3. Kapitel - Louis' POV

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Ehe ich mich versah, war das Flugzeug in Orlando gelandet und wir standen vor der Gepäckausgabe, wo meine Mutter schon meinen Rollstuhl neben mich gestellt hatte. „Nun setz dich schon, Lou. Ich will so schnell wie möglich in unser neues Zuhause.“, drängelte sie und hielt erwartungsvoll die Hände auf, dass ich ihr die Krücken gab.
Langsam klangen die Restgedanken von der wunderschönen Aussicht aus dem Flugzeugfenster ab und ich schaute realisierend in die ungeduldigen Augen von Mum. „Tut mir Leid. Bitte sei nicht sauer. Das alles geht so schnell; vielleicht etwas zu schnell für mich und ich brauche etwas Zeit zum Verdauen. Aber, dass du sauer auf mich bist, will ich wirklich nicht, gerade weil du so viel für mich auf dich nimmst.“, sagte ich besänftigend und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
Sofort wurden die Gesichtszüge meiner Mutter weicher und sie sah mich liebevoll an. "Es ist alles gut. Ich bin nicht sauer und du hast gar keinen Grund dich für irgendetwas schuldig zu fühlen, ja?" Ich nickte leicht, ließ mich seufzend in den Rollstuhl fallen und gab meiner Mutter die Krücken, die sie umständlich an den Koffern befestigte.
Der restliche Ablauf am Flughafen inklusive den Kontrollen lief problemlos ab und schon bald traten wir durch die großen Glastüren des Flughafens auf den Parkplatz raus. Erst jetzt bemerkte ich, wie warm es hier war, denn die Hallen des Flughafens waren klimatisiert. Eine regelrechte Hitzewelle kam uns entgegen geschlagen wie eine Mauer, gegen die wir liefen. Das regnerische kühle Herbstwetter in London war nichts gegen die pralle Sonne hier in Orlando.
Mum winkte einem Taxifahrer zu, der prompt vorgefahren kam und direkt vor uns zum Stehen kam. Er begann direkt unsere Koffer in den Kofferraum zu laden, während Mum mir half auf dem Rücksitz Platz zu nehmen. Den Rollstuhl stellte sie zusammengeklappt vor meine Beine in den Fußraum, bevor sie selbst sich auf den Beifahrer setzte.
"Einmal nach Solays Beach, bitte.", sagte Mum, nachdem sich der Taxifahrer auf den Fahrersitz gesetzt und den Motor angelassen hatte. Dieser nickte nur und lachte auf, als meine Mutter begann sich mit der Hand Luft zuzufecheln. "Zum ersten Mal in Florida, he? An das Wetter gewöhnt man sich schnell.", sagte er zwinkernd und fuhr los.
Wie schon im Flugzeug, kamte ich meine Kopfhörer und mein Handy aus meiner Hosentasche und machte mir Musik an. Mit einem letzten Blick auf die Uhrzeit, die mir verriet, dass es vier Uhr Nachmittags war, schloss ich meine Augen und schlief langsam mit ruhiger Musik im Ohr ein.
Als ich das nächste Mal meine Augen öffnete, setzte schon eine leichte Dämmerung ein und wir fuhren gerade in einen kleinen Ort, dessen Ortsschild uns mit den Worten Welcome to Solays Beach begrüßte.
Von der Straße auf der wir fuhren, konnte man über die Dächer der kleinen Häuser hinweg das Meer sehen, denn der Ort erstreckte sich über einen steilen Hang direkt am Meer. Die Hauptstraße schlängelte sich Ebene für Ebene den Abhang hinunter und recht und links davon waren kleine Bungalows, zwischen denen enge versteckte und ziemlich steile Wege die Ebenen des schlangenförmigen Straßenverlaufs miteinander verbanden.
Das Taxi bahnte sich seinen Weg die Hauptstraße hinunter, bis wir nach ein paar Ebenen zum Stillstand kamen. "Louis?" Mum drehte sich zu mir um, um zu sehen ob ich noch schlief. Ich nahm meine Kopfhörer von den Ohren und schaute sie an. "Schau. Das ist unser neues Zuhause.", sagte sie strahlend und deutete aus dem Fenster auf eines der kleinen Bungalows, von denen wir gehalten hatten. Hausnummer 69. Na da würde ich mir noch einige Witze von Harry und Niall anhören müssen, wenn sie das mitbekamen.
Es war eine kleine, mit Spinnenweben überzogene, Hütte mit einem verwaisten Vorgarten, in dem das Unkraut nur so wucherte. Ein kleiner Kiesweg führte von der Straße zur Haustür, die ebenerdig lag.
Ich wusste, dass Mum sich viel Mühe gegeben hatte ein Haus zu finden, in dem ein Rollstuhl keine Schwierigkeiten machte und dass das Haus deswegen und wegen der kurzen Zeit und dem geringen Budget nicht sehr modern ausfallen würde, aber, dass es so schäbig sein würde, hätte ich niemals vermutet.
Mum stieg aus, zog den Rollstuhl auseinander bis er einrastete und half mir dann mich hinein zu setzen. Sie schob mich ein paar Schritte vor, stellte sich hinter mich und rieb mir hibbelig über die Schultern. "Wie findest du es Schatz?", fragte sie aufgeregt. Ich verkniff mir alle Adjektive, die mir in den Sinn kamen und entschied mich für das, was am wenigsten kränkend für meine Mutter war. "Krass!"
Sie kicherte erfreut auf und schien anzunehmen, es gefiele mir wirklich. "Natürlich, muss ich noch einiges tun um es wieder auf Vordermann zu bringen, aber es hat Charme und ich bin mir sicher, wir werden uns schnell wie Zuhause fühlen."
"Hmmhmm.", stimmte ich ihr geistesabwesend zu. "Ganz sicher, Mum." - "Na, dann komm. Lass uns reingehen." Sie schob meinen Rollstuhl den Kiesweg entlang auf die große Holzhaustür zu und kramte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel, der vor ein paar Tagen mit der Post ankam.
"Stellen sie die Koffer einfach in den Flur hier. Danke schön.", wies meine Mutter den Taxifahrer an und drückte ihm das Geld in die Hand. Dieser bedanke sich, wünschte uns viel Glück mit dem neuen Haus und düste in seinem Taxi davon.
Mum schmiss die Haustür zu und verschwand an mir vorbei in der nächst offenen Tür. Ich sah mich in dem engen Flur um und konnte nur sagen, dass es hier ähnlich aussah wie draußen. Die Tapeten schienen sich zu lösen, auf dem Schuhschrank und der Gaderobe lag zentimeterdick Staub und in jeder Ecke hingen tausende Spinnenweben.
Schnell rollte ich Mum hinterher und fand mich in einer Küche wieder, in der die gleichen Zustände herrschten wie im Flur. Auch die anderen Räume, das heißt die zwei Schlafzimmer, das Wohnzimmer und das Bad, die ich nach und nach betrat, waren nicht viel besser. Insgesamt sah das Haus verwahrlost aus und wirkte, als hätte es seit Jahren keiner mehr betreten.
"Wie wäre es? Wir bestellen uns jetzt Pizza und machen uns einen schönen Abend. Nachher bezieh' ich die Betten und nach deiner ersten Therapiestunde morgen, mach ich den Rest des Hauses bewohnbar.", schlug meine Mutter vor, als wir beide das komplette Haus einmal gesehen hatten und nun beide im Wohnzimmer auf einer schmierigen alten Ledercouch saßen.
"Warte mal, was?! Morgen ist schon die erste Therapiestunde?", fragte ich geschockt. "Davon war nie die Rede, Mum!" Sie lachte auf. "Aber du wirst doch dabei bleiben, nicht wahr?", fügte ich hinzu und sah sie mit großen Augen an.
"Führ dich nicht auf wie ein kleiner Junge, Lou. du bist zweiundzwanzig Jahre alt. Selbst wenn ich nicht dabei wäre, wäre das nicht der Weltuntergang." Diese Antwort beruhigte mich ganz und gar nicht. Ein klares 'Ja, ich bleibe da' wäre mir tausendmal lieber als diese Aussage gewesen.
"Mum, du weißt ganz genau, dass ich Panik bekomme im Wasser! Wenn dann nicht einmal irgendjemand da ist, dem ich vertrauen kann, werde ich garantiert keinen Fuß auch nur in das grausame Nass halten!", fauchte ich meine Mutter bockig an und verschränkte die Arme.
"Um dich zu beruhigen: Ja, ich bleibe dabei. Zumindest dieses Mal. Ich weiß noch nicht genau, wie meine Arbeitszeiten liegen.", sagte sie nun doch zu meiner Zufriedenheit und strich über meinen Arm. "Ich weiß, dass du Angst hast, aber das brauchst du nicht. Morgen wirst du sehen, dass das alles gar nicht schlimm ist und dass es dir helfen wird."
Ich lächelte ihr dankbar für diese Worte zu und lehnte mich zu ihr rüber, wo ich meinen Kopf auf ihrer Schulter platzierte. Wie früher, als ich noch jünger war, strich sie durch meine Haare und summte irgendein Lied vor sich hin.
Nachdem Pizza bestellt, geliefert und verputzt war, schlich sich langsam die Müdigkeit über uns beide und ein Gähnen meinerseit, gab uns den Impuls endlich kleinbei zu geben und den Weg Richtung Schlafzimmer anzutreten.
Während ich Zähne putzte, war meine Mutter in mein Zimmer gehuscht und hatte das Bett fertig gemacht. "Okay, Lou. Dein Bett ist jetzt fertig. Ich gehe dann auch ins Bett, falls was sein sollte, weißt du ja wo du mich findest. Gute Nacht, Schatz.", sagte sie und gab mir einen Kuss auf die Wange. "Nacht, Mum."
Ich rollte in mein Zimmer, zog die fleckigen Vorhänge vor das Fenster und begann mich auszuziehen. In Boxershorts zog ich mich dann in das Doppelbett, was ich ganz alleine für mich hatte und kuschelte mich in die dicke Decke.
Kaum lag ich bequem, fingen meine Gedanken an über den Tag und de vergangene Woche zu schweifen. Ich konnte einfach nicht glauben, dass es erst vor einer Woche war, dass ich an meinem PC spielte, als Mum nach ihrer Yogastunde nach Hause kam und mir die Idee mit der Delphintherapie vorschlug.
Alles schien von meiner Mutter und meinem Stiefvater schon genau durchdacht zu sein und irgendwie schon entschieden. Ich konnte damals gar nicht anders, als einzuwilligen. Es ging alles so schnell. Eine Woche war es her und schon lag ich hier. In meinem neuen Zuhause. Nur noch ein paar Stunden von meiner ersten Therapiestunde entfernt.
Ich blickte mich in meinem neuen Zimmer um. Nichts weiter, als ein staubiger Schrank, ein staubiger Schreibtisch mit Stuhl, ein staubiger Spiegel und das nun nicht mehr staubige Bett mit Nachttisch waren im Raum. Ob ich mich hier jemals wohlfühlen konnte? Noch fühlte ich mich fremd und nicht zuhause.
Beim Umherblicken blieb ich an dem kleinen Tischen neben dem Bett stehen, auf dem noch die kleine Nachttischlampe leuchtete. In dem schwachen Licht erkannte ich ein kleines Heftchen mit glänzendem Einband, das in der dicken Staubschicht etwas eingesunken war.
Ich nahm es in die Hand und konnte in der krakeligen Handschrift meinen, Nialls und Harrys Namen lesen. Es war das Fotoalbum, das die beiden mir gestern geschenkt hatten. Mum musste es auf den Nachttisch gelegt haben.
Auch wenn ich es gestern schon mindestens zwölf mal durchgeblättert hatte, öffnete ich es erneut und blickte auf die zwei jährigen Ebenbilder von mir und meinen beiden besten Freunden. Harry hatte unter jedes Bild die Daten und einen kleinen Satz geschrieben und nach drei Seiten kam ich zu meinem Lieblingsbild aus der fünften Klasse.
Es war ein Bild aus unserer Schulaufführund von Romeo und Julia. Und es war genauso peinlich, wie es sich jetzt anhörte. Harry hatte eine blonde Perrücke auf und stand in Strumpfhosen auf einem amateurhaft zusammengeschusterten Turm, ich saß in meinem Rollstuhl mit einem blauen Umhang vor dem Turm und Niall stand als Esel verkleidet neben mir.
Monatelang mussten wir uns noch die doofen Kommentare der gesamten Schule anhören, doch uns war das irgendwie egal. Wir lachten nur über uns selber und ignorierten die anderen, wie wir es meistens taten.
Unter diesem Bild hatte Harry die Worte 'Für immer eins. Romeo & Julia' geschrieben und daneben stand in Nialls Handschrift 'und ihr treuer Freund der Esel'. Immer wieder las ich diese Zeilen und bekam das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht gewischt.
Sanft strich ich mit meinem Daumen über das Bild und die angestrengten Gesichter von uns, wie wir versuchten in der Rolle zu bleiben und nicht laut loszulachen. Es war eine tolle Erinnerung und wegen all diesen Erinnerungen, die an jedem einzelnen Bild hafteten, liebte ich dieses Buch. Einmal in diesem Leben, hatten sich die zwei Idioten echt selbst übertroffen und ich war fest entschlossen es ihnen morgen noch einmal genau so am Telefon zu sagen.
Für heute war es nun aber genug und ich klappte das Büchlein zu um es wieder auf den verstaubten Nachttisch zu legen. Mit all den schönen Bildern im Kopf ließ es sich leicht einschlafen, denn sie hatten die Gedanken an die Therapie, die morgen beginnen würde, komplett verdängt. So dauerte es nicht lange, bis ich tief und fest schlief und erst am nächsten Morgen wieder aufwachte, als meine Mutter ins Zimmer geplatzte kam und die Vorhänge aufzog.

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Heyho heyho, wir sind vergnügt und froh. Endlich seit geraumer Zeit ein neues Kapitel. Eigentlich hätte ich erst meine anderen beiden Geschichten updaten müssen, aber bei dieser hier gab es die größte Nachfrage mit den süßesten Kommentaren, also blieb mir nichts anderes übrig, als doch wieder hier ein Kapitel zu schreiben.
Der lange Wartezeitraum tut mir Leid, aber das wird nun leider öfter vorkommen. Es sind momentan stressige und schwierige Zeiten für mich, aus persönlichen Gründen, weswegen ich wirklich kaum zum Schreiben komme. Jetzt hab ich erst einmal etwas Pause, aber auch die hält nicht lange ... Leider.
Jetzt will ich euch aber auch nicht weiter mit dem ewigen Herumgequatsche quälen :D
Wie fandet ihr das Kapitel? ^^ Ich freu mich wie immer auf Rückmeldung! <3

Therapist &gt;&gt; Lilo AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt