Dunkelblau

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Callan:

Wir stehen so da für ich weiß nicht wie lange, aber es ist die schönste, genüsslichste und mit Abstand ruhigste Zeit meines Lebens. Unser beider Atem geht völlig gleich und ich könnte einfach auf der Stelle einschlafen und von mir aus nie wieder aufwachen.
»So nah warst du mir noch nie«, nuschelt sie plötzlich leise in mein Shirt, wobei ich Mühe habe, sie zu verstehen.
Wenn ich daran zurückdenke, an die ganzen Jahre, die ich mich so enorm von ihr ferngehalten habe, durchzieht ein Schmerz meinen Magen - und ich kann mich nur komplett ahnungslos fragen, wie ich es geschafft habe.
Ich berühre Rowan sonst nicht, kaum. Da achte ich drauf. Ich brauche diesen Abstand - denn, wenn ich ihr näher kommen würde, wäre es mir nicht möglich, den restlichen Abstand unüberbrückt zu lassen. So wie jetzt. Ich kann sie nicht mehr loslassen.
»Nein«, erwidere ich und schließe meine Arme bedeutungsschwer enger um sie. »So nah war ich dir noch nie.«
Zunächst ist sie wieder völlig still - das Schönste, was ich je gehört habe. Aber dann sagt sie etwas, das mein Herz zum zweiten Mal an diesem Abend zum Stehenbleiben bringt.

»Fühlst du das?«

Alles steht für eine Sekunde still. Mein Kopf denkt in ungewohnter Geschwindigkeit an das Fühlen, das ich für sie fühle. Er fokussiert den Gedanken und hegt so viel Hoffnung, wie mein normal-rationaler Verstand ihm eigentlich nicht erlauben würde. Nie.
Sie kann nicht dasselbe meinen. Kann sie nicht. Aber ich kann nicht aufhören daran zu denken, dass ich mir kaum ein paar Minuten zuvor noch gedacht habe, dass sie die Verbundenheit wirklich fühlen müsste. Dass sie meine Liebe fühlen müsste, ohne, dass ich sie ihr mit Worten schenke.
»Wovon sprichst du?«, frage ich. Mein Blick ist geradeaus in die Ferne gerichtet, während ich mich praktisch an Rowan fersthalte, weil mich ihre Antwort entweder halb zerstören oder einen Teil von mir, der überhaupt nicht existieren sollte, fördern wird. Angst pulsiert durch meine Adern, die sie fühlen lässt, als würden sie gleich explodieren.
»Ich weiß nicht.« Sie klingt, als würde sie es selbst nicht verstehen. »Als wären wir...« Bitte sprich das Wort nicht, Baby. Sag es nicht, ich flehe dich an, du bringst dich in Gefahr. »... Eins«, bringt sie schließlich zögernd heraus. Sie zögert, aber sie spricht es aus - und unsere errichtete Welt, die Welt mit Kontrolle ist dahin.
»Ich fühle alles«, antworte ich, bevor ich es verhindern kann, und habe an diesem Punkt nur noch Angst vor einzig und allein mir selbst.

Rowan:

Callan hat mich nicht nach der Flasche Alkohol gefragt, aber es hat sich so gut angefühlt als er sie mir abgenommen hat. Als hätte er etwas Fürchterliches aufgehalten.

So fühlt es sich wie das Ende eines hässlichen Kapitels an, als wir die Küche verlassen und er das Licht ausschaltet, bevor er mir die Treppe hinauffolgt. Er ist völlig still und ich bin seltsam nervös in der momentanen Situation. Mein Kopf fühlt sich explodiert an und ich weiß gar nichts mehr.
Wir laufen den dunklen Flur nebeneinander entlang, ich sehe ihn nicht an, aber ich spüre seine Nähe neben mir. Die Stille ist nicht angenehm. Es... fehlt was. Irgendetwas, worauf ich einfach nicht komme.
Als wir zuerst an meiner Zimmertür vorbeikommen, bleibt er mit mir stehen. Mein Herz droht mir aus der Brust zu springen, weil ich keine Ahnung habe, was ich ihm sagen soll.

Ich habe ihn umarmt. Ich habe in sein Shirt geweint. Ich habe sein leises, zärtliches Flüstern nah an meinem Ohr gehört. In diesen Momenten hat er sich wie ein ganz anderer angefühlt. Er war nicht Callan. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass er doch genau Callan war. Obwohl es mir jetzt nur noch wie eine entfernte Wunschvorstellung vorkommt. Gott...
»Gute Nacht, Rowan«, reißt mich seine raue Stimme aus meiner überfordernden Verwirrung. Ich weiß nicht, wie ich seinen Blick deuten soll, den Ausdruck in seinen Augen. Ich weiß einfach nicht.
»Nacht«, murmle ich leise. Der Weg, den er zu seiner Zimmertür geht, ist mir viel zu weit. Zu viele Schritte. Zu viel Abstand, den er zwischen uns bringt. Nur wenn er körperlich nah ist, kann das auch die emotionale Distanz überbrücken.
Er ist schon lange in seinem Zimmer verschwunden als ich ihm immer noch nachblicke und die Dunkelheit mich jetzt allein einhüllt. Ob es mit ihm wohl auch so schwarz wäre? Oder vielleicht nur dunkelblau?

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