2. Kapitel

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Bansein fiel gerade auf, dass er schon wieder an alles andere dachte, als an den Wettkampf, als es klopfte.

„Herein!", rief Bansein. Ein junger Mann trat ein. Er hatte schulterlanges, dunkelbraunes Haar und wirkte ein wenig unrasiert. Seine dunkelblauen Augen fielen sofort auf und fesselten jeden, der den jungen Mann ansah. Es war Banseins Neffe Burmann. Die lange gerade Nase ließ an der Verwandtschaft keinen Zweifel aufkommen. Der Mund mit den schmalen, geschwungenen Lippen verlieh Burmann ein Aussehen, als würde er ständig an irgendetwas zweifeln. Wenn dieser Mund sich aber zu einem Lachen von einem Ohr zum anderen verzog, konnte man nicht anders als mitzulachen. Burmann war groß und fast dürr. Seine Kleidung schlotterte um seine schlaksigen Glieder, war aber im Gegensatz zu Banseins zerstreuter Kleiderordnung ausgesucht praktisch. Die Hosen bestanden aus hellbraunem Webstoff, das Hemd aus dem gleichen Stoff war aber eine Spur dunkler. Ein einfacher Baumledergürtel wand sich um die schmale Taille. Der Umhang hatte entgegen der Mode keinen Fransenbesatz und war nur knielang. Die Kapuze hing locker über die Schulter des Jungmagiers hinab und fand ihr Ende in einer dreigeteilten Spitze – wohl dem einzigen Schmuckelement an seiner Kleidung. Selbst die Taschen an Umhang und Beinkleid waren nur Schlitze und kaum zu bemerken. Viele der anderen Winze trugen fast üppigen Schmuck, angefangen bei den Schuhen, deren Verschlüsse aufwändige Schnörkel bildeten, bis hin zu Knöpfen und Besatz an der Oberbekleidung. Burmann hatte einmal seiner Mutter auf die Frage, ob er sich nicht ein wenig modischer kleiden wolle, geantwortet: „Was soll ich mit all dem Zeug? Damit bleibt man nur überall hängen!"

Bansein hatte gegen die Meinung seines Neffen nichts einzuwenden.

„Hallo, Onkel, wie geht es? Grübelst du noch immer oder stehen die Teilnehmer schon fest?"

„Du bist zu neugierig, Burmann. Ich darf dir ja sowieso nichts sagen, also frag' nicht."

„Aha, du hast dich noch nicht entschieden, alles klar", stellte Burmann lächelnd fest.

Eine Pause trat ein. Sollte Bansein etwas erwidern? Nein, entschied er, Burmann kannte ihn viel zu gut, um aus Ausflüchten nicht noch mehr herauszulesen. Stattdessen lud er seinen Neffen zu einem Spaziergang ein. Dieser war hoch erfreut und meinte: „Ja, lieber Onkel, so ist es richtig, entspanne dich, mach dir nicht zu viele Sorgen um den Wettkampf."

„Aber es geht doch auch um dich, ist dir das Ergebnis egal?", entfuhr es Bansein.

„Nein, natürlich nicht, ich würde gerne mitmachen, aber ich weiß auch, dass ich nicht der einzige bin, der gut genug ist, und die anderen es sich genauso wünschen. An deiner Stelle würde ich mir jemanden suchen, der mir bei der Auswahl hilft. Schade eigentlich, dass du nicht einfach die Zukunft befragen kannst, wer bei dem Wettkampf mitmacht."

Beide kicherten, denn sie stellten sich das Ergebnis eines solchen Versuches vor. In der Zukunft konnte man immer nur Möglichkeiten sehen oder Dinge, die unverrückbar feststanden. Ansonsten würde sich der Waldhund ja in den Schwanz beißen, pflegte Bansein zu diesem Problem zu sagen. In diesem Fall würde er seine eigene Entscheidungsunfähigkeit sehen. Höchstwahrscheinlich gäbe es ein vergnügliches Durcheinander aus den Körpern der fünf Kandidaten, da er in seiner Zukunftssicht aus den Fünfen drei machen musste. Bansein stellte sich vor, wie die einzelnen Figuren aussehen könnten, die der Zufall da zusammenwürfeln würde: Xinusias hübsches Gesicht mit ihren schönen grünen Augen und dem kecken Mund würde möglicherweise auf dem drallen, athletischen Rumpf Purgas und dieser auf den ziemlich dünnen Beinen Burmanns landen. Eigentlich ein großer Spaß, aber nützen würde er nichts. Da kam ihm eine Idee. Vielleicht konnte der Zufall sein Problem tatsächlich lösen, auf eine höchst einfache Weise.

Nun sagte Bansein zu Burmann: „Mach dir mal keine Sorgen, ich weiß schon, wie ich mich entscheide." Und damit ging er zu einem anderen Gesprächsthema über: „Wie geht es deiner Mutter? Sag ihr, dass ich euch demnächst mal besuchen komme, vielleicht am Baumtag."

[...]

Eine Stunde später saß Bansein in seinem Zimmer und bastelte Lose. Das Verfahren war zwar ungewöhnlich, aber nicht verboten. Vor langer Zeit hatte es so einen Fall sogar schon einmal gegeben. Damals war der Obermagier kurz vor Bekanntgabe der Teilnehmer verstorben und man hatte Lose benutzt.

Bansein legte die kleinen Röllchen in einen Behälter, der nur eine kleine, handgroße Öffnung besaß. Dann stellte er zufrieden die Schachtel weg und machte sich einen leckeren Kriffel-Wurzelsalat mit Mildenblütendressing. Nur dem Oberhaupt der Wooden musste er seine Idee noch schmackhaft machen. Doch das sollte nicht schwerfallen. Der behäbige Bedun war für gewöhnlich für jeden Spaß zu haben. Je kurzweiliger sich etwas gestaltete, desto besser gefiel es ihm. Und alles, was mit Glück zu tun hatte, konnte nur kurzweilig sein. Bansein erlaubte sich den Spaß, ein wenig in die Zukunft zu blicken, um sich auf Beduns Reaktion einzustellen. Wie erwartet, sah er den nicht mehr ganz jungen Mann, wie seine kleinen Äuglein unter den buschigen Augenbrauen zu funkeln begannen. Seine kleine, spitze Nase bewegte sich, wie immer in Zeiten der Vorfreude, leicht auf und ab und um den zu einem kleinen Kreis gekräuselten Mund bildeten sich Fältchen in dem sonst so glatten Gesicht. Bansein schmunzelte. Interessanterweise zeigte sich nicht die Spur einer Alternative. Bedun war eher einfacher Natur. Er entschied klar und schnell, aber häufig auch so endgültig, dass es fast unmöglich war, ihn von einer ungünstigen Entscheidung wieder abzubringen.

Am nächsten Morgen begab Bansein sich zu Bedun, um ihm sein Vorhaben zu erläutern. Schon von Weitem fielen die mannigfaltigen Türmchen, Balkone und Erkerchen ins Auge. Irgendwie mochte Bansein den Anblick, obwohl die einzelnen Teile deutlich das Geltungsbedürfnis ihrer Bewohner zeigten. Ein noch nicht ganz fertig gestellter Turm auf der Südseite des Hauses zeugte davon, dass auch Bedun nicht frei von dieser Eigenschaft war. Die Häuserteile schienen genauso zufällig entstanden zu sein wie die Zusammenstellung von Banseins Kleidung. Vielleicht war es das, was ihm gefiel.

[...]

Bansein kam gleich zur Sache. „Also, Bedun, die Sache ist folgende: Ich habe fünf Kandidaten für den Wettkampf, von denen ja nur drei teilnehmen können. Da aber mein Neffe unter den Fünfen ist, werde ich das Los entscheiden lassen, damit niemand denkt, ich würde jemanden bevorteilen." Die Reaktion war wie vorhergesehen.

Bedun war nicht nur einverstanden, er machte auch sogleich einen Vorschlag: „Und ich denke, wir sollten das Glück morgen vor aller Augen entscheiden lassen." Er versprach sich außer einer Entscheidung viel Spaß und Spannung und wollte aus dem Losverfahren ein Fest machen.

Wenn das Improvisieren auch sonst nicht seine Stärke war – ein Fest konnte er jederzeit und überall feiern und nicht nur er. Diese Stärke besaßen fast alle Wooden. Schließlich war es noch früh und der ganze Tag stand für die Vorbereitung zur Verfügung. Schon schickte er seine Köchin los, die anderen zu informieren, bevor Bansein dazu etwas sagen konnte.

So verbreitete sich die Neuigkeit in Windeseile in der Umgebung Waldstadts, denn auf dem Gebiet der Nachrichtenübermittlung waren die Wooden unschlagbar.

Der Drachenschrein - LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt