VIER.

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HAILEY


Mindestens eine halbe Stunde starre ich schon auf dieses eine Wort auf dem Display, >HEY<. Ich habe nicht vor darauf zu antworten, aber ich frage mich, was er von mir will. Diese Gute-Pate-Nummer nehme ich ihm nicht ab, er ist sicher nicht der Typ für soziales Engagement.

Die Krönung ist allerdings, dass er seinen Namen mit einem Herzchen versehen hat. Ich will gar nicht wissen, wie viele Frauen ihn ebenfalls so abgespeichert haben. Ich lösche es und verstaue mein Handy in der Ledertasche, die meine Eltern mir zum Studienbeginn geschenkt haben. Sie entspricht nicht gerade dem aktuellen Trend, aber sie ist praktisch. Sie hat viele kleine Fächer, um nützliche Sachen wie Stifte, Locher oder Tacker zu verstauen. Ich mag praktische Dinge.

Das Zimmer ist leer, als ich es betrete. Ich genieße die Ruhe und sortiere meine Bücher in das Regal neben dem Bett.

»Hey!« Amber stolpert durch die Tür und sieht mich ungläubig an.

»Was machst du da? Es ist Freitag Abend. Du solltest ausgehen und Spaß haben. Überall auf dem Campus sind Erstsemesterpartys.« Partys. Das ist auch so etwas, womit ich nichts anfangen kann. Laute Musik und betrunkene Menschen, die komische Spielchen machen, darauf kann ich gut und gerne verzichten.

»Keine Lust. Ich bin völlig platt.« Das ist nicht gelogen, ich fühle mich wirklich erschöpft. Erschöpft von Aiden West, weil er mich in meinen Gedanken verfolgt und erschöpft von den vielen Eindrücken die sich mir hier bieten. Amber plumpst neben mir auf das Bett.

»Verstehe. In meiner ersten Woche war ich auch völlig überfordert. Glaub mir, es wird besser«, sagt sie und klopft mir aufmunternd auf die Schulter. Sie springt auf und kramt eine Reisetasche unter ihrem Bett hervor.

»Du verreist?« Ich bin mir nicht sicher, ob ich darüber froh oder enttäuscht bin.

»Ja ich fahre übers Wochenende zu meinen Eltern, meine Mom hat Geburtstag. Ich habe montags keine Vorlesungen, also werde ich nicht vor dem Abend zurück sein.« Jetzt bin ich doch enttäuscht. Amber sieht mich besorgt an.

»Wenn dir die Decke auf den Kopf fällt, geh raus. Auf dem Campus ist wirklich jede Menge los für Erstsemester. Misch dich unter die Leute oder ruf West an. Ich werde dich nicht verraten, wenn du Männerbesuch hast.« Sie hebt vielsagend die Augenbraue, sofort verfärbt sich mein Gesicht. Mist! Amber lacht und packt ein paar Kleidungsstücke ein.

»Oh Mann Hailey, du bist auf dem College, also genieß es!« Sie schultert ihre Tasche und wirft mir eine Kusshand zum Abschied zu. Die Tür fällt ins Schloss und plötzlich ist es still. Diese Stille ist mir allzu vertraut. Ich schlage eins meiner neuen Bücher auf, die ich extra für solche Momente gekauft habe.

Der Trubel vom Campus dringt durch das offene Fenster. Ich stehe auf und sehe hinaus. In der Dunkelheit kann ich nicht viel erkennen, lediglich mein Gesicht spiegelt sich in der Fensterscheibe. Für einen Moment starre ich die junge Frau an, die mir entgegenblickt. Ich habe erwartet, dass sie glücklich aussieht, stattdessen wirkt sie verloren. Tränen schießen mir in die Augen. Was mache ich hier überhaupt? Mit einem lauten Knall lasse ich das schwere Rollo am Fenster herunter.

Immer wieder fallen mir die Augen zu. Ich lege das Buch auf den Nachttisch und gehe ins Badezimmer, um mich für die Nacht fertig zu machen. Das Bad ist nicht besonders groß, aber jeder hat seinen eigenen kleinen Schrank. Ich putze mir die Zähne und schlüpfe in meinen Schlafanzug. Kurz nach Mitternacht knipse ich die Nachttischlampe aus.

*

Das helle Tageslicht wird durch das Rollo abgeschwächt. Ich quäle mich aus dem Bett und bekomme kaum die Augen auf, während ich ins Bad schlurfe. Gähnend stelle ich mich unter die Dusche. Das warme Wasser macht mich zwar nicht munter, aber es entspannt meine steifen Glieder. Ich muss wie ein Stein geschlafen haben, denn anders kann ich mir nicht erklären, warum mein Körper sich anfühlt wie ein Betonklotz.

RAIDASE Aiden&Hailey (Band 1 )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt