Kapitel 1

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Ethans Augen schmerzten, als er sie aufschlug.

Das kahle Zimmer um ihn herum wirkte so abweisend wie immer.
Die Wände flüsterten im schwachen Mondlicht Geschichten.
Es waren keine schönen Geschichten, das waren sie nie.
In jeder Ecke des kleinen Raumes saß ein Fleck Dunkelheit, bereit das ganze Zimmer einzunehmen, wenn der Mond nur aufhören würde zu scheinen.

Ethan schlief schlecht.
Auch das war nichts Neues.
Seit nunmehr 3 Jahren hatte er den selben Albtraum.
Fröstelnd zog er die Decke enger um sich.

Er konnte beinahe die großen Hände auf seiner Haut spüren, die ihm die Luft abrückten.
Das Gesicht seines Peinigers klar vor Augen sehen.
Hörte die Worte immer und immer wieder in seinem Kopf.
Sie begleiteten ihn auf Schritt und Tritt.

"Es ist doch alles gut."

Seufzend stand er auf und ging zum Fenster.
Er würde in dieser Nacht nicht mehr einschlafen.

Sein Blick schweifte über den kleinen Park und den Teich.
Die alten Bäume standen groß und drohend im Park verteilt.
Sie schienen durch ihre Schwärze das ohnehin schon schwache Mondlicht aufzusaugen.

Bei seiner Ankunft vor einigen Wochen hatte er das hier noch für eine gute Idee gehalten.
Seine Mutter hatte immer wieder gesagt, dass es ihm helfen würde.
Und er hatte ihr geglaubt.
Jetzt wollte er einfach nur hier raus.

Zwar hatte sich seine Angst vor Menschen gelegt, doch Berührungen jeglicher Art ließen ihn immer wieder in Panik verfallen.

Die Ärtzte redeten von Soziophobie und Trauma, doch Ethan fand das untertrieben.
Niemand konnte in Worte fassen wie es ihm ging oder was ihm wiederfahren war und wie furchtbar das alles war.
Er hasste es, dass alle um ihn herum so taten als sei das was ihm passiert war normal und als müsste er auch einsehen wie normal das war.
Bei jeder Sitzung wurde ihm mitgeteilt, wie normal sein Verhalten war.
Wie normal es war, dass ihm so etwas passiert war, dass es vielen Menschen so ging.
Wie normal er war.

Ethan wusste allerdings nur zu gut, dass nichts aber auch gar nichts an diesem Ort normal war.

Manchmal glaubte er seine Psychologin würde nur sich selbst einreden wollen, dass alles normal, geordnet und strukturiert war.

Es war aber nicht normal Angst vor Berührungen zu haben.
Es war nicht normal jede Nacht dieselben schrecklichen Minuten immer wieder zu erleben.
Es war nicht normal, dass Menschen anderen Menschen so etwas antaten.

Alles in allem war hier rein garnichts normal.

Von den anderen Jungen hatte er bisher nicht viel mitbekommen.
Es gab zwar einen Aufenthaltsraum, aber den hatte Ethan bisher weitestgehend gemieden.
Von den Gruppensitzungen war er freundlicherweise verschont geblieben.
Nur in der Kantine hatte er bisher einige Jungen gesehen.
Er kam immer dann, wenn das Essen beinahe vorbei war, dann saßen meist nurnoch vereinzelt Leute an den langen Tischen.

Er versuchte alle Menschen die er traf weitestgehend zu ignorieren.

Ein Blick auf die Uhr an der Wand verriet ihm, dass es 3.20 Uhr war.

Von irgendwoher kam ein Scheppern, ein Aufprall, ein dumpfer Schrei.

Dann Stille.

Laute, schreiende, dröhnende
Stille.

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