We were going to do that - Aurora

40 3 7
                                    

Schweigend gehst du die Treppe ohne Geländer herab. Die Stufen sind unterschiedlich hoch und bestehen aus großen Steinen, die man irgendwo gefunden hatte. Du breitest dein Handtuch auf dem Sand aus und stellst deinen Rucksack ab. Aus ihm holst du eine Flasche Wasser, genau dreieinhalb selbstgebackene Kekse und ein Kissen.
Um dich herum sind keine Leute an diesem kleinen, versteckten Strand. Vor vielen Jahren hast du ihn einmal durch Zufall gefunden, als du mit deinem besten Freund am See gespielt hast, und mit dem Fahrrad über Stock und Stein gefahren bist. Viele Stellen wie diese, an denen das Schilf verschwunden ist und sich eine kleine Sandfläche gebildet hat sind hier an diesem See, deinem See. Nie hast du dir Gedanken gemacht, was du für diesen Ort empfindest, solange du als Kind mit deinen Eltern, den Nachbarn oder Freunden hier warst. Dann hast du dich einmal alleine auf den Weg gemacht. Tränen zierten deine Wangen, als du spät am Abend angekommen bist, einem Gedanken folgend. Du warst zuhause gewesen, als du erfahren hast, dass deine Großmutter gestorben ist. Sehr hattest du sie geliebt. Ohne ein Wort bist du aus dem Haus gestürmt und hier hin gefahren. Stundenlang hast du auf das Wasser geschaut, bis deine Tränen versiegten. In diesen Stunden ist dir klar geworden, dass dieser See nicht einfach ein gefluteter Tagebau ist, sondern ein Zuhause für dich. Fern von der Welt, den Straßen, den Autos, dem Lärm.

Du trinkst einen Schluck und zerbrichst den ersten Keks in zwei Hälften. Bevor du eine davon isst, holst du aus und wirfst die andere ins Wasser, der untergehenden Sonne entgegen. Für ihn.
Die Wellen des Aufschlags verschwinden schnell, denn es weht ein leichter Wind über das glitzernde Wasser. In der Ferne zieht das grüne Segelboot mit dem schönen blauen Segel seine Bahn und kränkt leicht in einer Böe. Auch dieses kleine Schiff ist hier seit du denken kannst. Niemals warst du darauf, oder hast mit seinem Kapitän gesprochen, doch verfolgten deine Augen lange Zeit, wie es bei jedem Wetter durch die Wellen schoss, oder, wie jetzt, gemächlich dahinglitt.

Viel fehlt nicht mehr, bis der untere Rand des großen, orangenen Balls am Horizont die Baumwipfel streichelt. So wie er dich gestreichelt hat. Sanft und majestätisch wird sich unser Stern hinter den Landmassen verstecken, um am nächsten Morgen auf der anderen Seite wieder mit neuer Kraft hervorzuluken.

Du streifst die Schuhe von deinen Füßen, um die Beine anzuwinkeln und sie zu umklammern.
Wenn du die Augen ganz fest zudrückst, und deinen Gedanken die Freiheit frei zu sein gewährst, fühlt es sich fast so an, als wäre es ein echter Mensch in deinen Armen. Warm und vertraut ist das Gefühl, und es berührt deine Seele, erinnert sie daran, dass sie da ist.

Als du die Augen wieder öffnest, ist die Sonne weiter versunken. Die Fahnenmasten am anderen Ufer deines Sees versinken in ihr, während das Blau des Segels sich in seinem schönsten Licht glänzend der Welt präsentiert. Langsamer als vorhin fährt das Boot, der Wind hat nachgelassen. Bald wird er einschlafen.
Du genießt die letzte Wärme, welche von den dich umhüllenden Sonnenstrahlen ausgeht.

Die Aufregung, die Gewalt, die an deinem Herzen rüttelte legen sich langsam, du beruhigst dich. Deine Seele dankt dir dafür. Sicherlich fühlt sie sich geehrt von einer solch liebevollen Behandlung. Nicht viele ihrer Art haben das Glück, in einem Menschen wie dir zu wohnen. Jemand, der sich um sie kümmert, sie pflegt und hegt.

Die Blätter der Bäume hinter dir rascheln in einer der letzten Böen dieses Tages. Auch der Kapitän, ein sehr erfahrener Segler kann aus den Zeichen der Natur mehr lesen, als ein Wetterbericht und bringt sein Schiff in Position für die Nacht. Nah am anderen Ufer wirft er den Anker, um am nächsten Morgen den Sonnenaufgang bewundern zu können. Das Platschen auf der Wasseroberfläche schallt über den ganzen See. Die Segel werden gerefft.
Du lächelst, als dir klar wird, dass du hier lebst. Hier kannst du wirklich spüren, was in dir passiert.

Ein weiterer Keks knackt. Eine weitere Hälfte fliegt ins Wasser. Für ihn. Dieses Mal bestehen die Wellen schon länger, aber sie schaffen es noch nicht zu dir. Kauend schließt du die Augen.
Ein Tornado aus Bildern, Filmen, Musik und Gedanken greift nach dir, zieht dich in seinen Bann, doch du weißt damit umzugehen. Langsam lässt du jede Erinnerung an dich heran, lässt dich von ihr forttragen in eine andere Welt, eine andere Zeit.
Du schwebst auf dem Wasser der Emotion, hörst die Melodie eines Liedes. Du könntest es nicht singen, es nicht aufschreiben, denn es ist nur in dir. Mit Harmonien, die es nicht gibt, Tönen, die man nicht auf fünf Zeilen notieren kann. Ein Traumlied.

Interpretations of a different kind - wenn Lieder zu Geschichten werden [De]Where stories live. Discover now