Kapitel 1 - Der Tanz der weißen Raben in den schwarzen Schnee

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Kapitel I

Der Tanz der weißen Raben in den schwarzen Schnee

„...und so singten, springten und tantzten sie. Denn sie waren weiß wie Möven und niemand erkannte sie. Es regnete Asche und sie liebten es so sehr, dass sie anfingen sich gegenseitig zu liebkosen und zu besteigen. Die Asche jedoch war Schnee und so entblößten sich die Federn in ihrer wahren Farbe. Jeder sah, was sie wirklich waren..."

Aus dem Märchen „Die hinterlistigen Raben"

Autor: Liorel, Stadtzauberer in Thonn, Tichendril

Der Schein des Mondes ließ sich nieder auf die Straßen und Hauswände der Stadt Erel. Die große goldene Uhr am Turm des Halbblutes, die viele Bewohner der Stadt nicht zu lesen wussten, schien, reflektiert vom Mondlicht, wie eine kleine Sonne auf den Marktplatz und belichtete den Brunnen in der Mitte dessen. Ein Fischerweib aus grauem Stein, gefärbt in der Schwärze der Dunkelheit, dessen Beine sich elegant mit dem gehauenen Wasser unter ihr vereinten, kippte in mitten des Brunnens einen Krug aus. Aus diesem lief Tags über Wasser. Nachts, so wie es der Stadthalter Aldrin entschied, wurde der Brunnen mit Korken gestopft. Die Frau aus Stein, nackt und elegant, mit Brüsten nicht größer als eine Hand voll, reckte sich mit dem Körper nach hinten gewendet zur großen Uhr, und warf ihren Schatten auf etwas, das sich den Brunnen näherte.

Vor dem Brunnen endeten die Schritte einer Gestalt, die bis kurz vorher noch leise die Ruhe der Nacht durchschallten. Die dunkel umhüllte Person trug einen langen Mantel, der in der Dunkelheit etwas purpurn wirkte. Die Mondstrahlen, die ihn teilweise trafen, enthüllten, dass der Mantel tatsächlich dunkelrot war. Die Kapuze, die nach vorn hin außergewöhnlich spitz zu lief, lag locker auf über den Kopf der fremden Person und verdeckte das Gesicht in purer Finsternis.

Sie betrachtete die künstlerische Hauerei für eine Weile, stand reglos da. Wahrscheinlich etwas länger als es sonst ein Mensch tun würde, besonders nachts nicht. Der Blick wanderte von den Schulterlangen Haaren, in der eine kleine Spange zu sehen war, verziert mit dem städtischen Schwertwappen, weiter auf ihr Gesicht, über ihre Augen, auf die kleine Nase und ihren Mund, mit Lippen so schmal, dass wenn man darauf achtete, diese sie schon fast etwas hässlich machten. Ein dünner Ring am Finger ohne Edelstein, ein Reif am Handgelenk, genauso spärlich verziert. Der Blick der fremden Person wanderte tiefer zur Venus, die vom spritzenden Wasser aus Stein bedeckt war.

Erneut fingen die geschmeidigen, doch trotz allem hörbaren Schritte an, die Hauswände entlang zu schallen. Die Gestalt ging vorbei an einem Gebäude, das eine Schenke zu sein schien mit dem Namen „Die Müde Glocke". Die Schenke war dunkel und sie sah so aus, als wäre dort schon seit Ewigkeiten niemand mehr bedient worden. „Diese wohl nicht" flüsterte langsam eine kratzige Stimme unter der Kapuze durch. Die breite Straße auf der anderen Seite des Brunnens schien auf den ersten Blick leer zu sein. Es dauerte nicht lange bis die unbekannte Person erkannte, dass sich zwei weitere Gestalten, wohl Männer, langsam vom anderen Ende der breiten Straße auf sie zubewegten.

Die fremde Person selbst entschied sich den Männern entgegenzugehen. Sie sahen aus als würden sie taumeln. Einer von ihnen war groß und stützte den kleineren Mann, der betrunken war, alleine aus seiner Bewegung heraus zu erkennen. Der Große hatte kurze dunkle Haare, kaum zu erkennen in dem schwachen Licht, doch sie könnten rot gewesen sein. Der Kleine hingegen hatte langes helles Haar, blond wie sich herausstellte, dass fein und gerade auf Schulterhöhe geschnitten war. Beide trugen eine platternde Rüstung, doch der fremden Person war dieser Ort nicht bekannt und so konnte sie nicht auf einem Blick beurteilen, welchem Zweck diese Rüstung diente.

Die Gestalt bewegte sich weiter auf die beiden zu. Die Blicke der Beiden wurden schärfer, fokussierten die fremde Person. Sie sahen skeptisch aus, ihre Schritte wurden langsamer. Fast gingen beide Parteien aneinander vorbei... „Grüße" Die letzten Schritte der Wachen machten ein plätscherndes Geräusch bevor eine kurze Ruhe der Unsicherheit einkehrte. „ich bin von weit hergereist und möchte die Nachtruhe genießen. Ihr wüsstet nicht zufälligerweise wo man zu dieser Uhrzeit etwas Bier und einen Platz zum Schlafen bekommt?" Die Stimme des Mantelträgers war mit einer Tiefe betonnt, die direkt aus einem Bass stammen könnte. Ein kleines ironisches, doch sympathisches Lächeln machte sich durch die Schatten der Kapuze bemerkbar. Wohl auf Grund des „zufälligerweise", dessen Unnütze klar herauszuhören war.

Das Zebrechen des Gefüges - Leseprobe - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt