Das Erbe

30 2 0
                                    

Die nächsten Tage empfand Lilith wie im Nebel. Die Autopsie ihrer Mutter ergab keine neuen Hinweise auf eine geplante Straftat. Bei der Polizei ging man von einem, aus der Situation entstandenen, Mord aus. Für Lilith war das allerdings alles andere als nur ein Mord. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass die Polizei etwas übersah. Sie duftete aber nicht an den Tatort, da er noch nicht von den untersuchenden Kriminalpolizisten freigegeben wurde. Das hinderte Lilith aber nicht daran, in den Gedanken der ermittelnden Hauptkommissarin nach Informationen zu suchen. Lilith hatte Glück, da sie nur auf das Kurzzeitgedächtnis zugreifen konnte, sie konnte feststellen, dass auch die Kommissarin an der rekonstruierten Tathergang zweifelte und es keine Spur eines Kampfes gab, als ob Ophelia sich ihrem Schicksal hingegeben hätte.
Mehr konnte Lilith aber auch nicht erfahren.

Zwei Tage vergingen, ohne eine Nachricht der Polizei, mittlerweile war es schon Montag. Am späten Nachmittag kam ein Anruf des Anwalts der Verstorbenen. Sie wurden zur Testamentsvorlesung am Freitag eingeladen.

Mittwochs meldete sich die Polizistin wieder. Sie durften nun wieder das Haus betreten, zwar nur für eine Stunde, aber wenigstens etwas.
So fuhren sie am Nachmittag wieder auf das Anwesen. Die Polizistin war auch da und nickte ihnen zu. Beim Betreten des Hauses kamen alte Erinnerungen in Lilith auf. Sie war überwältigt, die traurige Erkenntnis, dass sie nun nie wieder mit ihrer Mutter reden würde, kam auf einen Schlag. Ihr kamen die Tränen. Cassandra nahm sie an die Hand und drückte diese. Zu dritt steuerten sie auf den vermeintlichen Tatort zu. Auf dem Weg dort hin, ins Wohnzimmer, lagen sämtliche Dinge auf dem Boden verstreut. Erinnerungen prasselten auf Lilith ein. Als sie im Wohnzimmer standen, war keine Spur von Blut und ihrer Mutter. Die Tatortreiniger hatten einen guten Job gemacht. Lilith ging in ihr Zimmer um einige Klamotten in eine Tasche zu packen. Sie suchte noch ein Fotoalbum, um wenigstens ein paar Erinnerungen an ihre Mutter und ihren Vater zu haben. Mit Hilfe ihren telepathischen Fähigkeiten gelang ihr das Packen schneller. Die Polizistin betrat das Haus und bat die Verwandten wieder zu gehen. Lilith lief gequält zurück, stopfte ihre Tasche in den Kofferraum und setzte sich ins Auto. Ihre Tante sprach kurz noch mit der Polizistin, dann fuhren sie nach Hause.

Der Freitag kam schnell und brachte morgens gleich Stress mit sich. Bis alle in ordentlichen Klamotten waren, wären sie fast zu spät gekommen. „Lilith, ich will dass du dich da drinnen zurück hältst. Lass uns das machen, wir sind deine Erziehungsberechtigten." sagte Casandra schnippisch zu ihr, so als würde Lilith ihr etwas wegnehmen wollen. Sie betraten das Büro des Anwalts und mussten kurz vor der Tür im Wartezimmer warten. Dieses war sehr kahl, es gab keine Bilder oder Poster, keine Vorhänge an den Fenstern und auch kein Teppich. Es wirkte so, als ob der Besitzer der Kanzlei erst seit kurzem dort wohnen würde. Lilith schaute sich um. Sie spürte die Anwesenheit des Anwalts, einer Sekretärin und einer dritten Person im angrenzenden Zimmer. Die Silhouette der Sekretärin wurde größer und die Tür öffnete sich. „Sie können nun eintreten." Das Büro des Anwalts war im Gegensatz zu dem Wartezimmer geräumig und schön gestaltet. An den Wänden hingen Bilder von scheinbar wichtigen Personen, auf dem Boden lag ein dicker Teppich und mit dem Rücken zu einem großen Fenster, welches den Blick auf eine wenig befahrene Straße mit schönen Geschäften ermöglicht, stand der Schreibtisch des Anwalts. Dieser war massiv und sehr groß, so groß, dass vor dem Schreibtisch 4 Stühle stehen konnten, ohne dass diese unangenehme Nahe beieinander standen. Auf einem der Stühle saß eine etwas älter Frau, diese stand auf und blickte Lilith tief in die Augen. Sie spürte etwas vertrautes in ihrem Blick. „Guten Tag" begann der Anwalt, welcher in legereren Klamotten hinter dem Schreibtisch stand. Er war noch sehr jung, höchstens 25. Das war ungewöhnlich für seinen Beruf, der häufig von älteren Menschen ausgeübt wurde. „Ich möchte ihnen Lisa vorstellen, die Tante ihrer Angehörigen Ophelia." Lisa lächelte die drei, so gut es ging, an. „Setzen sie sich bitte." forderte der Anwalt sie auf. Cassandra raunte Clark „Was macht die denn hier" zu. Dieser zuckte nur die Schulter. „Ich möchte mich ihnen vorstellen, ich bin Jim. Sie haben bestimmt alle eine menge Fragen, die es zu beantworten gilt." Alle vier nickten. „Dachte ich mir schon. Meine Damen, mein Herr, Lilith," fing Jim an. Er schaute in die Runde. „Wir müssen uns hier nichts vormachen. Ich wurde von Ophelia über euch informiert. Ich weiß von deinen Fähigkeiten Lilith und dass du ihr Kind bist. Warum es mir trotzdem möglich ist, das Testament vorzulesen, liegt an der Schweigepflicht, die ich bei meinem Eid zu Beginn meiner Karriere abgelegt habe. Sie brauchen also nich so zu tun, als wären sie die Eltern. Nur damit das geklärt ist. Kommen wir nun zur Testamentsvorlesung. ‚Ich Ophelia..'" er wurde von Cassandra unterbrochen. „Könnten sie gleich zum Punkt kommen?" alle drehten sich zu ihr. Der junge Anwalt schüttelte unmerklich seinen Kopf. „Meiner leiblichen Tochter, Lilith, vermache ich den anbei liegenden Brief, mein Eigenheim und den Zugang zu meinen Konten. Den vollen Zugang zu meinen Konten wird sie zu ihrem mit dem vollenden des 17 Lebensjahres bekommen. Solange wird das Konto von ihrer Großtante zu Gunsten von ihr verwaltet werden. Die Eheleute Cassandra und Clark werden eine Aufwandsentschädigung von 15.000$ für die Aufnahme und Versorgung, bis zu dem Moment an dem Lilith zu Lisa zieht, von einem meiner Konten erhalten. Meiner Tante Lisa vermache ich mein Eigenheim in Bayern, in dem sie zur Zeit wohnhaft ist. Weiterhin bitte ich Lisa, Lilith bis zu ihrem 18 Lebensjahr bei sich aufzunehmen, da sie die letzte direkte Verwandte von mir und Lilith ist." las Jim ihnen vor. Cassandra und Clark schauten sich an. Selbst ohne ihre Gedanken zu lesen, wusste Lilith, dass sie froh waren, sie nicht groß ziehen zu müssen. Lilith schaute zu Lisa. Diese lächelte ihr herzlich zu. Sie kannte Lisa zwar nicht wirklich, nur von früher, aber das machte ihr nichts aus. Lieber würde sie bei einer netten Frau leben, die schon ihre Mutter groß zog, als bei zwei nach Geld gierigen Verwandten. „Nehmen sie ihr Erbe an?" wollte der Anwalt nun wissen. Alle nickten und unterschreiben auf einer Empfangsbestätigung des Anwalts. „Nur der Neugier halber, wie viel Geld liegt auf den Konten von Ophelia?" wollte Cassandra wissen. „Darüber kann und darf ich ihnen keine Auskunft geben. Sie können sich gerne mit der Besitzerin des Kontos, beziehungsweise der Verwaltenden auseinandersetzen." Alle standen auf und schüttelten sich die Hände. „Auf Wiedersehen" sagte der Anwalt, „Lilith, könntest du noch kurz warten?" Lilith nickte und blieb stehen. Lisa schloss die Türe und nickte Jim zu. „Lilith, ich weiß was du für eine schreckliche Situation durchmachst. Keine Worte dieser Welt, werden das in dir beschreiben, was du empfindest. Ich kannte Ophelia schon seit längerem. Sie bat mich zum Beispiel, deine Geburtsurkunde auf den Namen deiner Tante und deines Onkels zu ändern. Vieles wirst du jetzt noch nicht verstehen. Aber alles was deine Mutter tat, war zu deinem Schutz. Einen Tag, bevor sie starb, bat sie mir dir diese Schachtel zu geben." er zog eine Tüte unter seinem Schreibtisch hervor und überreichte sie ihr. Lilith schaute in die Tüte und sah eine Truhe, sie war sehr alt und robust. Sie hob diese heraus und öffnete sie. „Der Gegenstand, der sich darin befindet, ist von immensem Wert, zumindest auf unsrem Planeten. Es liegt an dir herauszufinden was es damit auf sich hat. Deine Mutter konnte mir das nicht erklären. Pass gut darauf auf."

Lilith - [pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt