Kapitel 4

3.7K 211 30
                                    

Ich konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Er überlegte gerade wohl, was er am besten machen sollte, sah erst mich, dann das Müsli und dann wieder mich an.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und begann nun meinerseits damit die zweite Schale Müsli zu essen.
Es dauerte einige zähe Sekunden, bis ich das leise Kratzen des Löffels auf Keramik hörte und wusste, dass er sich fürs Frühstücken entschieden hatte, statt die Flucht zu ergreifen.

Wir schwiegen während dem Essen. Ich wusste eh nicht, was ich hätte sagen sollen. Die Situation war so seltsam, dass ich mich fast schon überfordert fühlte.
Ich grübelte über das, was er am vorherigen Abend zu mir gesagt hatte, nach. Wieviel davon war vom Alkohol verschuldet gewesen und wieviel entsprach der Wahrheit?
Seine Reaktion auf meine Erklärung vor wenigen Minuten konnte ich genauso wenig einordnen.
Ich leerte meine Schale, trank die restliche Milch aus und schob dann das Geschirr von mir.
Vorsichtig warf ich einen Blick auf Kacchan.
Dieser löffelte weiter brav sein Müsli und schien dabei nach zu denken.

Eine gefühlte halbe Ewigkeit später wurde es wieder still im Zimmer. Scheinbar war er fertig mit essen.
„Deku...", fing er leise an.
Ich hatte in der Zwischenzeit angefangen meine Hausaufgaben zu machen und blickte nun vom Papier auf und ihn an. „Hm?"
Er starrte in seine leere Schale, die er immer noch in den Händen hielt. Seine Finger verkrampften sich um das Keramikgeschirr und ehe er es kaputt machen konnte, stellte er die Schale neben das leere Wasserglas auf meinen Nachttisch.
„Was... hab ich gestern alles... gemacht... und gesagt...", brachte er mühsam hervor, als hätte er Angst vor der Antwort.
Ich überlegte, ob ich ihm wirklich antworten sollte. Die Chancen, dass er wieder wütend werden würde, waren zwar gerade nicht so hoch wie sonst, aber sie waren dennoch vorhanden.
Ich entschied mich trotzallem für die unverblümte Wahrheit. „Du hast mich geküsst... Und wolltest von mir wissen, ob ich was mit Todoroki am Laufen habe...", meinte ich leise und beobachtete dabei genau sein Gesicht.
Seine Wangen färbten sich rot. „Ge-geküsst...", schluckte er tonlos. „Wie...?"
Auch meine Wangen wurden wieder warm, als ich an den Kuss dachte. Als mir wieder in Erinnerung kam, wie gut es sich angefühlt hatte, wie sehr ich es genossen hatte.
„Auf den Mund. Mit Zunge...", antwortete ich und drehte mich von ihm weg. Ich wollte nicht sehen, was nun kommen würde, wollte nicht den Ekel in seinem Gesicht sehen.
Ich hörte wie er den Atem anhielt, dann ein erneutes leises „Fuck" seinerseits.
Er stand auf, ich hörte seine Kleidung dabei rascheln, und dann seine Schritte, die sich langsam von mir entfernten.
„Es tut mir Leid, Deku...", sagte er ganz leise, öffnete die Tür und verließ mein Zimmer.

Ich blieb alleine zurück, starrte minutenlang auf das Papier vor mir, ehe ich mich umdrehte und die bereits geschlossene Tür anstarrte.
Was war das gerade gewesen? Hatte sich Kacchan wirklich bei mir entschuldigt? Ich verstand die Welt gerade nicht mehr. Er hasste mich doch. Wieso hatte er mir keine Vorwürfe gemacht, wieso hatte er mir nicht die Schuld für alles gegeben, wie er es sonst immer tat?
Ich stand auf, sammelte das Geschirr zusammen und brachte es hinunter in die Küche.

Das Wohnheim war wie leergefegt, was nicht verwunderlich war. Es war schließlich Samstag, wir hatten keinen Unterricht und das Wetter war für Anfang Oktober wirklich sehr schön warm.
Ich spielte mit dem Gedanken nach draußen zu gehen, verwarf ihn aber wieder, als ich an meine unerledigten Hausaufgaben dachte, die noch auf mich warteten.
Glücklicherweise war es nicht viel, sodass ich mich entschloss mich erst darum zu kümmern und dann den Nachmittag zu genießen.

~*~

Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich damit, meine Aufgaben zu erledigen und war gerade damit fertig geworden, als ein leises Klopfen an meiner Tür meine Aufmerksamkeit erregte.
Ich lauschte, grinste dann. Es war das Klopfzeichen, welches Shôto und ich uns angewöhnt hatten.
„Komm rein!", rief ich und verstaute währenddessen meine Sachen im Rucksack, drehte mich dann zur Tür.
Diese öffnete sich gerade und Shôto streckte den Kopf ins Zimmer.
„Hey, du lebst ja noch", stellte er fest und musste grinsen.
Ich seufzte leise, nickte dann. „Ja, scheint so. Obwohl ich glaube, dass da noch was kommen wird..."
Shôto schlüpfte ins Zimmer und ließ sich auf mein Bett fallen, sah mich an.
„Erzählst du mir, was los ist?"
Wieder nickte ich und begann zu erzählen. Ich erzählte ihm alles, was am letzten Abend passiert war, was Kacchan getan und gesagt hatte, wie ich mich dabei gefühlt hatte. Ich erzählte ihm auch was am Morgen geschehen war und wie verwirrt ich nun war.
Shôto hörte sich alles in Ruhe an. „Also für mich hört sich sein Verhalten an, als wäre er eifersüchtig...", stellte er die Vermutung schließlich in den Raum.
Ich blinzelte. „Kacchan... Eifersüchtig? Das kann ich mir nicht vorstellen. Warum sollte er denn eifersüchtig sein?", wollte ich skeptisch wissen.
Shôto zuckte mit den Schultern. „Warum sonst sollte er wissen wollen, ob wir beide zusammen sind?", gab er zu bedenken.
Ich nickte langsam. Es machte schon Sinn, aber vorstellen konnte ich es mir trotzdem nicht.
Genauso langsam wie ich genickt hatte, schüttelte ich nun meinen Kopf. „Das war sicher nur der Alkohol..."
Shôto lächelte. „Aber sagt man denn nicht immer, dass kleine Kinder und Betrunkene stets die Wahrheit sagen?"
Ich dachte darüber nach, ließ dann den Kopf hängen. „Warum muss alles immer so kompliziert sein..."
„Niemand hat behauptet, dass es einfach ist."

Er stand auf, öffnete die Tür zum Balkon und trat hinaus.
Eine frische Brise wehte ins Zimmer. Ich sah zu ihm hinaus. Er hob den Kopf und blickte nach oben, trat dann direkt einen Schritt wieder zurück und sah mich an.
„Aber an deiner Stelle würde ich nochmal versuchen mit ihm zu reden. Er ist vorhin nicht ausgerastet. Vielleicht braucht er einfach einen kleinen Schubs in die richtige Richtung", lächelte er. Er hatte etwas lauter gesprochen als es notwendig gewesen wäre. Ich dachte mir nichts dabei, schob es darauf, dass er draußen stand und ich noch drinnen saß.
Ich stand auf, lehnte mich an den Türrahmen und sah ihn an. „Und was soll ich deiner Meinung nach sagen? Vielleicht: Kacchan, ich liebe dich, also hör bitte auf mich zu hassen? Das ist Unsinn. Das könnte ich ihm nie sagen! Da könnte ich auch gleich mein Todesurteil unterschreiben." Ich zog eine Augenbraue hoch.
Shôto begann über das ganze Gesicht zu grinsen. Er trat einen Schritt zurück, lehnte sich mit dem Rücken an die Brüstung und blickte nach oben.
Ich blinzelte. Sein Verhalten war gerade extrem seltsam! War da oben jemand, der uns zu hörte?
Ich schluckte, trat neben ihn, blickte nach oben und erstarrte.
Kacchan stand auf seinem Balkon zwei Stockwerke über uns und sah zu uns herunter.
Ich hatte das Gefühl, als würde der Boden unter meinen Füßen weggerissen werden. Er hatte es gehört. Kacchan hatte alles gehört, was ich gesagt hatte. Ich sah es ihm an. Er wusste Bescheid.
Mein Herz setzte einen Schlag aus, ehe es in meiner Brust anfing zu hämmern. Mein Mund war knochentrocken, trotzdem versuchte ich zu schlucken, wollte den Kloß in meinem Hals weg bekommen.
Ich brach den Blickkontakt ab, ging zitternd zurück in mein Zimmer und verkroch mich unter der Decke. Zu meinem Erschrecken musste ich feststellen, dass dies ein riesiger Fehler war.
Die Decke, das Kopfkissen, einfach alles hier roch immer noch nach Kacchan.
Tränen traten in meine Augen.

Tbc...

Boku no himitsu (deutsche Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt