DREI.

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AIDEN


Die Kleine ist wirklich sonderbar. Sie hat den ganzen Nachmittag nicht mehr als drei Worte gesagt. Dabei sieht sie aus, wie jemand der viel zu erzählen hat. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, aber wenn sie nicht aus ihrem Schneckenhaus heraus kommt, wird sie hier nie Anschluss finden. Da hilft auch mein Beliebtheitsstatus nichts. Ich verstehe nicht, warum es Evans so wichtig ist, dass ich ein Auge auf sie habe. Bei ihrem Aussehen wird sie nicht lange allein bleiben und sie scheint auch nicht der Typ für dumme Ideen zu sein.

Das mit dem Kinderspiel kann ich mir abschminken. Hailey benimmt sich wie ein verschrecktes Reh im Scheinwerferlicht. Irgendwer wird Dornröschen wachküssen müssen. Stellt sich nur die Frage, wer? Mir ist nicht entgangen, wie sich ihre Wangen rot färben, wenn sie mich ansieht, aber das wäre wirklich eine verdammt dumme Idee. Hailey ist hübsch, aber ich stehe auf Frauen, die sich nehmen was sie wollen und danach schnell wieder verschwinden. Diese zerbrechliche Art, wie Hailey sie ausstrahlt, ist nichts für mich. Damit kann ich nicht umgehen. Sobald eine Frau heult, bin ich raus.

*

Ich habe mal wieder die Frühschicht im Coffeeshop, weil niemand sie gerne macht und ich gerade jede Menge Zeit habe.

»Hey, West! Das Radfahren auf dem Campusgelände ist verboten, also steig gefälligst ab!«, brüllt Larry, einer der Ordner. In den letzten Jahren hat er mich so oft bei Regelverstößen erwischt, dass mit Sicherheit ein Foto von mir im Wachhäuschen hängt. Gehorsam steige ich vom Rad ab und hebe zum Gruß die Hand. Okay, ich strecke ihm den Mittelfinger entgegen. Larry flucht laut vor sich hin, als Antwort lache ich.

Als ich an der Cafeteria vorbeilaufe, blicke ich durch die große Glasfront. Eine überschaubare Menge an Studenten frühstückt bereits, für gewöhnlich ist hier deutlich mehr los. Es gibt tatsächlich noch freie Tische. Hailey sitzt an einem in der hintersten Ecke. Ich lehne mein Fahrrad an die Steinmauer und betrete das Gebäude.

»Ist hier noch frei?«, frage ich zuckersüß. Aus müden blauen Augen sieht Hailey zu mir auf. Ihr Gesicht wirkt blass und ungeschminkt, ist deswegen aber nicht weniger hübsch. Neben dem Tablett liegt ein kleines buntes Buch. Ich tippe auf ein Notizbuch oder vielleicht ihr Tagebuch. Ihr Müsli sieht noch unberührt aus. Sofort knurrt mein Magen, da ich in der Eile nicht gefrühstückt habe.

Hailey mustert mich misstrauisch, als sie nickt, setze ich mich auf den Stuhl, der ihr gegenüber steht.

»Wie war deine erste Nacht?«

»Gut«, antwortet sie knapp. Okay, wir machen da weiter, wo wir gestern aufgehört haben. Ich rede und mit etwas Glück bekomme ich eine Antwort.

»Wie ist deine Mitbewohnerin? Kommt ihr klar?« Was zur Hölle tue ich hier eigentlich? Ich klinge wie ein Volltrottel.

»Sie ist nett.« Kurz, knapp, Hailey. Langsam bekomme ich den Eindruck, dass sie entweder nicht viel von Smalltalk hält oder von mir.

»Morgenmuffel?«, frage ich und versuche es mit einem Lächeln. Normalerweise plappern Frauen unaufhörlich und senden unverkennbare Signale aus, aber Hailey hat offensichtlich keinen Bock auf mich und mein Gequatsche. Das ist Neuland für mich und ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Es macht mich nervös und unsicher, dass ich nicht weiß, was sie von mir hält.

»Mmh«, brummt sie. Tja, Pech für sie denn so schnell werde ich nicht lockerlassen. Ich brauche den Abschluss und dieses Mädchen wird mir sicher keinen Strich durch die Rechnung machen.

»Gib mir mal dein Handy«, bitte ich sie. Hailey ignoriert erneut meine ausgestreckte Hand. Sie misstraut mir. Was grundsätzlich nicht verkehrt ist, aber mich im Augenblick nicht weiterbringt.

RAIDASE Aiden&Hailey (Band 1 )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt