände ruhig an meine Hüfte sinken, während ich arbeitete, konzentriert den Anhänger durch den Ring in seinem Ohrläppchen fädelte.

"Lag zwischen seinen Schätzen. Yeosang hat ihn mir mitgebracht."

Lächelnd beendete ich meine Mission und presste noch einen vorsichtigen Kuss auf sein Ohr, entschuldigte mich für allen Schmerz, den ich ihm womöglich zugefügt hatte. Hongjoong kicherte bloß affektiert und griff dann um mich herum zu seiner schwarzen Jacke, streifte diese über. Ich fand auch seinen Hut, an dem inzwischen eine feurig orangen-rote Phönixfeder hing, das Andenken an einen vergangenen Kampf. Während Hongjoong sich noch fertig anzog, wanderte ich wieder tiefer in den Raum hinein, um meine eigenen Klamotten und am besten auch eine Haarbürste zu finden.

"Bis gleich." Hongjoong zog mit einem leisen Klicken die Tür hinter sich zu, grüßte draußen konträr dazu lautstark Mingi.

Ich machte mich ebenfalls schnell fertig, um mich dann zu dem Rest an Deck zu gesellen, mühelos meinen Platz zwischen den anderen sieben uniformierten Gestalten zu finden. Hongjoong hatte Seonghwa zu sich und Mingi nach oben gerufen, stand nun konzentriert über die Karte vom Vortag gebeugt. Ich schlich mich an und lehnte mich vertraut an Seonghwas Schulter, warf ebenfalls zum ersten Mal neugierig einen Blick darauf.

Die Route war relativ einfach. Die benannten Inseln führten uns weiter in den Norden hinauf, der erste markierte Punkt war Island.

"Jede der Inseln ist angekreuzt, aber die Linie führt zu einem Punkt im Meer.", beobachtete Seonghwa konfus, zog eine andere Karte hervor, um zu vergleichen. Wie die meisten Karten hatte auch diese einfach ein großes X dort, wo der Schatz liegen sollte, meistens auf einer Insel, ab und zu waren es auch nur Inselkarten und das X zeigte den Ort zum Suchen an. Wozu all diese X auf unterschiedlichen Inseln?

"Ist der Schatz vielleicht verteilt?", sinnierte ich ratlos, strich abwesend eine gewellte Ecke des Pergaments etwas glatt.

"Oder man braucht etwas von diesen Inseln, um an ihn zu gelangen."

"Vielleicht liegt er auch in einer Höhle und man kann den Eingang von irgendwo aus finden."

"Generell: wie sollen wir an einen Schatz im Wasser kommen? Also so allgemein, die Menschheit. Deine Mutter wusste sicherlich nicht von deinem Erbe und sie musste ihn ja irgendwie dorthin bringen.", unterbrach Mingi unsere Ideensammlung und Hongjoong nickte ihm nachdenklich zu.

"Dann gibt es auch einen Eingang, ja. Gut, wir nehmen Kurs auf die erste Insel. Island. Dort werden wir hoffentlich mehr wissen." Damit rollte er die Karte wieder zusammen und presste sie Seonghwa an die Brust, der bloß ernst nickte, bevor er damit in der Kajüte verschwand, um die Route zu planen.

"Wir stocken in Portugal auf, ich glaube die spanische Marine hat gerade wenig Lust auf uns.", informierte Hongjoong beschäftigt Mingi und der nickte scharf, während ich mich schon umwandte die Information an Yunho weiterzugeben.

"Oh, und wenn wir ohnehin in den Norden müssen, könnten wir davor auch ein paar alten Freunden einen Besuch abstatten."

Überrascht fuhr ich wieder zu Hongjoong herum und dessen Augen lachten mir über seiner Maske freudig zu, bestätigten meine Gedanken.

Es war sicherlich schon wieder fast ein Jahr her, dass ich Yongguk und die anderen das letzte Mal gesehen hatte. In der Zeit hatte Natasha den Thron bestiegen und Yongnam geheiratet, wer wusste schon, was der ADGF so trieb.

Sie wiederzusehen entfachte ein Feuer der kindlichen Vorfreude in mir und gerne würde ich mal wieder auf einen Ball gehen, Seonghwa ganz herausgeputzt und edel sehen. Ich vermisste auch meine Familie, Emily und Tristan und mein altes Zuhause, das inzwischen einsam und verlassen war.

Ich erwiderte Hongjoongs Lächeln strahlend und begab mich dann mit etwas mehr Energie im Schritt als sonst zur Kombüse.

Yunho saß gegenüber von Wooyoung an einem der Tische und unterhielt sich leise und angestrengt mit dem in sich zusammengesunkenen Mann. Ihr Gespräch sah ernst aus, weswegen ich direkt auf der Ferse kehrt machte und wieder nach draußen ging. Lieber jetzt nicht stören.

Wooyoung hatte es schwer. Jetzt noch ebenso wie damals, als alle Wunden noch frisch und der Schmerz erstickend war.

San hatte eine bleibende Lücke hinterlassen. Ein klaffendes Loch nicht nur in der Crew, sondern auch in Wooyoungs Herzen. So sehr ich Loki in ihm anfangs gefürchtet hatte, so sehr war San immer absolut loyal und liebevoll gewesen, hatte trotz seiner Unsicherheit alles gegeben.

Ich hatte es anfangs alles gar nicht so recht mitbekommen, die Geschehnisse nach Ragnarök waren in meiner Erinnerung verschwommen. Ich wusste noch von Trauer, stundenlangem Schutzsuchen bei anderen. Einen zitternden Hongjoong in meinen Armen zu halten und am gleichen Abend noch Unterschlupf bei Yeosang zu erbitten, weil ich selbst unter der Last zerbrach.

Rückblickend bereute ich es nicht viel für Wooyoung da gewesen zu sein. Yeosang hatte den Mann irgendwie weiterhin lange genug durch's Leben geschleift, bis er wieder auf die Beine kam und inzwischen ging es ihm auch wieder gut, aber die Wunden blieben.

Ab und zu träumte er noch von San, wachte nachts schreiend und weinend auf, forderte ihn zurück und wir konnten ihn nur halten, leere Worte überbringen. Es zerriss uns ebenso wie ihn.

Wann auch immer Wooyoung begann ihn zu vermissen, zog er sich zurück, versuchte uns nicht zu belästigen und lag dann tagelang reglos in seinem Bett, sprach nicht, aß nicht. Er brauchte die Crew und nur sie wussten ihn zu konsolieren. So sehr ich Wooyoung auch schützen und helfen wollte, so wusste ich dennoch, dass nichts und niemand San in seinem Leben ersetzen konnte und dieses Wissen nahm mir regelmäßig selbst allen Atem.

Denn er war nicht der einzige. So viele andere hatten ihre Geliebten zurückgelassen. Ich verabscheute dieses Schicksal bis heute.

Mit leisen Schritten ging ich zur Reling und lehnte mich dagegen, beschloss zu warten, bis sich einer von den beiden Piraten wieder zeigen würde.

Wooyoung ging vor.

KaizokuouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt