IX. Von (Un-)Professionalität, überschrittenen Kompetenzen und zweiten Chancen

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Song: Bed of Roses – Bon Jovi

I wanna be just as close as the Holy Ghost is."

...

„Sag mal, bist du sauer oder so?"

Erschrocken fuhr ich herum und ließ dabei fast meine Geige fallen. „Michael Patrick."

Ich schluckte. „Das ist übrigens ein verdammt langer Name, um ihn auszurufen, nachdem man gerade zu Tode erschreckt wurde, weißt du das?"

„Die meisten sagen auch nur Patrick. Oder Paddy." Sein Lächeln wurde ein wenig verschämt, als er das anfügte, und ich dachte mit einem Anflug von Fremdscham an Marks langgezogenes, leicht angetrunkenes „Paddyyyyy". Nein, danke, ich bleibe bei Michael Patrick.

„Aha", sagte ich also, wandte mich eilig ab und legte meine Geige mit allergrößter Sorgfalt in den Kasten. „Bin ich denn ‚die meisten'?"

Es war Abend, wir waren allein im Probenraum und ich hatte gerade eine ungemein frustrierende Sonderprobe für „Weiße Fahnen" hinter mir. Dementsprechend wenig war ich in Plauderlaune.

„Du lenkst ab", stellte Michael Patrick fest.

„Tu ich das?"

„Ja, und das nicht gerade subtil."

Ich zuckte die Schultern und begann, mit einem Mikrofasertuch die Seiten abzuwischen. Jede einzeln und mit solchem Druck, dass es an einigen Stellen quietschte. „Wie meinst du, nicht subtil?"

„Genau das meine ich!"

Ich hielt inne. Zum ersten Mal, seit ich Michael Patrick kannte, war seine Stimme scharf geworden. Und das machte mir Angst. Langsam, das Mikrofasertuch noch in der Hand, erhob ich mich und drehte mich zu ihm um. Zuletzt hob ich den Kopf und wagte es für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich, ihm in die Augen zu sehen. „Wie war deine Frage nochmal?"

Michael Patrick seufzte. „Ob du sauer bist. Zumindest hab ich das Gefühl, du gehst mir aus dem Weg."

Ich war nicht sauer. Zumindest nicht auf ihn. Auf mich selbst war ich sauer. Auf die Probe eben war ich sauer. Kaum ein Ton hatte gesessen, wie eine blutige Anfängerin war ich mir vorgekommen, als Alec und Sascha mit mir wieder und wieder das Geigensolo in Weiße Fahnen durchgingen. Sie sagten es mir natürlich nicht, aber ich selbst wusste gut genug, dass es dilettantisch klang. Unprofessionell.

Und unprofessionell war auch mein Verhalten am Montag gewesen. An diesem Mittag vor zwei Tagen, während ich mir auf meinem Zimmer Massen an kalten Wassers ins Gesicht spritzte, hatte ich eine Entscheidung getroffen: Das eben ist nie passiert. Du hast niemals so ein Theater gemacht. Du hast niemals Michael Patricks Shirt mit deinen Tränen und ihn mit deinen Problemen vollgeheult. Und ganz allgemein bist du Michael Patrick niemals so nahe gekommen.

Ich sah zu dem Mikrofasertuch hinab, das in meinen Händen mittlerweile furchtbar zerknittert war. „Ich bin nicht sauer, definitiv nicht", sagte ich knapp. „Keine Angst. Es ist nur gerade ein bisschen..." Ich hielt inne, suchte nach dem besten Wort und entschied mich dann doch für die einfachste und gleichzeitig nichtssagendste Alternative: „...viel."

Als ich Michael Patrick aufatmen hörte, wagte ich wieder einen Blick zu ihm. „Ich hatte schon Angst, du würdest mir das vom Montag übelnehmen."

Ich machte eine abwinkende Handbewegung. „Ach Quatsch, das...lass uns das einfach vergessen, okay? Ich hab überreagiert, das ist alles." Innerlich betete ich, mein verkniffenes Lächeln dabei würde mich nicht verraten. Ich war nicht annähernd so cool mit der Geschichte, wie ich gerade tat.

Michael Patricks Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. „Trotzdem", sagte er und sah mich an mit dieser seltsamen Mischung aus Ernst und Sanftheit an, die ich noch nie bei einem anderen Menschen beobachtet hatte, „wenn du reden willst, dann bin ich da."

Sing Me A Song Of Summer [MPK]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt