Remy
Er ging in die Hocke, um das untere Schloss aufzuschließen und drückte die Tür auf. Drinnen roch es ein wenig nach Holz und dem Lavendelspray, welches seine Chefin andauernd versprühte. Remy mochte den Geruch nicht, aber er musste zugeben, dass es schon eine beruhigende Wirkung hatte.
Im Lager stellte er seinen Rucksack in sein Schließfach, trug sich in den Computer ein und eröffnete den Laden. Er arbeitete im Soundbox. Hier konnte man Instrumente, Noten, CDs, Platten, technische Geräte wie Lautsprecher und Kaffee kaufen. Zu Anfang waren es nur Gitarren gewesen, aber damit hielt man ein Geschäft nicht mehr über Wasser. Die Menschen gingen in keine Läden mehr, um etwas triviales wie ein Notenbuch zu kaufen. Also musste man das Angebot erweitern und sie erst einmal hereinlocken. Kaffee war da immer eine gute Wahl.
Remy arbeitete hier seit fast drei Jahren, war mittlerweile zum Manager aufgestiegen. Dank ihm war immer mehr dazu gekommen und der Laden lief nun sehr gut.
Er stellte leise den Song ein, den er zur Zeit im Kopf hatte und summte dazu. Die Lichter erleuchteten mit einem zitternden Ton. Er füllte Kaffeebohnen nach, holte die Kekse die sie zusätzlich verkauften und stellte die zwei Bänke heraus. Denen folgte eine Kiste mit einigen Platten darin, die nur fünf Euro kosteten und das Schild auf dem auch für die Dummen stand, dass sie hier Kaffee und Musik erwerben konnten.
Direkt darauf verkaufte er an die Frau die hier jeden Morgen lang lief, drei große Cappuccino, jeder mit einem extra Wunsch. Doch egal, wie sehr ihn das nervte, er lächelte und steckte das Geld in die Kasse. Jeden Tag sah er, wie sie sich nach ihm noch einmal umdrehte, aber nie kam sie zurück, um ihn nach seiner Nummer zu fragen. Gut so. Sie würde sie sowieso nicht bekommen.
Die ersten zwei Stunden war er immer allein, da er den Plan für die anderen Mitarbeiter immer so legte, dass er keine nervigen Gespräche am Morgen führen musste.
Remy setzte sich auf die Fensterbank vor der großen Glasfront und trank den schwarzen Kaffee mit etwas Zucker, den er sich jeden Morgen machte. Eigentlich trank er ihn ohne alles, aber so fühlte er sich näher bei ihr.
Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihm, dass sie gleich kommen würde. Seine Stirn lehnte er an die Scheibe, die langsam warm von der Sonne wurde. Seine Beine streckte er entspannt aus.
Da war sie. Pünktlich wie immer. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lief Keira in ihrem schnellen Tempo, die Sonnenbrille auf der Stupsnase und den Kaffeebecher noch in der Hand. Ein Mann drehte sich nach ihr um und rempelte deswegen eine alte Dame an. Er konnte verstehen, dass man seine Umgebung vergaß, wenn man ihr begegnete.
Sie blieb vor der großen Holztür stehen, die das Tor zu ihrem Arbeitsplatz darstellte. Mit ihren schmalen Fingern schob sie sich ihre Sonnenbrille in das schwarze Haar und strich sich einmal mit dem Handrücken über die Augen, die plötzlich der hellen Sonne ausgesetzt waren. Er lächelte und hob seine Hand, strich über das Glas an der Stelle, wo er ihren Nacken sah. In seiner Vorstellung berührte er ihre Haut, sie war warm und weich.
Schnell kramte sie den Schlüssel aus ihrer Tasche, schloss auf und stemmte sich gegen die Tür. Keira trat einen Keil in die Tür, damit sie aufblieb und stieg dann die Treppe hoch.
Daraufhin verschwand sie für eine Zeit, er trank ruhig seinen Kaffee und wartete, bis sie im ersten Stock wieder auftauchte.
Sie arbeitete seit drei Jahren in dieser Bibliothek. Oft saß sie da an einem der Fenster und arbeite an einem Laptop, noch öfter las sie aber ein Buch. Dem Umstand geschuldet, dass Bibliotheken noch weniger besucht wurden, als kleine Läden, hatte sie nicht viel zu tun. Beziehungsweise nahm sie sich einfach die Zeit, die sie wollte und schaffte es dennoch ihren Job zu behalten. Ihr war es auch zu verdanken, dass Teenager aus der Nähe wieder vorbeikamen, um "Referate vorzubereiten" und auch sie hatte einen Schreibkurs ins Leben gerufen, der jeden Mittwoch dort stattfand.
Sie öffnete zwei der großen Fenster und goss die Blumen, die draußen auf dem Fensterbrett standen. Ihre Haare glänzten in der Sonne leicht rötlich. Keira hatte sich die Brille über ihr Top gehängt, welches nun einen tieferen Ausschnitt hatte. Es gefiel ihm, auch wenn er die Vorstellung nicht schön fand, dass das heute noch viele sehen würden.
Sie setzte sich auf die Fensterbank und umarmte ein Kissen, während sie hinab auf die Straße sah. Er beobachtete sie dabei, wie sie die Menschen auf der Straße beobachtete. Ihre Frisur war wie immer verwuschelt und sie spielte mit einer der Strähnen, die heraus fiel. Ihre hübschen dunklen Augen flogen hin und her, je nachdem was ihre Aufmerksamkeit erlangte. In ihren Ohren steckten noch immer ihre Kopfhörer. Er fragte sich, ob sie gerade noch seinen vorgeschlagenen Song hörte.
Da drehte sie sich halb um und nahm einen Kopfhörer heraus. Hinter ihr tauchte David auf. Er war etwa dreißig Jahre älter als sie und ihr Kollege. Er schien sie etwas zu rügen, aber Keira fuhr sich einmal durch die Haare und sagte vermutlich etwas über seine schicke Cordjacke, da war der böse Ausdruck auf seinem Gesicht verschwunden und wich einem verlegendem Lachen.
David ging wieder und sie schaute noch einmal aus dem Fenster, rollte mit den Augen und schien trauriger zu sein. Enttäuscht, dass sie die Menschen so einfach beeinflussen konnte.
"Die Menschen sind einfach gestrickt, Liebes. Kümmere dich nicht um sie. Das macht es uns nur einfacher", murmelte er, während sie noch einmal über eine Blüte strich. Dann verschwand sie vom Fenster, um die morgendliche Arbeit zu erledigen.
Er trank seinen Kaffee aus und schaute so lange hinauf in das leere Fenster, bis ein Kunde den Laden betrat und auch er sich wieder dem langweiligen Teil des Lebens widmen musste.
So. Ich guck mal, ob ich es schaffe ihre Sichten immer abwechselnd zu zeigen. Ich hoffe natürlich, es gefällt euch ;)
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dann hole mich doch
Mystery / ThrillerKeira spürte ihn um sich herum wie die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Sie wusste, er war da und ließ sie nicht aus den Augen. Doch sie suchte nicht nach ihm. Da sie nicht wusste, wie er aussah oder seine Stimme kannte, brachte das sowieso nichts. Si...