Callan:
Frust pumpt durch meine Adern. Frust und Angst und Schmerz und Impulse. Sie bin ich nie losgeworden. Die Impulse, Rowan an mich zu ziehen. Die Impulse, ihren Duft tief in mich aufzunehmen. Die unzähligen Impulse, sie einfach zu küssen, auch wenn ich dafür in der Hölle lande.
Das Haus liegt in stiller Dunkelheit, als ich es betrete. Haylie habe ich schon vor einer Stunde ins Bett gebracht, bevor ich mit Ganzkörper - Anspannung auf dem alten Sofa im Wohnzimmer vor dem nicht funktionierenden Fernseher gehockt und gewartet habe, bis Rowan endlich nach Hause kommt. Nach zwanzig Minuten hat mein Handy geklingelt und ich musste erfahren, dass sie mit ihrem verdammten Bastard von Freund - jetzt Exfreund - bei den Bullen hängt.
Es ist nicht leicht, in dieser Wohngegend anders zu werden. Besser. Erfolgreicher.
Es ist nicht leicht, ein gutes Leben zu kreieren, nachdem man in ein schlechtes hineingeboren wurde.
Es ist nicht leicht, hier herauszukommen.
Aber ich arbeite jeden Tag dafür. Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt und habe zwei Geschwister, die praktisch meine Kinder sind, weil ich sie aufgezogen habe. Der Vater, den ich nie kennengelernt habe, ist tot, und die Mutter, die ich verachte, ist drogensüchtig, depressiv - und nie eine Mutter gewesen.
Ich habe die Schnauze oft voll von den meisten Aspekten meines Lebens. Aber Rowan ist ... wie ein völlig anderes Leben. Ein verbotenes Leben, das ich nur aus der Ferne betrachten und von dem ich träumen kann, aber das Schönste, was ich je gesehen habe.
Sie ist clever, unschuldig und durch und durch gut. Sie ist das, zu dem ich sie von Anfang an machen wollte: das Gegenteil unserer Mutter. Ich habe das erschaffen, was ich am meisten liebe. Ich habe mit ihr Hausaufgaben gemacht, habe dafür gesorgt, dass sie keine Fehltage in der Schule hat, habe mein bestes getan, damit sie psychisch gesund und ungeprägt von unseren Verhältnissen wird.
Die Tiefe an Gefühlen, die ich für sie empfinde, werden mit jedem Tag, der vergeht, mächtiger. Ich habe noch nie gewusst, was Rowan für mich ist. Ich empfand immer einen Beschützerinstinkt für sie. Ich hatte Verantwortung für sie und die wollte ich. Ich wollte ihr Leben gut machen. Ich wollte Gutes für sie. Sie war einfach eine Person. Alles, was ich damals hatte. Alles, was ich richtig machen wollte. Rowans Leben war ein wunderschönes, unbeschriebenes weißes Blatt. Es war noch nicht beschmutzt von meiner Mutter. Deshalb tat ich alles, damit es so bleibt. Ich musste streng sein, die Grenzen genau abstecken. Damit sie nie abdriften, nie auch nur an eine dieser Grenzen stoßen würde, die ihr Leben schlechter machen könnten.
Sie war einfach eine Person. Alles, was ich hatte. Alles, was ich richtig machen musste. Bis sich langsam aber sicher alles änderte. Sie wurde größer. Erwachsener. Mir begannen Dinge aufzufallen, die sie tut. Das süße Kräuseln ihrer Nase, wenn ihr etwas nicht passt, sie aber trotzdem nichts sagt. Das atemberaubende Geräusch ihres Lachens. Die Tatsache, dass sie für die Schule lernt, bis sie mit Stift und Papier in der Hand einschläft. Es war, als würde ich zum ersten Mal hinsehen und etwas Erkennbares für sie fühlen. Sie war nicht mehr einfach eine Person. Ich verfiel ihr wie einer langjährigen Freundin oder Mitbewohnerin, die urplötzlich mehr war. Ich verfiel ihr nicht wie einer Schwester. Ich hatte sie nie wie eine Schwester lieben können. Mein Kopf wusste, sie war es. Meine Schwester. Aber ich liebte sie nicht so.
Ich weiß, wie ich Haylie liebe. Sie ist meine Schwester, das fühle ich. Aber Rowan ... Rowan ist die Liebe für mich. Sie ist Begehren für mich, genauso wie sie Verführung ist. Eine so erschütterliche Verführung, dass ich unser gerade noch so funktionierendes Auto beinah in seine Einzelteile zerlegt habe, weil sie den exakten Knackpunkt unseres Verhältnisses angesprochen hat.Ich gehe erst die letzten Stufen der Treppe im Flur hoch, sobald ich gehört habe, dass Rowan auch im Haus ist und die Tür geschlossen hat. Meine Emotionen sind gereizt, so sehr, dass die Kontrolle über sie unwahrscheinlich schwer ist. Für einen flüchtigen Moment habe ich ihre Tränen gesehen. Nur kurz, aber sie bleiben umso länger in meinem Kopf. Vor meinem inneren Auge. Es hilft mir nicht, dass Rowan sie mir gezeigt, dass sie sich mir mit diesem Schritt nähergebracht hat, auch, wenn das wahrscheinlich nicht ihre Absicht war. Was sie nicht weiß ist, dass ich sie schon öfter weinen gesehen und gehört habe. Manchmal weint sie abends, wenn sie in ihrem Bett liegt. Manchmal im Badezimmer, dessen Tür sie dann verschließt. Aber ich nähere mich ihr in solchen Momenten nicht. Denn ich weiß, wem diese Tränen gewidmet sind. Ich weiß, um wen sie weint. Und dieser jemand würde sich zeigen, wenn ich ihn nicht mit aller Kraft davon abhalten, weitergehen und sie allein weinen lassen würde.
Um mich etwas abzuregen, öffne ich Haylies Zimmertür und führe mir vor Augen, dass sie sicher und friedlich in ihrem Bett schläft. Ihr Nachtlicht brennt und hüllt das Zimmer in eine ruhige, sorglose Atmosphäre.
Ich muss nicht nachsehen, um zu wissen, dass meine Mutter nicht Zuhause ist. Ich weiß nicht mal, ob sie in der Stadt, geschweige denn im Staat ist. Sie könnte überall sein. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist genauso hoch wie für die Möglichkeit, dass sie gerade an einer Überdosis abkratzt.Die Wut in mir ist längst wieder erlöscht. Kaum dass sie entfacht, flaut sie auch wieder ab, wenn es um Rowan geht. An diesem Punkt wird sie nämlich von Schuldgefühlen ersetzt, die mich jedes Mal fast umbringen.
Ich wollte ein gutes Leben für sie - aber ich habe versagt, weil ich diese Beziehung zwischen uns erschaffen habe. Der strenge Arschloch-Bruder. Eine billige Maske um den Bruder von ihr fernzuhalten, der sie zu sehr liebt. Beide sind nicht gut für sie und ich hasse mich dafür, dass ich ihr keinen dritten geben kann. Doch zur selben Zeit ist der Teil in mir, der verdammt nochmal nicht existieren sollte, über nichts anderes erleichterter.Ein Schmunzeln über mein damaliges Ich huscht über meine Lippen.
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All of a sudden
RandomEr ist hart zu ihr, gefühllos und streng. Er liebt sie zu sehr. Sie sehnt sich nach seiner Liebe - obwohl er genau das mit seiner Kälte verhindern wollte. ---------------- "Seine Liebe ist berauschend. Sie erfasst mich und lässt mich nicht mehr los...