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𝕙𝕖𝕝𝕡 𝕞𝕖.

Damon hatte seine Männer in ihre Zelte geschickt und das Funken selbst übernommen. Die Anwesenheit einer Geisel hatte seine Vorgesetzten in der Heimat nicht wirklich überrascht – aber woher kam der blonde Kerl? Wie war er hierher geraten und warum suchte man ihn nicht?
Der hochgewachsene Mann hockte auf dem Feldstuhl und fuhr sich, mit beiden Händen, über das ölig verschwitze Gesicht. Der Auftrag heute war eine reine Blamage gewesen. Während die Geisel an der Tür die Soldaten abgelenkt hatte, war der Führer der Organisation – wie auch immer – verschwunden. Als sie den unterirdischen Bunker ausgeräuchert hatten, war er schon über alle Berge. Damon vermutete einen bisher unentdeckten Hinterausgang und hätte sich, als Zuständiger ohrfeigen mögen. »Fuck«, quetschte er zwischen den Zähnen hervor. Verdammt, sie hätten die Gegend noch besser absuchen sollen. Jetzt begann das Katz-und-Maus-Spiel erneut.

Nachdem er das Telefonat beendet hatte, erhob er sich ächzend und griff nach seiner kugelsicheren Weste. Einmal mehr hatte sie ihm das Leben gerettet. Drei weitere Schussmale hatten sich auf der linken Brustseite dazugesellt. Ein Vierter hatte Damon am Oberarm gestreift.
Bisher hatte er die Wunde notdürftig selbst versorgt. Er wusste, die drei anwesenden Ärzte waren mit zweien seiner Leute beschäftigt, dazu kam eine Servicekraft, die einer Lebensmittelvergiftung erlegen war und natürlich der heute Befreite. Mik hatte ihm vorhin die ersten Unterlagen an die Station gereicht; nach ärztlicher Beurteilung war die Geisel systematisch misshandelt worden. Er selbst hatte kein Wort gesprochen.

Als Damon sich auf den Weg machte, hoffte er vergebens darauf, den jungen Kerl dort anzutreffen. Er traf jedoch nur auf Josephine, die ihm ernst, wie sie nun einmal war, mitteilte, Dean Gabriel sei in sein Zelt geschickt worden.
Damon hob eine Braue. »In mein Zelt?«, echote er.
Die dunkelhaarige Mittvierzigerin presste die Lippen aufeinander und hob ein Klemmbrett mit handbeschriebenen Papier in die Höhe. »Der Führer der Aufständischen ist noch immer da draußen unterwegs und wenn ich er wäre, würde ich nach meinen Leuten suchen gehen. Du bist einer der ranghöchsten Männer, dein Zelt liegt in der Mitte unserer Anlage. Und Mr Gabriels Hubschrauber kommt erst morgen, sieben Uhr. Der Flug über das Gebiet ...« Wahrscheinlich hätte Josephine ihm noch unendlich mehr Argumente liefern können, aber er winkte ab.
Eine medizinische Angestellte tupfte mit sterilisierendem Alkohol über seinen linken Oberarm. Wie immer brannte die Flüssigkeit herrlich und so biss er die Zähne zusammen.

»Wie hieß er?«, fragte er.
»Dean Gabriel, Deutscher. Mehr Infos sollten jeden Augenblick kommen.«
»Er hat gesprochen?«
»Nicht mehr als das. Am besten, du drückst ihm nachher das Handy in die Hand und lässt ihn ein paar Runden spielen. Das beruhigt die Nerven und lenkt ihm ab, von dem, was er durchgestanden hat. Armer Kerl, sehr instabiler Zustand. Tja, Damon ...«, kurz hob sie einen spitzen Mundwinkel, »Die eine Nacht wirst du leider mit ihm aushalten müssen. Und morgen ist ja nichts Wichtiges.«

»Nichts Wichtiges?« Damon warf ihr einen finsteren Blick zu, dann verscheuchte er die Medizinerin. »Nein, wir stecken nur mitten im Krisengebiet. Eine Nacht mit einem heulenden Schlosshund ...« Ehe er noch mehr sagen konnte, erhob er sich von der Liege und testete die Beweglichkeit seines verbundenen Arms. Eigentlich war es nicht mehr als eine Schürfwunde.
Mit einem letzten Blick in das scharfgeschnittene Gesicht Josephines verließ er die Krankenstation. Ihre Leichtfertigkeit widerte ihn an. Seit vielen Monaten waren sie hier in der Wüste und folgten den Anweisungen von oben. Und bisher hatte es keinen einzigen Tag gegeben, an dem nicht auf irasäischer Seite Schüsse gefallen waren – trotz vereinbarter Waffenstillstände. Bitter verzog er das Gesicht. Seine Finger bohrten sich in die Schutzweste.

Für einige Augenblicke dachte er nicht mehr an Josephines eigentlicher Botschaft und riss die Plane zu seinem Zelt auf. In der untergehenden Abendsonne wirbelte sie eine Wolke Staub auf.
Zwei Gesichter blicken ihm entgegen, als hätte er sie beim Stehlen erwischt. Tatsächlich saß ein Soldat – Jamy – mit dem blonden Kerl auf seinem Bett und deutete auf irgendetwas in seiner Hand. Dean, der sich die Arme um die Leibesmitte presste, sprang auf und schien flüchten zu wollen, aber Jamy erreichte ihn gerade noch. Beruhigend sprach er auf ihn ein, dirigierte ihn auf das quietschende Feldbett zurück und ging vor ihm in die Knie. Damon trat hinter ihn, achtlos warf er die Schutzweste und Jacke beiseite.
Jetzt, wo er in seinem eigenen Zelt stand, überkam ihn der heftige Wunsch, seine Uniform abzulegen. Plötzlich fühlte er sich müde und als wäre er in seinem eigenen Schweiß gebadet. Er seufzte und wandte sich kurz ab. Er wollte sich nicht unbedingt vor einem Missbrauchsopfer seiner Kleidung entledigen.

Das dunkle Zelt war groß und hoch genug, für beide Männer. Irgendjemand hatte tatsächlich auch schon eine zweite Liege hier aufstellen lassen. Für Damon eine Annehmlichkeit, die er sich erst seit seiner letzten Beförderung leisten konnte – und auch nur, weil die mobile Zeltstadt für längere Zeit hier stationiert war.
Hinter sich hörte er ein leises Aufschluchzen, als er aus der weiten Sicherheitshose stieg. Jamy sagte leise etwas von »keine Angst«, »umziehen« und »Ja, vor seinem Arsch würde ich mich auch erschrecken«. Damon schüttelte nur den Kopf und griff nach der nächsten leichteren Hose in tarnfarben Muster. Etwas musste er aber doch loswerden und das änderte kein verängstigter, noch so blonder Kerl. Das durchschossene Shirt.
Überhaupt hätte man meinen können, dieser Dean freue sich daran, dass er befreit worden war. Aber nein, stattdessen hockte er da wie ein Haufen Scheiße und heulte. Wenigstens hatte ihm irgendjemand gezeigt, wie die Duschen funktionierten – sein Gesicht war nun von Blut und Dreck befreit und sah, auf einem zweiten Blick nicht unhübsch aus. Damon konnte sich vorstellen, welche Freude die dunkelhäutigen, schwarzhaarigen Männer mit dem Durchschnittsdeutschen gehabt hatten.

Der Soldat fühlte sich etwas entspannter, als er sich der Ex-Geisel zuwandte. Mit knappen Worten entließ er Jamy, dankte ihm – und stand plötzlich alleine mit Dean in einem Zelt. Zu spät fiel ihm ein, dass eine Dusche ... »Na, was solls«, ächzte er und ließ sich vor dem schmalen Mann nieder. »Also, ich bin Damon. Und du bist Dean. Dean Gabriel, stimmt das?«
Der Kleinere antwortete nicht.
»Hey, es reicht auch, wenn du wenigstens nickst. Du verstehst mich doch, oder? Über Jamys Witz hast du ja auch lachen können. Dean?«

Noch immer sagte der Angesprochene nichts, sondern starrte nur auf Damons nackten, schweißgebadeten Oberkörper. Und vermutlich auf die riesige Narbe, die sich quer darüber hinwegzog.

find me. kill me.  ᵐˣᵇWo Geschichten leben. Entdecke jetzt