Erstes Kapitel

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Ich lächelte, als ich den Gruß sah. Vincent war kein wirklicher Adliger, das De hatte er sich aus purer Eitelkeit an den Namen gehängt. Ich wollte das auch irgendwann mal machen, denn Vincent war mein großes Idol. Als ich bei Jacques gelandet war, suchte ich eine Möglichkeit meine Handfertigkeit als Dieb zu erweitern. Jacques kam nicht in Frage. Seine Kenntnisse als Dieb waren geradezu erbärmlich. Aber irgendwann hatte ich von einem Meisterdieb gehört, der hier in Paris sein Unwesen trieb. Und so geschah es, dass ich mich unter den Leuten so berühmt machte, dass Vincent mit mir Kontakt aufgenommen hatte. Es war alles in einem Brief gekommen, der eines Tages auf dem Bett meines Versteckes gelegen hatte. Viele Worte hatte Vincent nicht verschwendet, was aber auch vorteilhaft gewesen war, da ich zu dem Zeitpunkt noch nicht gut Französisch sprechen konnte.
Bäckerei an der Ecke, umgedrehte Tasse, lass mich nicht warten.
Ich zählte an meinen Fingern ab, wie viele Jahre es her waren. Dort war ich zwölf gewesen, das war vor sieben Jahren also. Es war ein windiger Sommertag gewesen.

Blasse Sonnenstrahlen ließen sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder blicken und Staub wirbelte durch die Luft. Die Menschen ließen ihre dicken Mäntel zuhause und spazierten in einfacher Kleidung durch die Gassen, sogar selbst die Bettler schienen an jenem Tag weniger verdrießlich als an den kalten Tagen, aber das konnte jeder verstehen, abgesehen vielleicht von den feinen Herrschaften, die im teuersten und wohlhabendsten Viertel der Stadt wohnten. Es waren harte Zeiten, und aufgrund des Kriemkrieges, der erst vor einem Jahr geendet hatte und über den die Zeitung Le prophete parisien täglich berichtet hatte, befanden sich Frankreich, England und vor allem Russland noch in der Erholungsphase und die Handelswege funktionierten nicht wie üblich; die Preise waren gestiegen. Ein paar Tage zuvor hatte ich mir für zehn Decime, eine unglaubliche Summe, eine neue Mütze gekauft um halbwegs adrett auszusehen. An jenem Tag hatte ich auch bei einem Zeitungsjungen die erste französische Zeitung gekauft, die ich je unter die Nase bekommen hatte. Mein Plan war es gewesen, zum einem gebildeter auszusehen und zum anderen tatsächlich ein wenig Französisch zu lernen. In Momenten wie diesen sandte ich ein stummes Danke in den Himmel, dafür dass mich das Waisenhaus die Lehrstunden aufgezwungen hatte, auch wenn ich deshalb oft den Riemen zu spüren bekommen hatte.

Ich spazierte durch ein kleines Viertel, dann kehrte ich um und folgte der Straße, in der ich wohnte, zur Bäckerei an der Ecke. Ich hatte mir noch nie etwas dort gekauft, denn Jacques hatte mir verboten Geld für unnötig teures Gebäck auszugeben, und ansonsten wäre es wirklich zu teuer gewesen. Fast fünfzig Centime ein Stückchen. Tatsächlich war ich in dem ersten Monat in Paris fast verhungert. Das Geld, das ich es tatsächlich schaffte zu klauen, war ganz anders als die englische Währung gewesen. 100 Centimes waren 10 Decimes und das wiederum war ein Franc, und ich Dumpfbacke hatte natürlich erst einmal ein teures Parfüm gekauft, weil ich schon immer einmal hatte herausfinden wollen, was Mädchen daran fanden. Es hatte so um die zwei Decimes gefunden, die ich durch einen Glücksfall erbeutet hatte und da ich dachte, dass jeder Tag so verlaufen würde, ging ich sofort in eine Boutique und kaufte mir diesen Schwachsinn.

Ich schlenderte also in die genannte Bäckerei an der Ecke. Leises Bimmeln begrüßte mich, als ich den Raum betrat. Eben weil der Laden so exklusive Waren verkaufte, war es hier auch entsprechend feiner. Sonnenstrahlen fielen durch das große Fenster, an dem die hohen Hochzeitstorten und Windbeuteltürme ausgestellt worden waren. Der Boden war gefließt, der Tresen gewischt und an schmalen Tischen saß die Obrigkeit und trank Tee mit Keksen. Mehrere Blicke fielen auf mich, als ich den Raum betrat und mich umsah. Der Bäckergehilfe, ein stämmiger Mann in einem weißen Hemd, das sich gefährlich über seinen dicken Bauch spannte, kam auf mich zu, während er sich im Laufen die mehlbedeckten Hände an einem Tuch abwischte. Sein Kopf war hochrot und Schweiß rann seine Schläfen hinab.

"Was suchst du hier?", fragte er mit einem starken Akzent und sah mich mit verengten Augen an.

"Ich suche jemanden", gab ich in dem besten Französisch zurück, das ich konnte. Dabei erwähnte ich nicht, dass ich das Wort "Suchen" nur als Ausruf kannte, wenn jemand mich beim Stehlen erwischte.

Laurent der MeisterdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt