Kapitel 3

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In der Cafeteria schaute ich mich nach Ann um. Oft saß ich bei Sam und seinen Fußball- und Cheerleaderfreunden, aber für heute hatte ich genug von Jessica gehabt.

Ich entdeckte Ann und stürzte geradewegs auf sie zu. Sie redete konzentriert auf Mary ein, die ihre Hand vor dem Mund legte und kicherte.

Und dann stolperte ich.

In meinem Kopf lag ich schon am Boden, ich hörte sogar wie sich alle lachend über mich lustig machten während sie auf mein suppennasses Gewand zeigten.

Aber bevor ich gegen den Beton prallte, fing mich wer auf. Nur mein Tablett fiel so laut zu Boden, dass es plötzlich ganz still wurde. Ich rappelte mich auf und sah mich nach meinem Retter um.

Zwei goldbraune Augen musterten mich neugierig. Der Mund war zu einem belustigten Lächeln verzogen. Ich kannte diesen Jungen nicht, aber sogar ein Blinder hätte erkannt, dass es sich um Nates Bruder handelte. Konnte ich an diesem ersten Schultag mehr Pech haben?

»Das kannst du mir später verdanken«, flüsterte er mir frech ins Ohr und ging zu einen der Tische bevor ich etwas erwidern konnte.

Zu perplex um mich zu bewegen, stand ich mit offenem Mund da, mitten in der Cafeteria. Ich konnte nicht glauben, dass das wirklich passiert war. 

Plötzlich war Ann an meiner Seite und zog mich zu ihrem Tisch, wo Mary und Sylvia auf uns warteten. Inzwischen waren die anderen Schüler wieder mit dem Essen beschäftigt, es waren nicht mehr alle Augen auf mich gerichtet.

Sylvia war die Erste, die was sagte. »Was. War. Das.«, sie zeigte mit der Gabel auf mich. »Hat dich gerade Jasper aka Griechischer Gott vor einem Sturz bewahrt?«

»Griechischer Gott?«, fragte ich.

»Sag nicht, dass du seine muskulösen Arme nicht gespürt hast, als er dich aufgefangen hat«, entgegnete Mary verträumt.

»Was hat er dir überhaupt zugeflüstert?«, wollte Ann wissen.

Das wurde mir langsam zu viel. Sie vibrierten vor Energie und würden nicht lockerlassen, bis ich ihnen alles bis aufs kleinste Detail erzählt hätte. Darauf hatte ich überhaupt keine Lust.

»Ich muss dringend aufs Klo«, das war das einzige was mir einfiel.

Bevor sie protestieren konnten, flüchtete ich aus der Cafeteria.

***

Ich betrachtete mein Abbild am Spiegel der Mädchentoilette. Mein Gesicht bestand aus großen, grünen Augen, einer kleinen Stupsnase und vollen Lippen. Es war nicht schwer, die Konturen meiner Wangenknochen zu erkennen.

Was mir schwer fiel, war meine Gefühle zu deuten. Nate ging mir nicht aus dem Kopf. Ich wollte mit ihm reden, ihm erklären, dass ich kein Stalker war.

Aber vielleicht war das besser, als die Wahrheit. Und zwar, dass ich seit Wochen von ihm träumte. Ich dachte an den Narben an seinem Oberkörper und fragte mich, ob er sie wirklich hatte. Wer ihm das wohl angetan hatte?

Ich hörte ein Klopfen an der Tür. Sie ging auf und Sam kam hinein, er hielt sich eine Hand vor den Augen.

»Thea? Bist du nackt?«

»Warum sollte ich nackt sein?«, fragte ich empört und boxte ihm auf die Schulter.

Er ließ lachend die Hand fallen. »Wie soll ich wissen, was Mädchen hier so treiben?«

Kurz schwiegen wir beide. Dann bemerkte er, den Fleck auf meinem Pullover »Der ist ja ganz nass geworden. Lass mich mal... Was ist das?«

Verwundert blickte ich auf meinem Pullover hinab, als er schon seine Hand ausstreckte und in meine Tasche griff. Die Zeichnung!

Ich versuchte sie ihm aus der Hand zu reißen. »Lass das, Sam!«

»Beste Freunde haben keine Geheimnisse«, neckte er und faltete den Zettel auf. Er erstarrte.

Verwunderung, dann Erkenntnis. Abwechselnd schaute er zur Zeichnung und dann zu mir.

»Warum...«, fing er an »Ist das nicht der Neue?«

»Ach, Quatsch«, ich versuchte nicht loszuheulen. Es war schlimm genug, dass Nate die Zeichnung zu Gesicht bekommen hatte. »Soweit ich weiß, hat Nate keine Flügel.«

»Nate...«, in Sam begann Zorn aufzuflackern. Ich war das nicht gewohnt, Sam wurde nie sauer.

Ich wollte ihn beruhigen. »Sam, das ist nur eine Zeichnung, gib sie mir wieder.«

»Natürlich.« Seine schokobraunen Augen waren ausdruckslos, doch ich wusste, dass ich ihn verletzt hatte. Er kannte das Fehlen meines Interesses für andere Jungen, deswegen wusste er, dass das nicht nur eine Zeichnung war.

»Sam...«

»Ich muss gehen«, schnitt er mir das Wort ab. »Jessica fragt sich bestimmt schon wo ich steckte.«

Er drehte sich um und ließ mich alleine mit der Zeichnung zurück.

Im Abbild deines BlickesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt