Rosa Wattewolken sprenkelten den spätenAbendhimmel, während der Horizont ein Kleid in den schönsten Rot-und Orangetönen trug.
„Bist du dir wirklich sicher? Ich habeein ungutes Gefühl dich nun gehen zu lassen." Lillith hörte ihrerälteren Freundin nur mit einem Ohr zu, denn das Schauspiel desTag-Nacht-Wechsels war zu schön, um es unbeachtet an sich vorbeiziehen zu lassen. Verträumt sah sie einem Schwarm Wildgänse dabeizu, wie diese den warmen Farben entgegen flogen und von derhitzeflimmernden Wand verschluckt wurden, die im Feuerreich soalltäglich waren, wie die monatlichen Sandstürme der südlichenWüstenlandschaft.
„Lillith? Hey, hörst du mir überhauptzu?"
Träge wandte die junge Frau ihren Blick von der Natur ab,um Corinn die volle Aufmerksamkeit zu schenken. „Ich höre dirimmer zu.", erwiderte Lillith ruhig, aber mit einem sanften Lächelnauf den Lippen. Corinn seufzte bei dieser lieblichen Geste undstemmte dabei die Hände in die Hüfte.
„Was machen wir nur mitdir Kind?" Auch wenn diese Frage rein rhetorisch war, so zuckteLillith dennoch entschuldigend mit den Schultern und umarmte dieFrau. Die Wärme, die Corinn ihr schenkte, sog Lillith mit allerGedankenkraft in sich auf, wobei sie sich insgeheim darumbemitleidete, dass sie solch eine wundervolle Frau nicht zur Mutterhatte.
„Gute Nacht, Corinn."
„Gute Nacht, meine kleineKönigin."
Mit diesen Worten ließen sich beide los, ungewiss obsie sich schon in den nächsten Tagen oder doch erst in einigenWochen wiedersehen würden. Fast schon widerwillig wandte Lillith demkleinen Haus den Rücken zu, in dem immer noch die Feinde aus demNachbarland quartierten. Unauffällig wie möglich warf Lillith einenletzten Blick über die Schulter zu dem kleinen Fenster mit dengrellen Holzläden, welches Corinns Schlafzimmer in der Nacht einwenig Licht spendete. Mit dem Gedanken, das Zimmer dunkelvorzufinden, erschrak sie innerlich, als sie den General amFenstersims lehnen sah und dessen dunkle Augen angestrengt auf ihrruhten. Seine Lippen bewegten sich, sodass sie erst jetzt erkannte,dass Yriel neben ihm stand, dem Blumenfeld jedoch den Rückenzugewandt hatte. Worüber sich die Männer unterhielten konnte sienicht verstehen, doch die Tatsache, dass sie sich als Corinns Tochterausgegeben hatte und nun in die Nacht hinaus stolzierte, als sei sielediglich ein Gast auf Dauer gewesen, war mit SicherheitGesprächsstoff genug. Der General hob mit einem Mal seine Hand undwinkte ihr zum Abschied zu. Diese Geste ließ sie begreifen, dass siewie in Trance stehen geblieben war und die beiden Männer viel zulange angegafft hatte. Um den Schein zu wahren, nickte sie dem Mannkurz zu, ehe sie stirnrunzelnd davon lief. Mit mehr Glück alsVerstand schaffte es sie nach einiger Zeit unbemerkt insSchlossinnere zurückzukehren. Sie war die letzten Meter durch dieangrenzende Stadt gerannt, sodass ihr verschwitztes Haar die braunePuderfarbe verloren hatte und ihr Schweißperlen auf der Stirnstanden. Die Zuckerwatte aus Wolken hatte sich mittlerweile derSchwüle ergeben, weshalb nur ein grollender Turm am Himmel einUnwetter ankündigte. Hitzegewitter waren für das Feuerreich nichtunüblich, doch ausgerechnet heute war Lillith in ihrem Inneren zuaufgewühlt, um solch einem Wetter stand zuhalten. Die Energie, diesich über ihr aufbäumte, zerrte an dem Funken Magie, welchen sieTag für Tag mit aller Kraft Einhalt zu gebieten versuchte.
„Scheint,als würde unser Spaziergang heute ins Wasserfallen, kleine Hoheit.",erklang eine fremde Stimme ganz in der Nähe. Neugierig, aber auchweil Lillith um jeden Preis verhindern wollte jemanden zu begegnen,presste sie sich an die Steinmauer und schielte um die Ecke. Eintrauriger Ausdruck huschte über das Gesicht der zukünftigenKönigin, als sie ihre jüngste Schwester erblickte, die in einembeweglichen Stuhl auf Rädern saß und mit einem Ausdruck derEnttäuschung über das Gefieder ihres Agaporniden strich- einer vielzu selten Papageienart, um sie in einem solch düsteren Schlossgefangen zu halten. Margarethe liebte es von ihren Eltern allerleiAufmerksamkeiten zu erhalten, doch schon nach wenigen Tagen verlorsie stets das Interesse an diesen Dingen, wenngleich es sich umunschuldige Tiere handelte. Die schwarzen Knopfaugen des Vogelsentdeckten Lillith bevor sie sich zurückziehen konnte und ehe siesich versah, schrie der Papagei auf und sträubte sein zimtfarbenesGefieder.
„Was hat dieser Vogel wieder?", grummelteMargarethe ungeduldig. Drohend hob sie die Hand zum Vogel, weshalbLillith widerwillig aus ihrem Versteck hervor kam und sich dazu zwangliebevoll zu klingen. „Dein Papagei hat mich entdeckt,Schwesterherz. Er wollte dich sicher nur warnen, weil er dachte ichsei eine Bedrohung." Schnellen Schrittes stand Lillith bei ihrerkleinen Schwester, wobei dessen Zofe argwöhnisch das Aussehen derjungen Frau begutachtete. Lillith konnte nur hoffen, dass sie derKönigin und dem König keinen Bericht über ihr derzeitigesErscheinungsbild weitergab, obwohl das recht mitgenommene Kleid unddie halb verfärbten Haare genügend Gesprächsstoff für einEltern-Tochter-Gespräch waren.
„Achso, dann ist das Tier jadoch noch zu was gebrauchen." Margarethe schien immer nochsichtlich verärgert zu sein, aber ihr Frust rührte mehr daher, dassdas Gewitter sie in diesen Mauern einschloss, als dass der Vogel sienervte.
„Morgen ist ein neuer Tag.", setzte Lillith an, umihrer Schwester Mut zu machen. Sie beide waren viele Jahreauseinander, doch neben Mertyn war sie die einzige, die Lillith Nähezu ließ und ihr ohne Vorurteile gegenüber trat. „Ich bin mirsicher, dass die Sonne dann nur für dich scheinen wird."Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, beugte sich Lillith zuMargarethe hinunter und streifte mit den Fingerspitzen derenHandrücken. Das Mädchen ließ diese Berührung zu, ehe sie seufzendihre Zofe zu sich heran winkte.
„Ich werde dann früh schlafengehen, damit ich für den morgigen Ausflug erholt genug bin." DieseWorte waren sowohl an die Zofe, als auch an Lillith gewandt, die sichmittlerweile mit zwei Schritten wieder von ihrer Schwester entfernthatte und von der überdachten Empore in Richtung der Berge blickte.Erst der Agapornid holte sie wieder zurück in die Gegenwart, dessenKrächzen heiser klang.
„Ich glaube dein Papagei ist einsam.",setzte die junge Frau noch an, bevor sich Margarethe verabschiedenkonnte. Diese zuckte mit den Schultern, als sei es das Belanglosesteauf der Welt. „Eigentlich wollte ich ihn heute frei lassen, denn solangsam geht mir dieses Vieh auf die Nerven."
Um sich einenbissigen Kommentar zu ersparen, presste Lillith die Lippenaufeinander und beugte sich abermals hinunter, doch dieses Mal demVogel zugewandt, der sie mit seinen kleinen Augen fixierte. „Sollenwir ihn morgen gemeinsam fliegen lassen?" Irgendwie kam ihr dieseIdee ungewollt aus dem Mund, doch nun wo sie ausgesprochen war, lages an Margarethe die Einladung anzunehmen oder nicht. Nach einerkurzen nachdenklichen Stille zuckte sie wieder mit den Schultern undmurmelte ein „Von mir aus, aber dann nimmst du ihn jetzt schon andich, damit er mich heute Nacht nicht weiter nervt.". Lächelndhielt die Blonde dem Vogel ihre Hand hin, auf die er ohne zu zögernhopste und brav darauf sitzen blieb. Sowohl das Vertrauen des Tieres,als auch die minimale Zuneigung ihrer Schwester, ließ Lillith Herzein wenig schneller schlagen und verursachte ein Kribbeln im Magen.„Also dann, bis morgen früh, Schwesterherz.", sprach sie noch zuder Kleinen gewandt, wobei sie liebevoll eine schwarze Haarsträhnedem Mädchen aus dem Gesicht strich.
„Bis morgen." Damitwandten sich die Zofe und Margarethe ab, während Lillith lächelnddie Federn des Vogels betrachtete.
„Als würde ich mit derirgendwo hingehen."
„Macht euch nichts daraus, eure Hoheit.Wir gehen verfrüht los, damit sie euch nicht belästigenkann."
„Gute Idee. Nur den Vogel bin ich jetzt wohl für immerlos, aber im Grunde ist es auch egal, Vater schenkt mir sicher baldetwas Neues."
Irgendwann verstummten die Stimmen, verschlucktvom Gestein des Schlosses. Die Freude, die das Herz der jungen Fraufür einen kurzen Moment berührt hatte, war auf einem Schlagerloschen. Einsam stand sie auf der Empore, während ihr mal wiederbewusst wurde, dass nicht die Menschen um sie herum anders waren,sondern genau sie die Eigenartige war, die man ungewollt duldenmusste. Der erste Blitz des Unwetters erhellte den Himmel und Lillithspürte das unangenehme Ziehen in der Brust. Es wurde Zeit für siesich in ihrem Turm zurückzuziehen und zu hoffen, dass sie dasGewitter ohne Zwischenfälle überstand.
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Blind- Three Kingdoms
FantasyEine Welt geteilt in drei mächtige Reiche, endlose Kriege nur geführt, um die größere Macht zu erhalten und ein Fluch, der alles verändern sollte. Jahrhunderte lang regierten Könige und Königinnen blind, gezeichnet von einem uralten Fluch sehr alter...